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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und Niemand, selbst nicht der gewaltige Mühlfeld, war gefürchteter von dem Widerpart, als Berger. Kein anderer Advocat besaß in dem Maße die Kunst, die Blößen des Gegners zu entdecken und die verwundbarsten Stellen mit den Pfeilen ätzenden Spottes zu treffen. Mancher Staatsanwalt krümmte sich unter den Schmerzen der erhaltenen Verletzungen und zahlte den Sieg, den ihm die Zeitverhältnisse verschafften, mit einem Stück moralischen Lebens. Während der zehn Jahre schweren Drucks, welche dem kurzen Freiheitsrausche der Völker auf dem europäischen Festlande folgten, war in Oesterreich der Gerichtssaal die einzige Zuflucht des geächteten Wortes, und Berger benutzte das Privilegium des Ortes und seines Berufes zu mancher freiheitlichen Auslassung. Daher seine zunehmende Popularität. So weit zurückgedrängt war in Oesterreich alles freiheitliche Trachten und Streben, und so heißes Verlangen trug die öffentliche Meinung nach einem erleichterten Athemzug, daß selbst ein gefahrloses Lispeln von einem menschlichen Recht gegenüber der sinnlosen Gewalt die Gemüther mit Genugthuung erfüllte und wie eine kostbare Gewährung angesehen wurde. Ein Lichtfunken in langer, banger Nacht wird leicht wie eine Sonne begrüßt.

Als das mittelalterliche Regierungssystem bei Solferino von Napoleon’s des Dritten Zuaven zu Boden geworfen wurde und die Gedanken der Neuzeit, triumphirend über das Besiegte hinwegbrausend, die verlorene Geltung forderten, mußte bei der Spärlichkeit hervorragender Persönlichkeiten nothwendig Berger die Aufmerksamkeit seiner Landsleute auf sich lenken und sich als einen der geeignetsten Volksvertreter in einem Parlament empfehlen. Wer in dem weiten Oesterreich wäre besser im Stande gewesen, die parlamentarischen Schlachten zwischen Dummheit und Einsicht, zwischen starrer Satzung und freiem Urtheil mitzukämpfen, als Berger, der ehemalige Abgeordnete in der Paulskirche, dem die Versammlung der größten Gelehrten von Deutschland ihre Achtung nicht versagen konnte? Sie hatten auch keinen Grund, ihre Neigung und Wahl zu bereuen, die Liberalen, welche in Berger ihr Vertrauen gesetzt. So lange er seinen Sitz als Abgeordneter einnahm, erhob sich seine Stimme stets für das Recht gegen die Gewalt, für die Freiheit gegen den Zwang, für den gesunden Menschenverstand gegen das Vorurtheil, und der Neid kann es ihm nicht absprechen, daß er der Sache des Fortschrittes wesentliche Dienste geleistet. Seitdem jedoch der Doctor auf der Ministerbank sitzt, haben sein Standpunkt, seine Haltung, seine Anschauungsweise, sein Wollen und Wünschen sich geändert. So eine Ministerbank, wo sie auch stehen mag, übt auf Alle, die ihr nahe kommen, einen Einfluß, den kein Physiolog zu berechnen und zu erklären vermag. Die Wirkung ist unausbleiblich, verhängnißvoll.

Oefters haben wir Gelegenheit gehabt, diese Metamorphose zu beobachten, die wohl auch in der antiken Welt vorgekommen sein muß, wenn auch Ovid in seinem berühmten Werk sie nicht anführt, und immer hat sie uns den Eindruck des Wunderbaren gemacht. Wie ein Zauber, rasch, überwältigend, vollzog die neue Atmosphäre die Umwandlung. Von Zugeständniß zu Zugeständniß drängen die neuen Nothwendigkeiten den politischen Grundsatz, und ehe man sich’s versieht, haben sie einen Eiferer in einen füg- und dehnbaren Unterhändler umgewandelt, der mit seinem Gewissen diplomatische Noten wechselt.

Den Anhängern und Gesinnungsgenossen Berger’s ist es schmerzlich, daß der demokratische Vorkämpfer sich zum fünften Rad am Staatswagen habe machen lassen und ein Ministerium ohne Portefeuille angenommen habe, das nicht einmal eine bestimmte Thätigkeit in Anspruch nimmt und auch nicht einmal den Vorwand gestattet, daß man seine Kraft dem Dienste des Vaterlandes zu widmen sich verpflichtet glaubt. Weil Herr von Beust es darauf abgesehen, meinen diese Freunde von ehemals, die Opposition im Reichsrath durch Entziehung der besten Kräfte zu vernichten, und die Ernennung eines Ministers ohne Portefeuille diese Absicht deutlich genug verrieth, hätte Berger seinen Ruhm darein setzen sollen, auf seinem Platz zur Linken im Reichsrath zu bleiben. Für den Ehrgeiz eines Menschen sei es mindestens eine eben so große Genugthuung, einen hohen Posten auszuschlagen als anzunehmen, der Erste in einer Partei als der Letzte in einem Cabinet zu sein. Dem verständigen Doctor könne es nicht unbekannt sein, daß er weder bei Hofe, noch auch bei seinen Collegen eine beliebte Persönlichkeit war und daß, wenn diese auf seiner Ernennung zum Minister ohne bestimmtes Fach bestanden, ihnen kein anderer Zweck vorschwebte, als die Beseitigung eines lästigen Gegners. War es nicht eben so recht als klug und im Interesse der Freiheit, diesen Gefallen zu verweigern und auf den Titel „Excellenz“ freiwillig zu verzichten?

