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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

diesem Altmeister der Kunst wirken die jüngeren Künstler Alfred Steevens, Verlat, Willems und Hamann. Letzterer ist durch die Reproduction mehrerer seiner Werke, deren Sujets Haydn, Mozart und Beethoven bilden, auch in Deutschland sehr bekannt.

Die neue Welt ist in Paris ebenfalls zahlreich vertreten. Es leben hier an fünftausend Nordamerikaner, und sie leben fast alle von ihren Renten. Die Salons des Gesandten der Vereinigten Staaten von Nordamerika sind der Mittelpunkt ihrer Geselligkeit. Sie feiern jedes Jahr den Tag ihrer Unabhängigkeitserklärung durch ein großes Diner und einen sehr glänzenden Ball, auf welchem man die beste Gelegenheit hat, die Schönheit und Anmuth der nordamerikanischen Damen zu bewundern. Die Zahl der in Paris lebenden Südamerikaner ist zwar bei Weitem nicht so groß; sie sind indessen sehr gern gesehen, da sie einen üppigen Luxus treiben. Sie bewohnen die neuen, eleganten Boulevards Haußmann und Malesherbes, und man erkennt sie leicht an ihren scharf ausgeprägten Zügen und an ihrer schwarzen Dienerschaft; die Creolinnen sind sehr graciös, und vor ihren feurigen Augen haben sich leicht entzündbare Herzen stark in Acht zu nehmen.

Die bedeutendste Colonie in Paris ist die deutsche. Man greift freilich viel zu hoch, wenn man dieselbe auf neunzig- oder gar hunderttausend Köpfe zählt; allein die statistische Angabe von fünfunddreißigtausend Köpfen ist viel, viel zu niedrig, und man kann ohne Uebertreibung ungefähr das Doppelte annehmen. Die deutsche Colonie ist nicht gleichmäßig in der Riesenstadt vertheilt. Es giebt Stadttheile, wo unsere Landsleute massenweise anzutreffen, es giebt andere, wo sie sehr vereinzelt leben. Auf dem Boulevard des Italiens hört man fast ebenso viel deutsch wie französisch sprechen und auf der Börse fast weniger französisch als deutsch. In der Pariser deutschen Colonie sind alle Stände, alle Künste, alle Handwerke, alle Gewerbe vertreten; allein nicht alle in Paris wohnende Deutsche leben mit ihren Landsleuten in innigem Zusammenhang. Im Stadtviertel St. Antoine, wo die meisten deutschen Handwerker wohnen, giebt es viele, die ihre Muttersprache so ziemlich vergessen haben. Ich sah dort mehrere, die sich nur mit großer Schwierigkeit in derselben ausdrückten, und als ich meine Verwunderung darüber äußerte, sagten sie, daß sie mit Französinnen verheirathet seien, daß ihre Kinder nur französisch sprechen, daß sie blos mit Franzosen in Geschäftsverbindung stehen und ihnen daher die Gelegenheit fehle, sich im Deutschen zu üben. Andere sagten mir, daß sie als Handwerksburschen von der Polizei in Deutschland arg drangsalirt worden und, einmal in Frankreich angekommen, wo sie die freundlichste Aufnahme gefunden, dasselbe als zweites Vaterland betrachten. Doch gehören diese Leute einer früheren Generation an. Jetzt ist es anders; und wenn unsere Landsleute französisches Wesen auf sich einwirken lassen, so bleiben sie doch ihrerseits nicht ohne Einfluß auf das materielle und geistige Leben der Hauptstadt. So sind hier in jüngster Zeit sehr viele deutsche Bierbrauereien entstanden, die auch von Franzosen stark besucht werden. Diese Etablissements, die vortrefflich gedeihen, wirken freilich nicht wohlthätig. Es ist viel wünschenswerther, daß die Deutschen mit Franzosen Wein trinken, als daß diese mit jenen beim Bierglase sitzen. Bacchus ist ein begeisternder Gott, Gambrinus blos ein verdummender König.

Auch die Gewohnheit des Tabakrauchens ist in Paris durch die Deutschen sehr befördert worden, und das ist jedenfalls kein großes Verdienst. Hingegen haben unsere Landsleute sehr viel zur Verbreitung der deutschen Musik in der Hauptstadt Frankreichs beigetragen. In den weltberühmten Pariser Conservatoriumconcerten hört man fast ausschließlich die Meisterwerke deutscher Tonkunst, die Werke Haydn’s, Händel’s, Gluck’s, Mozart’s und ganz besonders des gewaltigen Beethoven, dessen Name selten auf einem Programm dieser Concerte fehlt. Der Gründer der Conservatoriumconcerte war Habeneck, zwar kein geborener Deutscher, aber, wie schon sein Name verräth, von deutscher Abkunft. Sein Vater war ein Mannheimer.

