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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

deutschen Nation selbst schon vollkommene Genüge gewährt haben. Gleichgültig schon wurde vor einigen Jahren Karl August’s und Goethe’s Briefwechsel aufgenommen. Es werden täglich immer wieder Versuche gemacht, uns durch Bild und Wort mitten in die alten literarischen Zustände zurückzuführen, die großen Persönlichkeiten uns in Situationen zu zeigen, die annähernd einige Wahrscheinlichkeit für sich haben. Es bedürfte aber nur eines gelegentlichen Einfalls einer befähigten Feder, um diese Arbeiten als reine Phantasiestücke hinzustellen, die, wenn sie bedeutend sind, eben so auch schon wieder aus einem neuen Geist, einem fortzeugenden und der Nation neue Errungenschaften zuführenden Trieb entstanden sind und entstehen. So ist ja auch die Wagner’sche Wiederbelebung der Romantik eine andere als die Romantik selbst, leider, wie uns scheint, eine zu doctrinäre und in den „Meistersingern“ geradezu schulbuchmäßige.

Geheimerathsliteratur, Schulcompendienpoesie, Philologenwonne - auf diese steuerte so recht die Zeit hin, als Mendelssohn componirte. Tieck lebte damals noch und an Kritikern auf hohen Rossen war kein Mangel. Man hatte akademische Träume, selbst für unsre schöne Literatur. Man dachte sich Poeten möglich, die gleichsam, wie von den Töchtern der Frau Crelinger gesagt wurde, als diese zur Bühne gingen, schon mit Glacéhandschuhen auf die Welt gekommen sind. Man vergaß, daß Frankreichs Akademie eine ganz andere Erfahrung lehrt. Bei jeder neuen Besetzung eines erledigten Stuhls derselben kämpfen jetzt zwei Parteien, eine, die eine Literatur der überlieferten Regelmäßigkeit schützen und befördern will, eine andere, die dem wildwachsenen, durch die praktischen Zwecke der Literatur geleiteten, individuell entwickelten Talent die akademische Auszeichnung gönnt. Und siehe da! die letzte Partei siegt. Die Akademie bequemt sich, sich in Autoren zu finden, die ihren eignen Weg gegangen sind. Bei uns hoffte man noch bis in die neueste Zeit auf die Resultate künstlich-classischer Fischzucht. Die Bühne sollte das „beste“ der gelieferten Dramen krönen, und wenn es nur so im deutschen Dichterwald gegangen wäre, einige junge Poeten waren bereit, sich um den vacanten Goethe-Thron zu bewerben. Einen Talentvollen gab es, von dem man gesagt hat, seine Eltern hätten ihn eigens zu einem künftigen Goethe erzogen. Aber mit Bildung und Vornehmthun allein läßt sich nichts erreichen. Man setzt da wohl einen Schritt hinaus auf das glatte Parquet der Erfolge und der Fuß tritt fest und sicher auf, zumal wenn fürstliche Huld mit Titeln und Orden zu Hülfe kommt, und schon beim zweiten kommt der Zukunfts-Goethe wie jeder Andre zu Fall. Manche fingen da an recht menschlich zu reden. Sie schrieben Dramen mit dem Programm: Erst gewinn’ ich mir mein Publicum durch etwas Zuthat Birchpfeiffer! Hab’ ich’s, dann soll man den neuen Shakespeare sehen! Man wartet seither auf diese letzte Enthüllung vergebens, und ein „gekrönter“ Dramatiker, Namens Lindner, hat es inzwischen schon umgekehrt gemacht. Er fing mit dem „neuen Shakespeare“ an und arbeitet jetzt für die Berliner Wallnerbühne. Während einige deutsche Fürsten das Theater auf den Hund bringen, hat er den guten Gedanken gehabt, Karl August von Weimar zu schildern, der einen Hund auf’s Theater brachte. Der letzte ästhetische Gothaner, der etwas vorstellt, möchte vielleicht Emanuel Geibel sein. Dieser versuchte in München eine Fortsetzung der alten Weimarzeit und wäre ganz ein Mann nach dem Herzen Ihres kürzlich verstorbenen alten Akademikers Nisard gewesen, der nur Fabeln und Eklogen gedichtet haben wollte – vor einigen zwanzig Jahren rief er einen Sturm in der Pariser Presse hervor durch seine Bezeichnung der neuen französischen Literatur als la littérature facile. Nun, auch Geibel, dieser in so wunderbarem Farbenglanz prangende Vogel, ein Sänger des gewähltesten Ausdrucks, immer sinnig und bedeutend in seinen Zwecken. klug und weise in den Zuspitzungen seines Effects und besonders den Frauen ein Name süßesten Klanges, recht ein Felix Mendelssohn in der Literatnr – dieser nun flattert im Drama von Stoff zu Stoff, ohne es darin zu jener welt- und herzbezwingenden Wirkung bringen zu können, die dem Drama zu Theil werden muß. wenn es sich lohnen soll, an dieser Stelle mit den Bevorzugten der Tagesgunst zu wetteifern …

