Seite:Die Gartenlaube (1869) 261.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Der Kirchhof in Kissingen bildete den letzten festen Punkt der Stadt, welchen die Baiern noch mehrere Stunden lang mit der größten Energie zu vertheidigen suchten. Dieser Kirchhof liegt auf dem Wege nach Nüdlingen hin auf einer kleinen Anhöhe und ist mit hohen, sehr starken Mauern von Sandsteinquadern umgeben, deren Verteidigungsfähigkeit durch einen theilweise herumlaufenden Graben noch verstärkt wird.


Die Germania auf dem Kissinger Friedhofe.
Marmorstatue vom Bildhauer Arnold in Kissingen.


Am Eingang zum Kirchhof nach der Stadt hin befindet sich das starke steinerne Wohnhaus des Todtengräbers und eine ebenfalls starke steinerne Capelle. Der Kirchhofs bildet also eine förmliche kleine Festung. Hier hatte sich eine Compagnie des neunten bairischen Infanterieregiments, unter Führung des Hauptmanns Thoma, etwa vierhundert Mann stark, verschanzt, während auf den hinter dem Kirchhof belegenen Höhen sich der Rest der bairischen Arme mit der bairischen Artillerie aufgestellt hatte. Die Preußen erlitten bei dem Sturm auf diesen Kirchhof ungeheure Verluste, und erst nachdem ein Stück der Kirchhofsmauer eingerissen und die preußische Artillerie den Kirchhof mit Kartätschen und Granaten vollständig zu bestreichen im Stande war, gelang es, die Baiern aus solchem zu vertreiben und die bairische Armee nach Nüdlingen hin zurück zu drängen. Der bairische Hauptmann Thoma welcher mit großer Tapferkeit die Verteidigung geleitet hatte, fiel noch zuletzt, als er die Reste seiner muthigen Schaar bereits vom Kirchhof mittels einer Seitenthür zurückgezogen hatte und nochmals Halt machen ließ, um den Rückzug der anderen Theile der bairischen Armee zu decken. Ein Stein auf freiem Felde in der Nähe des Kirchhofs bezeichnet den Fleck, wo der Held gefallen. ist. Seinem Feldwebel wurde beim Hinaustreten aus dem Kirchhof der Kopf abgerissen. Noch heute sind an der Thür Spuren der betreffenden Kanonenkugel sichtbar. Der bairische General en chef von Zoller blieb nicht weit davon auf einer hinter dem Kirchhof beim Dorf Winkels belegenen Anhöhe durch einen Granatenschuß. Ein schlankes steinernes Kreuz giebt die verhängnisvolle Stelle an. Es führt folgende Umschrift, welche zum Theil durch einen verblaßten Kranz von Eichenblättern verdeckt wird: „Hier starb den Heldentod am 10. Juli 1866 der Generallieutenant Ossian von Zoller.“

Nicht weit davon fiel bei der siebenten Station des Passionsweges, welcher zu dem in jener Gegend belegenen Calvarien-Berge führt, der bairische Major Graf Ysenburg vom siebenten Jäger-Bataillon, als er seine Leute auf dem Streifzuge in einem Hohlwege sammeln wollte. Ein mit Epheu bewachsener Stein bezeichnet die Stätte feines Todes. Er war mit dem Hauptmann Thoma auf dem Kirchhof selbst zusammen in ein und dasselbe Grab gebettet worden, seine Leiche ist aber nach Ausweis des vom Todtengräber geführten amtlichen Journals später ausgegraben und nach München gebracht worden.

Die Preußen mußten an jenem Tage, um den Eingang zum Kirchhof zu erzwingen, namentlich gegen das Wohnhaus des Todtengräbers ihre Angriffe richten, ebenso wurde die Capelle des Friedhofes selbst stark beschossen. Dieses Wohnhaus ist von Tausenden von Kugeln getroffen und wäre wahrscheinlich vollständig zerstört worden, wäre es nicht durch einen großen Baum von seltener Stärke zum Theil gedeckt worden, welcher das Haus mit seinen breiten und dicken Zweigen beschattete und noch heute viele Kugelspuren zeigt. An der Kirchhofsmauer und am Todtengräberhause hat man sowohl im Innern als von Außen alle Spuren der Schlacht unversehrt erhalten und nur solche Ausbesserungen vorgenommen, die dringend notwendig waren. Noch heute sieht man die Bresche, welche die preußischen Füsiliere unter dem stärksten Kugelregen mit ihren Aexten in die Kirchhofsmauer gebrochen haben und vermittels deren die Preußen endlich in den Kirchhof eingedrungen sind. Einzelne Wände und Bilder des Wohnhauses sind noch förmlich mit Kugeln gespickt, viele Theile der Fensterbeschläge durch die Kugeln losgerissen und in die Wände hineingetrieben. Man gewinnt hier ein so lebhaftes Bild von dem stattgehabten Kampf, als wäre derselbe erst gestern geschehen. Eine besonders lebhafte Illustration der Schlacht vermag der Todtengräber selbst in seiner natürlichen ungekünstelten Redeweise zu liefern. Der arme Mann hatte sich bei der Rettung seiner Familie und seiner besten Habseligkeiten auf dem Kirchhof verspätet und wurde, als er sich endlich selbst hinwegbegeben wollte, so sehr mit Granaten und Kartätschen beschossen, daß er sich nur noch in die Capelle auf dem Kirchhof flüchten konnte.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_261.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2016)