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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Marsano ist ein schöner Greis, von hoher, imponirender Gestalt. Das volle, schneeweiße Haar, die breite, gedankenreiche Stirn, die energische Nase, der ganze geistige Ausdruck seines bedeutenden Gesichtes üben auf den Besucher einen mächtigen Eindruck, und wenn der Dichter in seinem Lehnstuhle ruht, eingehüllt in seinen Shawl, der ihn wie eine Toga umfließt, nur halb beleuchtet von dem durch grüne Schirme gedämpften Licht der Lampe, bietet er ein Bild, das traumhaft auf die Seele des Beschauers wirkt, wie ein Lied aus alten verklungenen Tagen.

Kaum giebt es eine Berühmtheit, zumal in Oesterreich und Italien, mit der er nicht in reger Verbindung gestanden hätte. Namentlich in Italien wirkte er nachhaltig für die Kunst. Als Erzherzog Rainer Vicekönig von Italien war und in Mailand residirte, war Marsano viele Jahre hindurch maßgebend für sämmtliche Mailänder Theater, arrangirte Ballets, daß die ältesten Balletmeister in Erstaunen geriethen, und war die competente Instanz für alle Inscenirungen. Die Opern Rossini’s, Donizetti’s, Bellini’s, Verdi’s etc. werden noch jetzt überall so gegeben, wie Marsano sie an der Scala in Mailand arrangirt, und alle Kunstcapacitäten fügten sich willig seinen Winken.

Er wohnte den Triumphen der Pasta bei, er sah das erste Auftreten der Malibran in jener „Norma“, die Bellini für die Pasta geschrieben und die Letztere kurz vor der Malibran gesungen, so daß Alles den Fiasco der Anfängerin mit Bestimmtheit erwartete. Marsano hatte gleich anfangs Vertrauen zu der damals noch so unbedeutenden, wenig versprechenden Sängerin. – Und wie sang sie die „Norma“, welch’ ein Jubel erschütterte die Scala!

Marsano fand die Ristori, als sie noch bei einer Gesellschaft von ärmlichen Possenreißern gaukelte, die nur lustige Farcen gaben, höchstens sich zu den Lustspielen Goldoni’s verstiegen. Er fand sie in tiefster Armuth mit Vater, Mutter und Geschwistern in einer schlechten, engen Kammer zusammengedrängt, und war der Erste, der auf das bedeutende Talent der jungen Schauspielerin aufmerksam machte und entgegen dem damaligen Gebrauche der Kritiker in Italien, die sich nur mit der Oper beschäftigten, auch auf die Leistungen der Ristori hinwies.

Die damals in Mailand erscheinende deutsche Zeitschrift „Das Echo“, deren Hauptmitarbeiter und zeitweiliger Redacteur Marsano war, brachte eine reiche Auswahl seiner Kritiken, Gedichte etc.

In Italien holte sich der Dichter auch seine Lebensgefährtin, ein Mädchen von blendender Schönheit, einer der angesehensten Adelsfamilien von Bologna angehörig. Diese seine Frau beschenkte ihn mit zwei Söhnen und zwei Töchtern, liebenswürdigen hochgebildeten Mädchen, die anmuthvoll im Hause des greisen Dichters walten und ihm die letzten Tage bis zu seinem Heimgange verklären.

So lebt Marsano in seinem Heim, umgeben von den Bildern berühmter Menschen, die er gekannt in den Tagen seiner Triumphe. Das verlorene Augenlicht hat den Dichter sehr weich gestimmt, und erschütternd wirkte es auf mich, als einst ein alter Bekannter zu Marsano kam und, nichts von seiner Blindheit wissend, den unbeweglichen Greis anrief: „Ja, kennst Du mich nicht mehr?“ Da brach der alte Sänger in Thränen aus, und schluchzend rief er: „Siehst Du denn nicht, Unglückseliger, daß ich blind bin?“ Bei dieser schwermüthigen, oft geradezu schwarzen Stimmung ist es erklärlich, daß Marsano keine tiefe, schwere Lectüre verträgt, sondern es besonders liebt, wenn man ihm Humoristisches oder Theaterskizzen vorliest, von denen namentlich die letzteren ihn an die schönste Zeit seiner Wirksamkeit erinnern. Nur Friedrich Hebbel’s „Nibelungen“ war er begierig kennen zu lernen, und ich las ihm dieselben vor.

Was aber an dem Greis bewunderungswürdig erscheint, das ist sein sonores, prächtiges Organ, um das ihn noch jetzt junge Schauspieler beneiden könnten, und an freundlichen, schmerzlosen Tagen sein umfassendes Gedächtniß. Zudem hat Marsano ein schauspielerisches Talent, welches ihn, würde er die theatralische Laufbahn erwählt haben, zu einem der bedeutendsten Mimen gemacht hätte.

Seit langer Zeit hat der kranke Dichter nichts geschrieben, aber seine Mappe birgt einen Schatz von frühlingswarmen Liedern, die er, als er sich noch des Augenlichts erfreute, auf dem Gute seiner Frau bei Bologna gedichtet. Er ist auch ein großer Freund der Musik und selbst musikalisch, in seinem Salon wird viel und meist gute Musik gemacht. Nur von Richard Wagner will er nichts hören und pflegt denselben härtnäckig einen „Wahnsinnigen“ zu nennen.