Vielleicht gewinnt Richard Wagner einen neuen Standpunkt für die Aufklärung und Ergründung der Quellen seiner von ihm vorausgesetzten Unpopularität, einen Standpunkt, der dann zu gleicher Zeit auch der Literatur und all’ unserer sonstigen Culturgeschichte zu Gute käme und auf welchem man vollkommen seiner Richtung einen leidlich siegreichen Durchbruch und manchen Triumph wünschen könnte wenigstes über die vulgäre Traditionsmusik und – die Vornehmthuerei. Möge ihm dann seine diesmal falsch gewählte Spur, die Abirrung in’s Ghetto, vergeben und vergessen sein!




Ein parlamentarischer Abend bei Bismarck.

Die Ueberraschungen, die Bundesrath und Abgeordneter des norddeutschen Bundes, Regierungscommissar und Preßmensch zu Hause finden, wenn sie nach heißem Tagewerk und spätem Abendessen zu ihren Berliner Penaten pilgern, sind nicht übermäßig trostreich. Sie beschränken sich in der Regel auf ein umfangreiches Paket von Drucksachen, welches die nächste Tagesordnung des Reichstags und eine Ueberproduction von neuen „Verbesserungsanträgen“ zur Gewerbeordnung etc. enthält, – nicht selten auch Verschlechterungsanträge, zu denen sich ein Hochtory oder ein Socialdemokrat des Hauses ermuthigt fühlt und an denen das Beste ist, daß sie nur die Zeit des Lesens verschlingen und mit „sehr großer Majorität“ abgelehnt zu werden pflegen, wie der Präsident Simson jeweilig zu erhärten liebt. Auch Briefe, und namentlich Briefe von zu Hause, bilden nicht selten einen integrirenden Theil der geistigen Nachtmahlzeit.

Man mag sich daher unsere Ueberraschung denken, als jüngst aus einem der Nachts vorgefundenen Couverts sich folgende Einladung herausschälte: „Graf Bismarck-Schönhausen wird dankbar erkennen, wenn der Bundesrath, Abgeordnete, Geheime Regierungsrath so und so ihn vom 24. April d. J. ab Abends neun Uhr jeden Sonnabend während der Dauer der Reichstagssession besuchen wird.“ Die Einladung liegt uns im Urtext augenblicklich nicht vor, aber wir können beim Styx beschwören, daß dies der gastfreie und sinngetreue Inhalt ist.

„Was thun? spricht Zeus,“ fragte in diesem Falle nur der reine Socialismus. Alle anderen Parteien des Reichstags, auch der kleinste Bundesrath aus dem kleinsten Bundesstaate, waren sofort mit sich einig, der Einladung zu folgen. Das Verhältniß des Reichstags und Bundesraths zum Bundeskanzler ist ja dieses Jahr ein so überaus vortreffliches, so viel besser als die letzten Tage des April 1868 durch den bekannten Reichstagsbeschluß vom 22. April 1868 sich gestalteten. Damals die Bundesanleihe verclausulirt durch das Verlangen parlamentarischer Verwaltung und Controle, damals Flottentrüstungsterrorismus, und heute eine durch die vereinigten liberalen Parteien des Hauses so gründlich verbesserte Gewerbeordnung, daß dem Bundeskanzler im Stillen das Herz im Leibe lacht, eine Reihe von Antragen, auf Redefreiheit der Einzelkammern, auf verantwortliche Bundesministerien, auf Uebertragung des ganzen bürgerlichen Rechts an den Bund, die sammt und sonders trotz der widerstreitenden Auslegung der feudalen Zeitungen Preußens sich gezeigt haben als große und theilweise entschiedene Vertrauensvoten der norddeutschen Volksvertretung für die Politik der Bundesregierung. Giebt es einen natürlicheren Gedanken als den, daß der Kanzler die Vertreter der Nation, die ihn zum allergrößten Theil freudig begleiten und stützen auf dem steinigen Pfade deutscher Politik, den er einhergeht, bei sich am häuslichen Heerde versammelt, um einmal auch die Stunden fröhlicher Muße mit ihnen zu verleben, wie die der schweren täglichen parlamentarischen Arbeit; einmal in munteren Scherzen sich zu messen, statt in dem schweren Geschütz der stenographirten europäischen Reden im norddeutschen Parlament? Dasselbe Bedürfniß empfand fast jeder Abgeordnete und Bundesrath und sonstige Mitarbeiter an der Bundesgesetzgebung wohl in gleichem Maße.

In Allem, was den Bund angeht, pflegen die Stunden mit militärischer Genauigkeit eingehalten zu werden. Von dieser bundestreuen Voraussetzung ausgehend, verfügte ich mich alsbald nach neun Uhr Abends nach dem bekannten unscheinbaren einstöckigen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_312.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)