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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)



Altfränkisches Eherecht und Kampfgericht.

Es giebt nichts Verkehrteres und Herabwürdigenderes als die Vorurtheile, welche gegen unsere Vorfahren gang und gäbe sind. Man hört sie als rohe Barbaren mit den absonderlichsten Einrichtungen schildern. Gerade das Gegentheil lehrt die Geschichte. Als die Deutschen das römische Reich in Trümmer schlugen, wurden sie das Culturvolk für die ganze Welt. Jene Franken, die in Flandern saßen, brachten mit ihrem Handel deutsche Gesittung in alle Slavenlande östlich von Lübeck und Magdeburg bis in die russischen Ostsee-Provinzen und durch alle österreichischen Lande, Böhmen, Mähren und Ungarn eingeschlossen.

Kampf zwischen Mann und Frau.
Nach einer alten Zeichnung.

Fränkisches (und burgundisches) Recht galt durch ganz Frankreich, lombardisches im ganzen nördlichen Italien, gothisches auf der pyrenäischen Halbinsel. Die englische Cultur beruht auf den Einrichtungen der den Franken nächst verwandten Angelsachsen und der Normannen, welche das fränkische Recht aus Frankreich mitbrachten. – Alle Handelsstädte und Handelsvölker des Mittelalters und der neueren Zeit hatten deutsches Eherecht. Sprache und Recht sind nationale Grundpfeiler. Auch wo das germanische Element über die Sprache nicht Herr wurde, zeigt das Gelten deutschen Rechtes darauf hin, daß germanische Gesittung selbst da die Oberhand gewonnen, wo sie sich Romanischem anbequemt hat. Aber das deutsche Eherecht gehört ganz besonders zu diesen alten fränkischen Ehren.

Das deutsche Eherecht beruht auf dem Grundgedanken, daß die Ehegatten sich näher sind als die Blutsverwandten, selbst die leiblichen Kinder; namentlich gestalten sich die Vermögens- und Lebensverhältnisse mit der Verheirathung für immer und so fest, daß sie selbst den Tod des einen Ehegatten überdauern. Letztere Bestimmung verdankt ihre Entstehung der zartsinnigen Annahme, daß der Zurückbleibende, wenn der Tod des anderen Ehegatten ihn aus dem erheirateten Besitze triebe, selten im Stande sein würde, aus eigenen Kräften sich in dem nämlichen Vermögensstande zu erhalten oder ihn neu zu schaffen. Dieser Grundgedanke geht Hand in Hand mit der hohen Achtung vor den Frauen, die den ältesten Deutschen nachgerühmt wird; der Vortheil, welchen Handel und Gewerbe daraus zogen, erhob ihn zum Eherecht aller Handeltreibenden. So stellte die Gesittung und die praktische Begabung, welche den angeblichen Barbaren inwohnte, sie an die Spitze der Cultur der ganzen Welt. Die von Jahr zu Jahr mehr aufgeschlossenen Rechtsquellen unserer Vorfahren zeigen in allen Einrichtungen den gesunden Verstand, der mit einfachen Mitteln auf das Praktische gerade losgeht, und wir können dies sogar an ein paar veralteten Einrichtungen sehen, die in der Regel dazu benutzt werden, die Germanen als Barbaren zu verdächtigen. Wir gehen damit zugleich zur Betrachtung unserer Illustration über.

Fremdartig dünken uns Brauch und Tracht auf dem beigegebenen Bilde, das aus dem fünfzehnten Jahrhundert stammt, in der Kleidung aber auf das elfte zurückweist. Die Inschrift lautet: "Da steht, wie Mann und Frau mit einander kämpfen sollen. Und sie stehen hier in dem Anfang. Da steht die Frau frei und will schlagen und hat einen Stein in dem Schleier (ihrem Brusttuch), der wiegt vier bis fünf Pfund. So steht er in der Gruben bis an die Mitte hin, und ist der Kolben so lang als ihr der Schleier von der Hand.“ Nach dem Augsburger Stadtrecht von 1276 und der Würzburger Kampfgerichtsordnung von 1447 führte der Mann einen ellenlangen Stecken, der vorne zwei Mannsdaumen dick war, während die Frau aus einem zwei Fäuste längeren Haselstabe, einem Stein von einem Pfund, ihrem Brusttuch und einem Lederriemen einen sogenannten Todtschläger zusammengebunden hatte.

Wann war nun dieser Kampf zulässig? Selbstverständlich nicht zwischen Ehegatten, sondern nur ausnahmsweise, wenn ein Missethäter auf die gesetzlich zulässige Weise nicht überführt werden konnte. Unsere Vorfahren hielten, wie wir gesehen haben, im Interesse der Gerechtigkeit es für nöthig, die stärksten Garantieen für das Leben zu geben und es nur bei untrüglichen Beweise abzuerkennen. Sie gestatteten daher dem Beschuldigten oder dem,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 357. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_357.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)