Durch ihre Haltung in der Wehrfrage haben die Minister im Allgemeinen und Berger in’s Besondere bei der öffentlichen Meinung sich viel vergeben. Das Capital, welches auf militärischen Aufwand verwendet wird, hat sich als so schlecht angelegt erwiesen, daß man geneigt ist, die Sicherheit des Reiches in jeder anderen Entwickelung eher als in der Heeresmacht zu suchen. Man mußte also die Ueberspannung der Wehrkraft des Landes als einen Fehlgriff ansehen. Zur Entschuldigung der Minister konnte man nicht einmal denken, daß sie, ihrer Ueberzeugung folgend, sich irrten. Im Gegentheil, man wußte sehr wohl, daß Niemand mehr von der Fruchtlosigkeit dieser Ueberlastung des Landes durchdrungen sei, als eben die Herren am Ruder.

Durch die Annahme des Ordens hat Bergcr wohl für immer mit der Partei gebrochen, die trotz mancher Fehltritte seinerseits nicht aufgehört hat, auf ihn zu zählen. Wenn ein Umschwung der Verhältnisse Herrn Berger von der Gewalt entfernt, wird er vielleicht zu seinem Verdruß gewahr werden, daß er trotz Rang, Titel und Auszeichnung in der Gesellschaft wie ein Verlassener dasteht, zwischen dem aufgebrachten und dem unversöhnten Elemente. Berger zählt nun dreiundfünfzig Jahre, und wenn nicht ein hartnäckiges Halsleiden seine Thätigkeit hinderte, so wäre es keine Frage, daß von seinem geistigen Vermögen und seiner rednerischen Begabung noch Erhebliches zu erwarten stände; in welchem Sinne, mag freilich dahingestellt bleiben.

Die Revolution von 1848 hat ihn auf einem Lehrstuhl der adeligen Anstalt „Theresianum“ gefunden, wo er Natur- und Criminalrecht vortrug; sie hat ihn liebevoll emporgetragen zum Capitol. Schade, daß er nicht immer dankbar ist! Der Besitz eines beträchtlichen Vermögens hat Berger die vollkommenste Unabhängigkeit gesichert; in Momenten körperlicher Erschlaffung spricht er von seinem Entschlusse, sich aus dem Getriebe der Welt in ein abgesondertes beschauliches Leben auf einem Landgute zurückzuziehen. Indessen die Lockungen des Einflusses, des regen Verkehrs, der glänzenden Laufbahn bringen ihn wieder auf andere Gedanken. Er bleibt und fährt fort, den Duft der Hofsphäre, die Süßigkeiten der Gewalt zu trinken. Ob dieser Doppelgenuß der Gesundheit des Ministers zuträglich, muß ärztlicher Entscheidung überlassen bleiben; daß aber Berger in seiner amtlichen Stellung zu keiner nützlichen Thätigkeit kommt, ist eben so ausgemacht wie die Abnahme seiner Popularität. Wir bedauern aufrichtig, daß eine so tüchtige Kraft von der rechten Bahn sich hat ablenken lassen.

Zur Ergänzung dieser Umrisse des emporgekommenen Mannes müssen wir eines Vorfalls erwähnen, der vor einigen Jahren großes Geräusch verursacht hat. Bei der Wahl der Abgeordneten für den Reichsrath in den Landtagen standen Berger und Schuselka als Bewerber um die Auszeichnung einander gegenüber; die größere Aussicht auf Erfolg hatte der Publicist, dessen Name damals ein hochgefeierter war, obgleich er an geistiger Bedeutung in keiner Weise mit dem Rivalen sich messen konnte noch kann. Unter diesen Umständen ist es geschehen, daß Berger in seiner Eigenschaft als Advocat die Einlösung von Wechseln, welche von Schuselka unterzeichnet waren, zu betreiben hatte und, da die Deckung unterblieb, gerichtlich auf Schuldenhaft antrug. Nun brach der öffentliche Unwille gegen den armen Berger los. Wer eine Kehle hatte, schrie Zeter ob solcher Unthat; wer nur eine Galle hatte, der wüthete gegen den Verfolger. Die Jugend der hohen Schule benutzte den schüchternen Anbruch der Freiheit zu einer Katzenmusik, mit welcher sie zur allgemeinen Genugthuung den Gegner des Herrn Schuselka bewirthete. Berger war seit damals eine mißliebige Persönlichkeit in Wien, allein Herr Schuselka vermochte nicht, sich auf der Höhe des Ruhmes zu erhalten, zu der ihn ein aufflackernder Volksenthusiasmus emporgehoben, und je mehr sein Glanz erlosch, desto leichter wurde es dem Advocaten Berger, das verlorene Ansehen wieder zu gewinnen. Wer weiß übrigens nicht, wie rasch die Menge vergißt, wie gern sie verzeiht! Auch geben wir die Hoffnung nicht auf, daß Berger Gelegenheit finden werde, von der öffentlichen Meinung Ablaß für kleine Sünden zu erlangen und seine Liebe zur Freiheit und zum Fortschritt trotz alledem und alledem zu bewähren.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_266.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)