Die seit mehreren Jahren bestehenden, von Pasdeloup geleiteten populären Concerte bieten dem Publicum dasselbe Programm und erfreuen sich seit ihrem Bestehen eines außerordentlichen Zudrangs. Ein deutsches Nationalfest hat dieselben in’s Leben gerufen. Meyerbeer hatte nämlich zu dem in Paris mit großem Glanz im Cirque de l’Imperatrice gefeierten Schillertage eigens eine Schillerhymne und den seither so beliebt gewordenen Schillermarsch componirt. Auch ein Theil der neunten Symphonie von Beethoven und Mendelssohn’s Hymne an die Künstler wurden bei dieser Gelegenheit von einem vortrefflichen Orchester aufgeführt, mit dessen Leitung Pasdeloup von Meyerbeer betraut worden. Der Erfolg war ein so außerordentlich günstiger, daß Pasdeloup, ein feuriger Bewunderer deutscher Tonkunst, auf den Gedanken kam, für die gewerbtreibenden Classen, denen die Conservatoriumconcerte sowohl wegen des beschränkten Raumes als auch wegen der hohen Eintrittspreise unzugänglich sind, ein ähnliches Institut zu gründen. Sein Unternehmen wurde, wie gesagt, vom schönsten Erfolg gekrönt.

Die lyrischen Scenen in Paris führen dem Publicum ebenfalls deutsche Tonwerke vor. So hat das Théâtre lyrique im jüngsten Jahrzehent sämmtliche Opern Mozart’s und Weber’s zur Aufführung gebracht, und zwar immer bei überfülltem Hause, ein Beweis, wie empfänglich die Franzosen für unsere Musik sind. Im Reiche der Töne herrscht der Deutsche, und je mehr er diese Herrschaft über fremde Länder ausdehnt, desto besser; denn ebenso viel als Deutschland dadurch an Ruhm gewinnt, ebenso viel gewinnt das Ausland an reinem, edlem Kunstgenuß.

Wenn nun die Muse der Tonkunst das Band der Eintracht zwischen Deutschen und Franzosen knüpft, so hält sie auch einen Theil wenigstens der Deutschen in der Weltstadt zusammen. Es bestehen hier mehrere Gesangvereine, welche die Geselligkeit unter unseren Landsleuten erhält. Die Liedertafel, die Teutonia, die Germania und der Deutsche Schweizergesangverein haben ihre regelmäßigen Zusammenkünfte und begehen ihre Feste, an denen auch die Franzosen lebhaften Antheil nehmen. Die genannten Gesellschaften, sowie der Turnverein, der auch musicirt, bilden zugleich Mittelpunkte, wo deutsche Künstler, die zum ersten Mal die Hauptstadt besuchen, freundliche Aufnahme finden und wo ihnen Gelegenheit geboten wird, ihr Talent zu zeigen und sich dann in weiteren Kreisen geltend zu machen.

Die deutsche Musik wird auch in der Seinestadt durch eine Menge ausübender Künstler verbreitet. Die Zahl deutscher Musiker in Paris ist sehr groß; indessen gelingt es nicht allen, sich eine glänzende Stellung zu erringen. Gar manche, die mit den heitersten Aussichten herkommen, gehen langsam unter. Das Talent allein genügt hier nicht, man muß auch demselben Geltung zu verschaffen wissen. Mit veilchenhafter Bescheidenheit kommt man trotz aller Begabung nirgends fort, am wenigsten in Weltstädten; damit soll aber keineswegs gesagt sein, daß die unbescheidene Talentlosigkeit zu Reichthum und Ehren gelangt.

Giebt es nun in Paris sehr viele deutsche Musiker, so fehlt es auch nicht an deutschen Malern, die in den jährlichen Gemälde-Ausstellungen sich durch eigenthümliche, treffliche Werke auszeichnen und deren Namen in der Pariser Kunstwelt mit Achtung genannt werden. Ich führe hier nur Adolph Schreyer, Georg Saal, Carl Schloeffer, Otto von Thoren, Otto Weber an und behalte mir vor, denselben, sowie manchen Anderen, eine besondere Besprechung in diesen Blättern zu widmen. In der Kunstindustrie sind die Deutschen in Paris nicht minder thätig. Ich habe eben von den Malern gesprochen und will bei dieser Gelegenheit erwähnen, daß mehrere unserer Landsleute an der Spitze vortrefflicher photographischer Anstalten stehen. Ch. Reutlinger, ein geborener Baier, hat sogar das Verdienst, in Paris die erste photographische Anstalt gegründet zu haben. Sein Atelier ist jetzt das besuchteste in Paris, und es giebt kaum eine Berühmtheit in der Diplomatie, in der Wissenschaft, in der Kunst- und Literaturwelt, die sich nicht schon vor seiner Camera obscura befunden hätte.

Die deutsche Gelehrsamkeit findet in der deutschen Pariser Colonie eine nicht minder glänzende Vertretung. Mohl, Mitglied des Instituts, ist ein Deutscher, und hier sei noch des berühmten Orientalisten S. Munk gedacht, den der Tod allzu früh der Wissenschaft entrissen, deren Zierde er war und in deren Dienst er erblindete. Munk war Mitglied des Instituts und Professor am Collège de France und hat durch sein reiches Wissen, durch seinen edlen Charakter und sein unbegrenztes Wohlwollen dem deutschen Namen viel Ehre gebracht.

An Millionären fehlt es unter den Deutschen in Paris auch nicht. Ein beträchtlicher Theil des Pariser Bankgeschäfts befindet sich in deutschen Händen. Leider giebt es aber unter unseren in

Paris lebenden Landsleuten gar viele, denen zu der ersten Million

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_281.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)