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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

sich die weichen Klänge der Morgen- und Abendständchen mischten. Die Lichter des Himmels glitzerten in verlockenden Augen, in Brillanten und in den Fontainen wider – auf den Rasenflächen sprangen die isabellenfarbenen irischen Windspiele des fürstlichen Herrn, und hoch in den Lüften, von den alten Thurmzinnen herab, flatterten Freudenfahnen.

Der Fürst hatte schon am zweiten Tage das Neuenfelder Hüttenwerk besichtigt. Das Etablissement mit seinen mächtigen dampfenden Schloten, seinen neuen Häusern und dem Menschenschwarm, der auf und ab wogte, sah doch zu imposant herüber und hatte bereits einen zu großen Weltruf, als daß es sich noch hätte todtschweigen lassen.

Bei dieser Gelegenheit war auch der neue Besitzer dem Fürsten als Herr von Oliveira vorgestellt worden. Er hatte den hohen Herrn selbst durch das Etablissement geführt, und Serenissimus war bezaubert von dem schönen, distinguirten Mann, „der, mit seinem interessanten Ernst die eleganten Manieren des Cavaliers und Weltmannes so glücklich zu verbinden wußte.“ Es war selbstverständlich, daß sich Herr von Oliveira nun auch im weißen Schlosse Seiner Durchlaucht vorstellte, und es hatte ihm der Fürst selbst zu dem Zweck eine Stunde des nächstfolgenden Tages bezeichnet.

Es war zwei Uhr Nachmittags. Die Sonne hing sengend über dem Neuenfelder Thal, aber unter den Ulmen, die ihre Aeste über dem Gitterthor des Arnsberger Schloßgartens verschränkten, war es kühl und schattig – kühl auch wehte es aus den schnurgeraden Alleen herüber, und fern plätscherten die erfrischenden Wasser der Springbrunnen. Wohlige Lüfte lockten da drinnen, und doch blieb der Portugiese mit fahlbleichem Gesicht, tief Athem schöpfend, vor dem Gitter stehen, und seine Hand sank jäh vom Thürschloß herab, als habe es die ganze Glühhitze der Sonne eingesogen.

Die fahle Blässe wich auch nicht von dem schönen, braunen Antlitz des Mannes, als die Thorflügel kreischend hinter ihm zufielen, als sein Fuß einbog in die Allee, die direct nach dem Schlosse führte. … Flatterten die ruhelosen, abgeschiedenen Seelen unmenschlichern Schloßherren und sündiger Edelfrauen, mit denen der Volksglaube das weiße Schloß bevölkerte, auch bei hellem Tageslicht durch Gebüsch und Alleen? Der einsam dahinwandelnde Fremde sah seitwärts, als schreite ein Etwas neben ihm her, hoch und gewaltig, zu dem er aufblicken müsse – ein Etwas, das ihm schmerzhaft den Athem beklemme und seine Pulse fiebern mache. …

Am Portal standen plaudernd mehrere Lakaien – sie stoben bei Erblicken des Portugiesen verstummend auseinander und verbeugten sich bis zur Erde; ein unbeschreibliches Gemisch von Verachtung und Sarkasmus zuckte um den Mund des Mannes. Einer der Diener flog ihm sofort voraus, um ihn anzumelden – er führte ihn nicht nach dem Fremdenflügel; die Herrschaften hatten sich eben vom Gabelfrühstück erhoben, das in den Appartements der Baronin servirt worden war.

Die lange Zimmerreihe, die einst das Kind Gisela bewohnt, that sich auf. In einem großen Salon räumten eben mehrere Diener den Frühstückstisch ab, der in Silber und Krystall blitzte.

Die Füße des Portugiesen stießen an umhergestreute Champagnerpfropfen – er durfte demnach sicher voraussetzen, in angenehmer Stimmung empfangen zu werden.

Nun trat er in ein Zimmer, dessen Thüren und Fenster mit violettem Plüsch behangen waren – seine Augen glitten unwillkürlich in die Ofenecke – der Fremde, der Südamerikaner, konnte doch unmöglich wissen, daß dort vor Zeiten auf seidenem Kissen der einzige, zärtlich geliebte Freund der kleinen Gräfin Sturm, Puß, die weiße Angorakatze, ihr gehätscheltes Dasein verträumt hatte! … Jedenfalls war die eine der Fensternischen weit interessanter, als die öde Ofenecke dort unter dem weißen Spitzenstreifen hervor, welcher die Plüschgardine besäumte, bog sich der braune Lockenkopf der berühmt schönen fürstlichen Hofdame; sie hatte sich mit einem anderen jungen Mädchen plaudernd in die Nische zurückgezogen, und über Beider Gesichter floß eine jähe Röthe, als der Portugiese grüßend an ihnen vorüberschritt – vielleicht hatten die schönen Lippen eben noch von dem merkwürdigen Fremden geflüstert, der gleichsam im Sturme das hinter strengem Verschluß gehaltene Herz Serenissimi erobert hatte.

