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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

haben. Das Mädchen bezeigte ihm eine gleichmäßige Freundlichkeit, aber darüber hinaus ging sie nicht. Für seine Liebesbetheuerungen hatte sie kein rechtes Verständniß; offenbar theilte sie seine glühenden Gefühle nicht und war zu ehrlich, um Leidenschaft zu heucheln; sie duldete seine kleinen Zärtlichkeiten, ohne dieselben zu erwidern.

Nach gewöhnlichen Voraussetzungen hätte ihm dieses ungleichartige Verhältniß auf die Dauer unerträglich werden müssen, allein in Wirklichkeit fühlte er sich täglich mehr zu Marie hingezogen. Ein ähnliches Verhältniß zu einer höherstehenden Dame würde ihn wahrscheinlich zur Verzweiflung gebracht haben, hier aber lag in dem Widerstreben der naturwüchsigen Jungfräulichkeit iein eigenthümlicher Reiz für ihn. Er sagte sich: sie würde dich lieben, wenn du kein Fürst wärest, und er bedauerte, daß ihm das Schicksal nicht vergönnt habe, ihr zuerst im schlichten Gewande entgegenzutreten, wie jener Ritter des Liedes seiner ländlichen Geliebten, die er in Bauerntracht gewann, um sie dann, ihres Besitzes sicher, als große Dame in sein Schloß zu führen.

Als Alexander einmal wieder allein mit Marie am Staket des Gartens stand, über welches hinweg sie eben gemeinsam die Hühner gefüttert hatten, fragte er sie:

„Würdest Du mich gleich geheirathet haben, Marie, wenn ich Dir von vornherein als ein Mann Deines Standes, aber sonst ganz wie ich bin, entgegengetreten wäre?“

„Ei gewiß,“ antwortete sie, „wenn Ihre und meine Eltern ihren Segen dazu gegeben hätten.“

„Warum nennst Du mich nicht auch Du, wie ich Dich nenne?“

„Weil Sie ein vornehmer Herr sind und ich ein geringes Mädchen bin.“

„Dir gegenüber bin ich kein vornehmer Herr, ich stelle mich ganz auf gleichen Fuß mit Dir; warum erinnerst Du mich immer an das, was ich nicht sein will?“

„Weil Sie nicht aufhören können es zu sein, auch wenn Sie wollen.“

„Ich könnte Dir wirklich böse werden über Deine Hartnäckigkeit.“

„Wie könnten Sie mir böse werden, da ich Ihnen so gut bin!“ – sagte sie, ihm treuherzig die Hand reichend; und er war wieder selig.

Die schon lange erwartete Antwort von seinen Eltern aber blieb aus.

4.

Die Schilderung der Scene, welche der jähzornige Fürst Michail seiner Gemahlin machte, als sie ihm in einer – wie sie glaubte – guten Stunde die Wünsche Alexanders mittheilte, wollen wir unseren Lesern ersparen.

Dimitry erhielt von seinem Bruder einen in der wüthendsten Aufregung geschriebenen Brief, worin er ihm vorwarf, daß er ihn schändlich hinter’s Licht geführt und betrogen habe. „Entweder,“ schloß er, „Du reißest auf der Stelle mit Gewalt meinen entarteten Alexander von der nichtswürdigen Bauerndirne los und bringst die Verbindung mit Olga zu Stande, oder ich reiße mich auf ewig von Dir und ihm los.“

In Folge dieses Briefes hielt es Dimitry nicht für gerathen, die schon so lange verzögerte Vollendung der Cur Alexander’s abzuwarten; der Brief, den der verliebte junge Fürst an seine Mutter geschrieben hatte, war dem Onkel vom Vater zu besserer Einsicht in den Stand der Dinge beigelegt worden, und er zweifelte keinen Augenblick daran, daß sein Neffe, dessen Benehmen ihm schon bei der ersten Begegnung in Liebenstein wunderlich genug vorgekommen war, völlig den Verstand verloren haben müsse, um an eine ernste Verbindung mit dem hübschen Bauernmädchen zu denken. Unverzüglich machte er sich auf den Weg nach Liebenstein, um den Weisungen seines Bruders pünktlich Folge zu leisten.

Er fand Alexander nicht zu Hause, dafür aber dessen alten treuen Diener Peter, der ihn schon als Kind auf den Armen getragen und seitdem immer begleitet hatte.

