Seite:Die Gartenlaube (1869) 348.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Bilder aus dem Schwarzwalde.
V. Von St. Georgen bis zum Wald hinaus.

Als ich in der Nähe von St. Georgen, dessen marktfleckliches Bild dem Leser noch von Nr. 11 im Gedächtniß ist, gedankenvoll dahin und an einem alten Bauernhause vorüberschleuderte, störte meine Innerlichkeit plötzlich ein schwarzes, bänderreiches Häubchen. Unter dem Häubchen zeigte

In der Nähe von St. Georgen.
Nach der Natur aufgenommen von Theodor Pixis.

sich ein feines, jugendliches Antlitz, welches, obgleich nur einem Bauernmädchen gehörend, doch jedes städtischen Fräuleins würdig gewesen wäre. Das Gesichtchen saß auf einem zierlichen Hals, welcher seinerseits aus einem weißen Hemd hervorbrach. Hierauf folgte ein rothes, mit Goldstreifen besetztes Mieder und bauschige, kurze, schneeweiße Aermel, welche einen vollen runden Arm nur halbwegs verhüllten. Das Mädchen lehnte auf dem Rücken der Sommerbank und schaute lächelnd dem Spiel der Tauben zu, die in Sand und Gras ihr Futter zusammenlasen. Als sie meiner ansichtig wurde, wollte sie sich aufrichten, um meines Grußes gewärtig zu sein, allein ich begann sofort. „Halt, halt, edles Mädchen, ihr seid so bildmäßig gestaltet und gestellt, daß ich Euch alsbald in meiner Mappe verewigen muß. Bewahrt Eure Haltung, ich bitte Euch herzlich, nur fünf Vaterunser lang, bis ich Euch gezeichnet habe.“ Sie schien mich zu verstehen, in meinen reinen Blicken die Unschuld meiner Absicht zu lesen und legte sich ganz genau wieder über die Lehne, wie sie vorher gelegen war. Also begann ich zu zeichnen und war in kurzer Zeit mit der freundlichen Arbeit fertig. ich weiß nicht, ob es mir gelangen ist, die Anmuth dieser Gestalt so faßlich wiederzugeben, daß der Beschauer seine Freude daran haben kann, aber daß ich es nach meinen besten Kräften versucht habe, ist gewiß und unbestritten.

Während ich darauf zu Hause die flüchtige Skizze in’s Reine arbeitete, erwachte leider ein ungeregelter Schöpfungstrieb und an der Stelle, wo die Tauben gefludert hatten, entstand allmählich ein junger Mensch mit lockigem Haar, angenehmen Zügen und zierlichem Schnurrbärtchen. – Ach, welch’ ein niedliches Pärchen! dacht’ ich mir – und wenn erst ein gewandter Schriftsteller den Text dazu schreibt – was kann er da Alles daraus machen! Damals glaubte ich nämlich, es werde irgend eine ändere Kraft reicher an Phantasie als ich, die Erklärung meiner Bilder übernehmen. – jetzt dagegen, da mich diese Hoffnung getäuscht und die Ausgabe auf meine eigenen Schultern gefallen, jetzt empfinde ich eine große Verlegenheit, indem ich selbst nicht weiß, wer der Jüngling eigentlich ist. Nach der offenen Mappe, die er in den Händen hält, sollte man ihn am ehesten für einen Maler halten. Manche könnten daher meinen, ich hätte mich da selber anbringen wollen, aber ich bin weder so jung, noch, wie ich glaube, so hübsch. ich sehe jetzt leider ein, daß es viel leichter ist, in unbewußtem Triebe einen solchen Jüngling neben ein Mädchen hinzusetzen, als seine Persönlichkeit und das gegenseitige Verhältniß glaubwürdig zu erläutern, und darum ziehe ich es vor, der Goethe'schen "Lust am Fabuliren“, von welcher jedes heitere Menschenkind sein Portiönchen erhalten hat, in unseren Lesern selbst die Ausmalung der fernerweiten Schicksalsgruppirungen zu diesem Bild vom ersten Finden an völlig zu überlassen. Der Wanderstab will ohnedies jetzt weiter getragen sein. Von dem unvergeßlichen Sanct Georgen zog's mich nach Villingen, einer uralten Stadt, welche bereits außerhalb des eigentlichen Schwarzwaldes liegt. Die Berge verlieren sich, die Landschaft wird hügelig, fruchtbarer, aber minder angenehm zu beschauen. Das Städtchen hat übrigens allerlei Merkwürdigkeiten, von denen man in der Welt draußen wenig weiß. Es ist da zum Beispiel ein alter Römerthurm, ein Münster mit zwei dicken, mittelalterlichen Thürmen, gothischem Altar und gemalten Fenstern; im Waisenspital ein gothischer Kreuzgang; ein Rathhaus mit merkwürdigen Sälen, Wappen, Holzschnitzereien, Gefängnissen und Folterwerkzeugen. Ueberdies legen sich die Einwohner mit Fleiß

und Geschick auf die Industrie. Man fertigt Tücher, Steingutwaaren,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_348.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)