Der anmeldende Lakai kam aus dem anstoßenden Zimmer zurück und stellte sich mit einem tiefen Bückling seitwärts, um den Portugiesen eintreten zu lassen – seltsam, da stand die hohe Gestalt mit dem majestätisch getragenen Haupte wie gebannt vor der Schwelle – auf der Stirn erschien ein grellrother Streifen – diese merkwürdig gezeichnete Stirn, verbunden mit einem nervösen Aufzucken der Lippen, gab dem klassischen Profil für einen Moment ein fast diabolisches Gepräge. … Da drin fluthete ein zauberhaft grünes Licht und floß über weiße Marmorgruppen, und in einer Causeuse lehnte die schöne Excellenz im weißen Morgenkleide – ihr leicht und graciös aufgenommenes Haar fiel über das grüne Polster, und die schmalen Kinderhände spielten mechanisch mit einem prachtvollen Granatblüthenbouquet.

„Sonderbar!“ flüsterte die Hofdame erstaunt ihrer Nachbarin zu, als der Portugiese endlich, wie infolge eines plötzlichen, gewaltsamen Ruckes, hinter der Plüschportiere verschwunden war – „der Mann schauderte vor dem Seezimmer – ,er konnte nicht über die Schwelle kommen’, wie die Thüringer Hexengläubigen sagen – ich habe es deutlich gesehen!“

„Das ist leicht zu erklären!“ meinte die zarte, blasse Blondine. „Die gespensterhafte, grüne Beleuchtung da drin macht mir stets Schwindel – ich finde die Idee der koketten Gräfin Völdern entsetzlich!“

Die schöne, in die Causeuse zurückgelehnte Frau wußte jedenfalls den Grund für dieses „Festzaubern an die Schwelle“ am besten – sie lächelte, legte verwirrt ihr Bouquet auf den Tisch Mund erhob sich unwillkürlich.

Der Eintritt des Portugiesen unterbrach eine Art Disputation zwischen dem Fürsten, dem Minister, mehreren Herren des Gefolges und einigen Damen. Seine Durchlaucht stand vor einer der langen Wände des Zimmers und sprach lebhaft. Er begrüßte den Eingetretenen mit freundlichem Aufleuchten seiner kleinen grauen Augen und einem sehr gnädigen Handwinken.

„Mein lieber Herr von Oliveira,“ sagte er in liebenswürdig chevaleresker Weise, „nicht allein das reizvolle Ungebundensein des Landlebens, bei welchem ich gern einmal die strenge Etikette bei Seite lege, sondern auch die Rücksicht für Sie selbst bestimmt mich, Ihnen die erste Audienz gerade hier zu ertheilen. … Aber hüten Sie sich! Das Zimmer übt einen gefährlichen Zauber, und hier“ – er schwieg und zeigte bedeutungsvoll lächelnd auf die neben ihm stehende Damengruppe, zu der nun auch die Baronin getreten war.

„Durchlaucht, ich weiß, daß die Nixen ihre Getreuen zum Wassertode verurtheilen, und bin gewarnt!“ versetzte Oliveira.

Diese mit einem fast finsteren Ernst gegebene Antwort klang überraschend gegenüber der heiteren Stimmung des Fürsten – ja, sie hatte die Wirkung eines Messerstichs für die Baronin – ihr schönes Haupt fuhr jäh herum; sie erblaßte, und scheu lauernd streiften ihre Augen den Portugiesen, allein sein Blick berührte sie nicht, nur das Profil war ihr zugewendet, und das sah aus, wie in Stein gemeißelt.

„Das war so ernst gemeint, mein Herr,“ sagte eine ältere Dame, welche der Portugiese bereits gestern beim Besuch des Hüttenwerkes als Gräfin Schliersen kennen gelernt hatte, „daß ich mich fast versucht fühle, Ihnen den Fehdehandschuh hinzuwerfen, und zwar für meine kleinen Protégées dort“ – sie lächelte und deutete mit dem schlanken, weißen Finger nach der Hofdame und der ätherischen, blassen Blondine, die, angelockt durch den selten schönen Klang der fremden Männerstimme, auf die Schwelle getreten waren. Die zwei graciösen, leicht aufgebauten Mädchengestalten, im hellen, duftigen Morgenkleide und angehaucht von dem grünen Licht, hatten in diesem Augenblick etwas Unirdisches.

„Sie werden mir zugeben, mein Herr von Oliveira,“ fuhr die Gräfin fort, „daß das Seezimmer durch diese Erscheinungen an Charakter gewinnt … wie aber in aller Welt wollen Sie hinter den Kinderstirnen dort mörderische Absichten finden?“

„Ah bah!“ meinte der Fürst heiter, „darüber läßt sich nicht streiten – wer weiß, was für Erfahrungen Herr von Oliveira hinsichtlich böser Nixen an der Laguna dos Patos oder am Mirimsee gemacht hat! … Ich gestatte Ihnen keine Kriegserklärung, beste Gräfin, würde Ihnen aber sehr verbunden sein, wenn Sie Herrn von Oliveira mit den Damen bekannt machen wollten.“

Nun schwirrten eine Menge glänzender Namen an dem Ohr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 258. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_258.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2016)