„Aber was zum Teufel, Peter,“ rief er, „ist mit Deinem jungen Herrn vorgegangen?“

„Der Himmel weiß es, wie es gekommen ist, daß er sich so über Hals und Kopf in das hübsche Mädchen verliebt hat. Aber es scheint, daß er nicht von ihr lassen kann; er hat mir sogar gesagt, er wolle sie heirathen. Den ganzen Tag steht er mit ihr auf dem Felde und hackt das Kartoffelland oder pflanzt Kohlrüben um.“

„Hackt Kartoffeln und pflanzt Kohlrüben um? Sag’ einmal ehrlich, Peter, glaubst Du nicht, daß er den Verstand verloren hat?“

„Nein, das glaub’ ich nicht, gnädiger Herr; er ist so verständig und gut, wie er immer war; nur hat er für nichts Anderes mehr Sinn als für das hübsche Mädchen.“

Dimitry war nicht so leicht von der Ansicht abzubringen, daß es mit dem Kopfe seines Neffen nicht ganz richtig stehe; er ließ sich zu seinem Arzte führen, erfuhr aber von diesem auch nicht mehr, als ihm Peter gesagt hatte. Am meisten fiel es ihm auf, zu hören, daß das Verhältniß des jungen Fürsten zu Marie allgemein als ein ganz unschuldiges gelte, daß diese sich des besten Rufes erfreue und sehr geachtete, brave Eltern habe.

Unglaublich wie ihm dieser Bericht klang, bestimmte derselbe doch seinen Entschluß, möglichst sanft gegen seinen Neffen vorzugehen. Er ließ sich von Peter auf das Feld führen, wo er wirklich Alexander in Gesellschaft Mariens und ihres Vaters (die Mutter war zu Hause geblieben) beschäftigt fand, die Erde um die Kartoffeln herum zu lockern. Der junge Fürst hackte mit einem Eifer darauf los, daß er lange seinen Onkel gar nicht bemerkte, da er daran gewöhnt war, von neugierigen Gaffern angestaunt zu werden, ohne sich um sie zu kümmern. Als er endlich Dimitry’s ansichtig wurde, begrüßte er ihn ziemlich einsilbig; er fühlte keine Freude über das Wiedersehen und heuchelte auch keine. Das lange Ausbleiben der so sehnlich erwarteten Briefe von Haus hatte ihn schon mit den schlimmsten Gedanken vertraut gemacht; als er nun durch Dimitry’s Bericht seine trüben Ahnungen erfüllt sah, war er tief gebeugt, aber nicht überrascht. Marie bemerkte, daß er kreideweiß wurde und seine Hacke fallen ließ; sie sprang auf ihn zu und fragte, ihm zärtlich in’s Auge blickend, was er habe.

„Folg’ mir zur Mutter in’s Haus,“ sagte er. „Ihr sollt Alles wissen. Dies hier ist mein Onkel, der mit Nachrichten von meinen Eltern kommt; er wird uns begleiten.“

Marie, innig bewegt, sprach ein paar Worte zu ihrem Vater, der sich danach bewogen fühlte, seine Arbeit einzustellen, um sich dem Heimzuge anzuschließen. Er nahm sämmtliche Hacken auf seine Schulter und ging mit Marie voraus. Alexander ließ sich willenlos von Dimitry am Arm führen, sprach aber auf dem ganzen Wege kein Wort, so viel der Onkel auch in ihn hineinredete. Marie sah sich öfter nach ihm um; die dicken Thränen standen ihr in den Augen.

Die Mutter war in der Küche beschäftigt, als der Zug zu Hause ankam. Sie legte ihre Arbeit bei Seite und trat in das reinliche Zimmer, auf dessen Tische eine Bibel lag und ein frischer Strauß Blumen stand. Dimitry begrüßte sie mit achtungsvoller Freundlichkeit, ganz erstaunt über ihre intelligenten Züge und ihr schönes, kluges Auge.

„Es thut mir von Herzen leid,“ sagte er, „daß ich als ein Bote in’s Haus komme, der keine guten Nachrichten bringt. Mein Neffe, dessen Liebe zu Eurer Tochter ich jetzt vollkommen begreife, hat seine Eltern um ihren Segen zu seiner Verbindung mit ihr angefleht; allein sein Vater, mein leiblicher Bruder, hatte schon früher anders über ihn verfügt und giebt seinen Segen zu dieser Verbindung nicht.“

„Das habe ich mir gleich gedacht und auch dem gnädigen Herrn gleich gesagt, denn es war nicht denkbar, daß ein reicher Fürst seinem einzigen Sohn erlauben werde, ein schlichtes Landmädchen zu heirathen, das in große Verhältnisse gar nicht paßt, weil es nicht dafür erzogen ist. Wenn ich trotzdem dem jungen Herrn erlaubt habe, täglich mit meiner Tochter zu verkehren und mein Haus als das seinige zu betrachten, so geschah das nur, weil ich wußte, daß ich mich auf meine Tochter verlassen konnte, und auf den jungen Herrn auch, denn ein so braver, guter Herr wie dieser ist mir noch nicht vorgekommen. Dem sieht man’s auf den ersten Blick an, daß an ihm kein falsches Haar ist; der kann keine anderen als ehrliche Absichten haben; dem kann jede Mutter ihr Kind ruhig anvertrauen. Dennoch habe ich mich oft gefragt, ob es nicht Sünde wäre, sich, wenn auch ganz schuldlos, dem Gerede der Leute auszusetzen, das nun einmal nicht zu umgehen ist, wenn ein Mann und ein Mädchen oft beisammen sind. Aber ich konnt’ es nicht über’s Herz bringen, die jungen Leute zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_291.jpg&oldid=- (Version vom 11.2.2019)