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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

„Mein Herr, Sie sind bereits verloren – Sie schmähten die Frau, weil – Sie unterliegen!“

Ein sardonischer Zug bebte um die Lippen des Portugiesen – er antwortete nicht.

„Hm – der Vergleich hat doch Grund und Boden,“ lächelte der Fürst. „Herr von Oliveira will sich um keinen Preis besiegen lassen – ich kann es ihm darum nicht verdenken, wenn er seine Niederlage mit dem unerklärlichen Schlangenzauber des Weibes entschuldigt.“ Er trat wieder an das Bild heran. „Ist es nicht ein wahrer Jammer, daß mit dieser Frau die ganze berühmte Schönheit der Völdern erlöschen mußte? … Eh, was macht denn das gelbe, verkrüppelte Geschöpfchen, die kleine Sturm?“ wandte er sich an den Minister.

„Gisela lebt nach wie vor in Greinsfeld, hat den Veitstanz schlimmer als je und erfüllt uns mit der lebhafteste Besorgniß,“ entgegnete Seine Excellenz. „Die Angst um dieses Kind ist der Schatten, der auf mein Leben fällt.“

„Gott, wie lange braucht doch das arme, unglückselige Wesen, um zu sterben!“ rief die Gräfin Schliersen. „Dies ganze erbärmliche, kleine Dasein ist für mich stets ein Problem gewesen. … Wie kamen die bildschönen Eltern zu diesem non plus ultra von Häßlichkeit? … Das heißt,“ setzte sie nach einem momentanen Nachsinnen hinzu. „ich habe merkwürdigerweise trotz alledem in der kleinen unschönen Physiognomie stets und immer wieder die Grundlinien jenes Kopfes finden müssen.“ Sie zeigte nach dem Bild der Gräfin Völdern.

„Welche Idee!“ rief der Fürst, förmlich beleidigt durch den Vergleich.

„Ich sage ja nur ‚die Grundlinien‘, Durchlaucht! Im Uebrigen fehlt selbstverständlich gerade alles das, was einst die Völdern so bezaubernd machte. Das Kind hatte nur einen einzigen Reiz – ein Paar schöner, ausdrucksvoller Rehaugen –“

„Gott bewahre mich, Frau Gräfin!“ fiel die Hofdame lebhaft, fast wie erschrocken ein – „Diese Augen waren schrecklich! … Ich habe als siebenjähriges Kind viel mit der kleinen Gräfin Sturm verkehren müssen – Mama wünschte gerade diesen Umgang sehr lebhaft für mich.“ Sie wandte sich schelmisch lächelnd an den Minister. „Excellenz, damals bin ich immer mit entschiedenem Widerwillen die Treppe im Ministerhotel hinausgestiegen. Ich alterirte mich stets über die kleine Person, die ängstlich mit den Händen nach mir stieß, wenn ich ihr nahe kam. Sie haßte Alles, was ich liebte, Eleganz, Kinderbälle und Puppenhochzeiten … Verzeihen Euer Excellenz, aber sie war das boshafteste Geschöpf, das mir je vorgekommen ist! … Ich erinnere mich, daß sie eines Tages ein Paar entzückender, kleiner Brillantohrringe, die Sie eben von Paris mitgebracht, an die Ohren ihrer Katze gehangen hatte.“

„Nun, das finde ich weniger boshaft, als originell!“ lachte die Gräfin Schliersen. „Ich vermuthe, sie ist nicht ohne Geist, die Kleine. … Apropos, wie wär’s denn, wenn man auf eine Stunde hinüberführe nach Greinsfeld und ihr einen Besuch machte? – Der Gräfin Sturm gegenüber könnte man sich schon zu einer solchen Artigkeit herbeilassen, und der armen Herbeck wäre es auch zu gönnen, daß sie wieder einmal ein Gesicht aus der Welt zu sehen bekäme.“

Die Baronin Fleury hatte sich bis dahin völlig passiv verhalten. Bei der Frage des Fürsten nach ihrer Stieftochter hatte sie das Bouquet ergriffen und ihr Gesicht in die geruchlosen Blüthen versenkt – jetzt aber fuhr sie empor.

