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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

weit überwogen wird, so daß die Wirkung der Schwerkraft des Mondes auf die irdischen Dinge wohl mathematisch berechnet werden, aber ihrer extremen Kleinheit wegen nicht zur Wahrnehmung gelangen kann. Läßt man, wenn der Mond über uns steht, eine Seifenblase oder eine Flaumfeder in der Luft schweben, so bemerkt man nicht die leiseste Wirkung von der Anziehung des Mondes. Wie verhält es sich nun aber mit jener Naturerscheinung, die wir Ebbe und Fluth nennen? Sie hängt bekanntlich von der Anziehung des Mondes und der Sonne ab, wobei die des viel kleineren, doch viel näheren Mondes um ein Drittel stärker wirkt, als die Anziehung der Sonne. Der durch diese vereinte Anziehung entstehende Fluthhügel enthält ungefähr hundert Kubikmeilen Wasser, eine Masse, die in runder Summe die Kleinigkeit von tausend Billionen Centnern wiegt. Aber man würde sehr irren, wenn man sich das Verhältniß so dächte, als würde jene enorme Last vom Monde in der Weise gehoben, wie etwa ein Mann ein Centnergewicht hebt oder wie ein Magnet einen Nagel anzieht. Blickt man auf die spiegelglatte Fläche eines noch so großen Landsees, während der Mond in unserem Zenith steht, so wird man nicht die mindeste fluthartige Erhebung des Wassers bemerken. Die Bedingungen zur Entstehung des Fluthhügels sind durch die außerordentlich große Verschiebbarkeit der Wassertheilchen an einander und durch die ungeheuere Ausdehnung des Wasserbeckens, welches man den stillen Ocean nennt, über mehr als einen Erdquadranten gegeben. Es wirken hierbei Ursachen zusammen, die hier auseinander zu setzen zu weit führen würde. Jede physikalische Erdbeschreibung giebt darüber Aufschluß.

Zur Bestätigung des Einflusses des Mondes auf das Wetter hat man sich darauf berufen, daß er, wie auf den Wasserocean, auch auf den Luftocean, die Atmosphäre, wirken und hier eine Art Fluth und Ebbe hervorbringen müsse. Theoretisch war dies auch schon lange angenommen, aber jahrelanger, subtiler Beobachtungen an den feinsten Barometern bedurfte es, ehe es gelang, außerordentlich kleine Schwankungen als die Wirkung der Anziehungskraft des Mondes nachzuweisen. Was wollen diese Schwankungen sagen gegen das in unseren Breiten oft mehrere Linien auf einmal betragende Schwanken des Barometers, welches in seiner letzten Ursache durch Wärmedifferenzen bewirkt wird und also auf die Sonne zurückbezogen werden muß? Wir finden demnach auch hier keinen Grund, dem Mond Einfluß auf das Wetter zuzuschreiben.

Die andere Art der möglichen Einwirkung des Mondes auf die Erde beruht in dem Licht, mit welchem er die dunkeln Erdennächte erleuchtet. So schätzbar dieses Licht für den nächtlichen Wanderer ist, wie für die städtischen Cassen, deren Straßenbeleuchtungsbudget durch den Mond wesentlich erleichtert wird, so ist doch der physikalische Einfluß, welchen das Licht des Mondes auf die Erde ausübt, ein äußerst geringer. Das Licht, welches uns der Vollmond spendet, beträgt nach zuverlässigen Berechnungen jedenfalls weniger als ein Zweihunderttausendstel von dem, welches wir von der Sonne empfangen. Wenn wir also von dem Einflusse des Lichtes auf das Gedeihen und Wachsen irdischer Organismen sprechen, so darf man ja die Sonne nicht vergessen und muß ihr immer eine wenigstens zweihunderttausend Mal größere Einwirkung zuschreiben, als dem Monde. Hieraus erhellt auch, daß es allen verständigen Haltes entbehrt, wenn man dem Eintritte der Lichtphasen des Mondes eine besondere Wirkung zuschreibt. Diese Phasen treten ja auch nicht auf einmal, sondern ganz allmählich wachsend oder abnehmend ein, und ebenso allmählich wie der volle Mond bis zum Neumond abnimmt, so vermindert sich auch sein Lichteinfluß von jenem kleinen Bruchtheil des Sonnenlichtes bis auf Null.

Noch weit kläglicher aber sieht es mit der Wärme aus, die der Mond der Erde zuführt. Nur durch langwierige Beobachtungen und mit Hülfe äußerst feiner Instrumente brachte es Melloni dahin, Wärmestrahlen des Mondes nachzuweisen. Ihre Wärme ist aber so gering, daß eine brennende Kerze aus einer Entfernung von fünfzehn Fuß uns dreimal mehr Wärme zustrahlt, als der Mond.

Es giebt bekanntlich noch sehr viele andere Arten des Mondaberglaubens. Beschränken wir uns auf die angeführten Beispiele und lassen wir den „guten Mond“ still am Wolkenhimmel hingehen, ohne ihm Dinge aufzubürden, an denen der harmlose Freund unserer Nächte völlig schuldlos ist.