Kommt er jedoch auf seine Erlebnisse im Elsaß, seine theatralischen Verbindungen, seine Begegnung mit Ludwig Tieck und anderen Berühmtheiten, seine Abenteuer in Rom und Neapel, überhaupt sein Wirken in Italien zu sprechen, da möchte man stundenlang seinen Worten lauschen und – dabei lernen. Nicht selten springt er auch zur Gastronomie über, denn Marsano ist ein großer Gourmand, trotz seiner gichtischen Leiden, die oft so überhand nehmen, daß er sich wochenlang einsperrt und nur für ein paar vertraute Freunde sichtbar wird, zu denen zu zählen auch Schreiber dieses so glücklich ist.

Mögen diese Zeilen dazu beitragen, die Aufmerksamkeit wieder auf den blinden Dichter zu lenken, der, wie ein Geschichtsschreiber Oesterreichs sagt, „einer unverdienten Vergessenheit entgegen geht“! Möge kein Fremder von Bedeutung, der das reizende Görz berührt, versäumen, den Salon des liebenswürdigen Sängergreises zu besuchen, und möge es ihm dann gelingen, jene Saite dieses so reichen Herzens zu treffen, die einen Sonnenstrahl ehemaligen Glücks auf die edlen Züge zaubert und tausend Lieder erklingen macht, wie sie einst so viele Leser entzückt haben!

Triest, April. H. P.     




Blätter und Blüthen.

Trotz alledem dem Verdienste seine Krone! – Wenn auch eine herbe Wahrheit in dem Spott liegt, mit welchem jüngst ein Amerikaner über den Eifer herfiel, mit dem die Deutschen auf die Ehre vieler Erfindungen pochten, zu deren Ausführung sie weder Muth noch Kraft gezeigt, weder Fähigkeit noch Mittel angewendet und die man erst im Ausland ausgeführt und dann dort aber auch sich zugeschrieben habe, so bleibt es doch eine Sache der Gerechtigkeit, das verborgene, verschollene oder absichtlich unterdrückte Verdienst solcher gerade wegen der gerügten großen deutschen Unterlassungssünden doppelt beklagenswerthen Männer, wenn auch noch so spät, noch zur Anerkennung zu bringen. Wir erhalten soeben eine neue Gelegenheit zu einer solchen Ehrenrettung. Wie uns Lehrer J. Kurtz in Ravensburg mittheilt, findet sich in einem zu Wien gedruckten „Dictionnaire“ zum Worte Luftball folgende (französisch geschriebene) Notiz, die wir hier deutsch folgen lassen: „Der Luftballon (globe ascendant) ist im Jahre 1666 von Herrn Lohmayer, Professor zu Rinteln, erfunden, welcher in einer Dissertation eine Schilderung und Abbildung dieser ‚Maschine‘ gab. Die Herren Montgolfier haben diese Erfindung reproducirt, und sie ist dann in Wien, Berlin und anderen Städten Deutschlands nachgeahmt worden.“ –

Die hier citirte Dissertation ist vielleicht nur in wenigen Exemplaren über das Weichbild der ehemaligen Universitätsstadt Rinteln hinausgekommen. Wenn bei der Aufhebung dieser Hochschule (durch die Westphälische Regierung, 1810) die Universitäts-Bibliothek an das Gymnasium übergegangen ist, so ist sicherlich dort das werthvolle Schriftstück zu finden, welches beweist, daß nicht erst von den Engländern Cavendish und Black, sondern gerade hundert Jahre früher von einem deutschen Gelehrten die Lehre von leichteren Luftarten und verdünnter atmosphärischer Luft aufgestellt wurde, welche letztere noch abermals weit früher schon von all’ den Kindern benutzt worden ist, die je eine Seifenblase in die Luft haben steigen lassen. F. H.     




Hauptmann Lüders. In Veranlassung des Aufsatzes in Nr. 17 unserer Zeitschrift: „Ein Besuch auf dem Kirchhof in Kissingen“ sind unserer Redaction Zuschriften zugegangen, welche den Beweis liefern, wie lebhaft noch immer das Interesse an den Ereignissen des Jahres 1866 in allen Kreisen der Gesellschaft vorherrscht. Auch sind uns von verschiedenen Seiten Beiträge offerirt worden, um das Grab des in dem Aufsatz erwähnten gefallenen Hauptmanns Lüders in einer entsprechenden Weise zu schmücken. Wir freuen uns, unseren Lesern mittheilen zu können, daß der betreffende Gegenstand inzwischen seine Erledigung gefunden hat. Die Wahrnehmungen unseres Verfassers rühren noch aus der letztvergangenen Kissinger Bade-Saison her.

Ziemlich gleichzeitig hat das fünfundfünfzigste preußische Infanterie-Regiment, welchem der verstorbene Hauptmann Lüders angehört hat, Kenntniß erhalten von dem in unserem Aufsatz geschilderten Zustand des betreffenden Grabes. Das Regiment, das in den verschiedenen Gefechten des Jahres 1866 fünfzehn Officiere und einhundertfünfunddreißig Mann verloren und bereits erhebliche Opfer gebracht hat, um das Andenken dieser Tapferen zu ehren, hat damals sofort Anstalten getroffen, um auch den Kissinger Gräbern alle mögliche Fürsorge zuzuwenden. Das Regiment hat nicht nur einen erheblichen Beitrag zu dem gemeinschaftlichen Monument in Kissingen gezeichnet, sondern die Badegäste in Kissingen werden sich in diesem Sommer mit uns freuen, das Grab des Hauptmanns Lüders mit einem schönen Gedenkstein in würdiger Ausstattung geschmückt zu sehen.





Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 336. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_336.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)