„Um Gotteswillen, Leontine, daran ist nicht zu denken!“ rief sie abwehrend. „Mit diesem Besuch würde dem Medicinalrath ein Streich gespielt, den wir nie verantworten könnten! Er befürchtet gerade in diesen Tagen einen heftigen Ausbruch der Anfälle und bietet Alles auf, um jede, auch die geringste Gemüthsbewegung von der Patientin fern zu halten. … Und dann, Du hast ja eben gehört, wie eigensinnig Gisela schon als Kind war. Sie hat ein, ich möchte sagen, galliges Temperament, das selbstverständlich bei dem einsamen Leben, zu welchem sie verurtheilt ist, unmöglich milder und liebevoller werde konnte – die Herbeck leidet schwer unter dem maßlosen Eigensinn und den raffinirten kleine Bosheiten, in denen sich ein solches durch und durch verbittertes Gemüth bekanntlich sehr gefällt! … Fern sei es von mir, Gisela’s Charakter verdächtigen zu wollen – im Gegentheil – ist ein Mensch geneigt, sie zu entschuldigen, so bin ich’s – sie ist ja zu unglücklich! … Ich darf aber auch nicht zugeben daß meine Gäste unter irgend einer Unart in Greinsfeld zu leiden haben, und schließlich – ist mir doch auch dieses Kind viel zu theuer, als daß ich es mit seinem abstoßenden Leiden neugierigen Augen – entschuldige, liebste Leontine – ausgesetzt sehen möchte.“

Die Gräfin Schliersen biß sich auf die Lippen; Seine Durchlaucht aber schien nach dem sehr scharfen Ton, mit welchem die schöne Excellenz geschlossen hatte, ein Auseinanderplatzen der Geister zu befürchten. Er trat rasch zu Oliveira. In dem Augenblick, wo der Name der jungen Gräfin Sturm zum ersten Mal genannt worden war, hatte sich der Portugiese unbemerkt dem Fenster genähert; seine Augen schweiften unablässig über die Gegend, auch nicht ein einziges Mal wandte er den Kopf nach den Anwesenden zurück – vermuthlich langweilte er sich, und Serenissimus mochte wohl fühlen, daß es nicht gerade sehr aufmerksam sei, in Gegenwart eines Fremden Verhältnisse zum Gegenstand der Conversation zu machen, die auch nicht das allergeringste Interesse für ihn haben konnte.

„Sie fühlen Sehnsucht nach Ihrem kühlen, grünen Wald, nicht wahr, mein bester Herr von Oliveira?“ fragte er gütig. „Auch mir wird es nachgerade ein wenig schwül hier. … Gehen Sie, liebe Sontheim,“ rief er der Hofdame zu, „und holen Sie ihr bezauberndes, malvengeschmücktes Hütchen – wir gehen an den See!“

Die Damen verließen schleunigst das Zimmer, während die Herren im Nebenzimmer ihre Hüte suchten.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Besuch auf dem Kirchhofe zu Kissingen.


Der Kirchhof zu Kissingen, dem berühmte Badeorte in Baiern, welcher im Jahre 1866 der Schauplatz einer blutige Schlacht zwischen der preußischen Main-Armee und den Reichstruppen war, bildet eine der größte geschichtliche Merkwürdigkeiten, die jenes Kriegsjahr unseren Nachkommen hinterlassen hat. Dieser Kirchhof wird daher auch während der Badesaison täglich von den in Kissingen so zahlreich anwesenden Fremden besucht, namentlich schenken die Officiere demselben ihre besondere Aufmerksamkeit.

In der Schlacht bei Kissingen erzwang bekanntlich die preußische Main-Armee am 10. Juli 1866 den Uebergang über den Fluß, die fränkische Saale, welcher hier hartnäckig von einem Theil der bairischen Armee, unter Führung des Generallieutenants von Zoller, vertheidigt wurde. Es war ein unglücklicher Zufall, daß dieser heftige Zusammenstoß der beiden damals feindlichen Armeen in dem so schönen und berühmten Curort Kissingen stattfand, dessen große steinerne Gebäude und starke Brücke den Baiern eine besonders feste Position zur Vertheidigung darboten. Die Baiern hatten ihre Artillerie hinter der Saale aufgestellt und namentlich die über diesen Fluß führende Brücke befestigt, und es entspann sich über die Saale hinüber von beiden Theile mehrere Stunden lang eine heftige Kanonade, deren Spuren noch heute fast an allen Häusern dieser Gegend nur zu deutlich sichtbar sind. Viele der Häuser sind mit Kugeln gleichsam besät, und man hat es absichtlich unterlassen, die entstandenen Spuren wieder auszubessern.

Die Preußen umgingen endlich die Stellung der Baiern, indem sich ein Corps derselben unterhalb der Stadt Kissingen bei der Lindesmühle den Uebergang über die Saale verschaffte und die Baiern von hinten angriff, so daß dieselben, zumal sie die Besetzung einiger wichtiger Anhöhen unterlassen hatten, die Vertheidigung der steinerne Brücke aufgeben mußten. Nach einem hartnäckigen Straßen- und Barricadenkampf, in welchem fast jedes Haus einzeln erstürmt werden mußte und von Seiten der Baiern ebenso viel Hartnäckigkeit und Tapferkeit wie von Seiten der Preußen Geschick und Gewandtheit entwickelt wurde, mußten die Baiern endlich den Besitz der Stadt aufgeben.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 260. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_260.jpg&oldid=- (Version vom 22.9.2023)