Aber auf das Wetter muß ich doch noch einmal zurückkommen. Es giebt einen weit verbreiteten Glauben, dem zufolge das Wetter sich vorzugsweise gern und häufig Freitags ändern soll. Ja es existirt sogar ein altes Sprüchwort:

„Was wir den Sonnt’g für Wetter han,
Das fängt den Freit’g zu Mitt’g an.“

Es läßt sich nichts, was einem vernünftigen Grunde auch nur entfernt ähnlich sieht, hierfür anführen, und man pflegt daher auch in diesem Falle zu sagen, obgleich man den Grund der Erscheinung nicht kenne, so stehe doch die Thatsache fest. Diese Thatsache steht nicht nur nicht fest, sondern sie wird durch die Erfahrung gradezu widerlegt. Man sieht indeß aus diesem Beispiel auf’s Neue, wie höchst mangelhaft die Beobachtungen gewöhnlich angestellt werden. Wenn einer einmal an zwei oder drei Freitagen nach einander bemerkt hat, daß sich das Wetter änderte, so hält er sich für berechtigt zu sagen, nach seiner Erfahrung habe der Freitag Einfluß auf das Wetter. Nach den bereits erwähnten vierzig Jahre lang geführten meteorologischen Tabellen fielen von zweitausend Wetterveränderungen zweihundertneunundsiebenzig auf den Sonntag, zweihundertfünfundachtzig auf den Montag, zweihundertzweiundneunzig auf den Dienstag, zweihundertneunundsiebenzig auf den Mittwoch, zweihundertneunundachtzig auf den Donnerstag, zweihundertdreiundachtzig auf den Freitag und zweihundertdreiundneunzig auf den Sonnabend. Summa zweitausend. Die Thatsachen oder vielmehr die Zahlen sprechen!

Wollen wir den naturwissenschaftlichen Prüfstein: sorgfältige Beobachtung überall, und ganz besonders da, wo etwas gegen den streng gesetzlichen Gang, den die Natur immer einhält, zu verstoßen scheint – wollen wir diesen Prüfstein noch an einem letzten Beispiel anwenden, so lade ich meine Leser zu einer kurzen Betrachtung dessen ein, was man Hellsehen oder Somnambulismus im weiteren Sinne dieses Wortes nennt.

Es giebt unleugbar Zustände von krankhafter Reizung oder Erhöhung der Nerventhätigkeit. Wir beobachten z. B. nicht selten bei nervösem Zahnschmerz, daß die Geruchsnerven eine ungewöhnliche Schärfe ihrer Function entwickeln. Gewisse auf das Gehirn einwirkende krankhafte Reize, wie Wurmkrankheit, fehlerhafte Blutbildung etc. veranlassen häufig einen entweder abnorm tiefen oder einen sehr unruhigen Schlaf mit mehr als gewöhnlich lebhaften und zusammenhängenden Träumen und lautem Sprechen. Einzelne solcher, namentlich bei sensiblen bleichsüchtigen jungen Mädchen vorkommender Fälle gewähren nun allerdings einen ganz interessanten Beobachtungsgegenstand. Das Verworrene, Zusammenhangslose, was der Traum gewöhnlich hat, macht einem geordneten, zufammenhängenden Traumleben Platz, welches sich für den Beobachter in ebenso zusammenhängenden Schlafreden kund giebt. Im Traum erhält aber nie und nimmer jemand Kunde, weder über sich selbst noch andere Personen und Gegenstände, die er nicht schon auf gewöhnlichem Wege empfangen hätte. Der Traum ist immer nur ein Erinnern, Reproduciren, wobei freilich der Phantasie des Träumenden voller Spielraum zu den buntesten und wunderlichsten Combinationen gegeben ist. Dasselbe gilt auch von jenem erhöhten Traumleben, welches man Hellsehen oder Somnambulismus genannt hat. Für den psychologischen Forscher wird die Beobachtung der Aeußerungen dieses Traumlebens immer von großem Interesse sein. So wie wir aber hören, daß die Schlafende – denn wir haben es hier fast immer mit jungen oder alten Mädchen zu thun – daß also die Schlafende Dinge spricht, von denen ihr erst im Traume die Kunde zu kommen scheint, wenn sie beginnt zu prophezeien, wenn sie sagt, wo Dinge verborgen sind, von denen sie dem Anschein nach keine Kenntniß haben konnte, und ganz besonders, wenn sich dann jene Dinge an dem von der Somnambule angegebenen Platze zum allgemeinen Erstaunen wirklich finden: dann waffnen wir unser geistiges Auge mit der Brille des stärksten Zweifels, und dulden wir nicht, daß das edelste Geschenk, welches wir vom Schöpfer empfangen haben, unser gesundes Urtheilsvermögen, von den Nebeln einer krankhaften Phantasie umdüstert werde! Sollte aber jemand Gelegenheit haben, einer somnambulistischen Vorstellung beizuwohnen, wo ein Magnetiseur am Bett der Schlafenden steht, die niest, sobald der erstere eine Prise nimmt, wo die Somnambule einen auf ihre Magengegend gelegten versiegelten Brief liest, – dann empfehle ich ihm des Herrn von Bockum-Dolffs geflügeltes Wort: „ich verlange, daß man mir meinen Hut bringe.“

Unzählige Mal ist das Kunststück des Lesens verschlossener,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_351.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)