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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


Schöne Geister und schöne Seelen.

1.0 Der Philosoph Hemsterhuys und die Fürstin Gallitzin.

In Sokrates und Diotima ist das Urbild der Freundschaft zwischen Männern und Frauen vorgezeichnet; es gleicht wohl ein wenig dem Ideal der Liebe, wie es von Plato aufgestellt worden ist. Manche behaupten sogar, diese Art der Freundschaft sei eigentlich ein Zwillingsbruder der Liebe. Wenn diese Verwandtschaft zugegeben werden soll, so muß wenigstens angenommen werden, daß der eine der Brüder ein Dämon ist, der das Herz erschüttert, – die Liebe – und der andere ein Genius, der es tröstet, – die Freundschaft!

Die Gelehrten streiten noch darüber, ob Diotima wirklich gelebt hat oder nur ein Phantasiebild des dichterischen Philosophen Plato gewesen ist, der uns die Gespräche zwischen ihr und Sokrates aufbewahrte. Die Lehre von der Schönheit der Geister und der Seelen, über die Wechselwirkung von Eros und Anteros, der geistigen Liebe und Gegenliebe, dies platonische System der Idealität, wird im Munde Diotima’s zu einer Verklärung der Weiblichkeit, wie sie nur durch den göttlichen Plato möglich werden konnte in der antiken Welt, die in den Frauen eigentlich nur Hetären oder Matronen sehen wollte. Wenn er wirklich keine Diotima gekannt, sondern nur sie sich gedacht hätte, wie sie sein könnte, so wäre er Griechenlands Frauenlob, dieser göttliche Plato!

Er erzählt auch noch von einer andern Freundschaftsverbindung, die Sokrates mit geistreichen Frauen eingegangen war: Aspasia und Lais. Erstere war die berühmte Freundin des Perikles, die dafür galt, ihm bei seinen Reden geholfen zu haben. Sie wurde zum Unterschied von einer andern viel späteren Aspasia die sokratische genannt, weil sie mit dem großen Philosophen befreundet war. Lais ließ sich dagegen nicht auf gelehrten Streit mit ihm ein, aber ihre munteren Worte reizten ihn doch zur Gegenrede. Der Titel beider Frauen war nicht ehrenvoll, man nannte sie Hetären, aber ihre Vertheidiger behaupten, daß die strenge Sitte der griechischen Frauenwelt jedes weibliche Wesen mit dieser Bezeichnung gestraft hätte, das nicht, wie sie selbst, verborgen im Gynäceum, dem Frauengemach, gelebt hätte, und daß die Aspasien der vorchristlichen Zeit nicht so verdammungswürdig gewesen seien, als manche der nachchristlichen es sind. Jedenfalls hatten erstere mehr Geist, als letztere aufzuweisen haben.

Die moderne Gestaltung der Freundschaft ist die ästhetische; die Jünger der schönen Künste finden sich in gemeinsamem Streben darin zusammen. Doch sind die Beispiele, welche hier unter dem Titel „Schöne Geister und schöne Seelen“ aufgezählt werden sollen, auch auf der Grundidee der Freundschaft erwachsen, der gegenseitigen Zuneigung, die dem Genius der Freundschaft, wie schon gesagt, die gefährliche Aehnlichkeit mit dem Dämon der Liebe giebt. Fast alle die hier genannten Verhältnisse streiften wenigstens einen Augenblick von einem Gebiet in das andere, wodurch der Leser den Reiz des Romantischen in den Kauf bekommt.

Eine der merkwürdigsten Frauen Deutschlands war die Fürstin Amalia von Gallitzin. Mehr als ein halbes Jahrhundert ist mit seinem Lethestrom über ihr Grab gerauscht und hat die einst so bekannten Züge ihres originellen Bildes verwischt; es lohnt sich, dieses Bild wieder aufzufrischen in dem Gedächtniß der Neuzeit, die vielleicht kaum noch ihren Namen kennt. Dagegen verwahren wir uns natürlich ganz ausdrücklich gegen die etwaige Annahme, als ob wir solche „schöne Geister und schöne Seelen“ als nachahmungswerthe Erscheinungen aufstellen wollten; sie nehmen eine wichtige Stelle in der Culturentwickelung ihrer Zeit ein und als erklärende Bilder derselben verdienen sie die Beachtung auch unsrer Leser.

Fürstin Amalia von Gallitzin.

Amalia, die Tochter des Feldmarschalls Grafen von Schmettau, war 1748 zu Berlin geboren; ihre erste Erziehung erhielt sie in einem schlesischen Kloster und in Breslau bei einer Tante, von der einige biographische Aufzeichnungen über die berühmte Nichte erst ganz kürzlich im Druck erschienen sind. Es erhellt daraus nichts besonders Charakteristisches, es geht nur daraus hervor, daß das kleine Comteßchen die oberflächliche Erziehung empfangen hat, die damals für standesmäßig galt. Etwas französisch zu plaudern und auf äußern Anstand zu halten, mehr verlangte man nicht von einer vornehmen Dame des achtzehnten Jahrhunderts. Mit zwanzig Jahren lernte sie als Hofdame der Prinzessin Ferdinand von Preußen in Spaa, einem damaligen Modebade, den Fürsten Dimitri Gallitzin kennen. Er bewunderte ihre Schönheit und natürliche Anmuth, verbunden mit einer großen Lebhaftigkeit des Geistes, die den Mangel an Kenntnissen bei ihr übersehen ließ. Als er ihr seine Hand bot, nahm sie dieselbe hocherfreut an und glaubte auch ihn aufrichtig zu lieben.

Der Fürst Dimitri imponirte seiner jungen Gattin ganz besonders durch seinen Verkehr mit den schönen Geistern der französischen Literatur, die damals die ganze gebildete Welt beherrschten, besonders in Preußen eine hohe Geltung erlangt hatten, weil Friedrich der Große sie allein für würdig hielt, sich mit ihnen zu beschäftigen und die armen deutschen Gelehrten beinah verachtete. Namentlich war Fürst Dimitri mit Voltaire und noch mehr mit Diderot befreundet und erhielt Briefe von Beiden, die voll kriechender Schmeichelei gegen den russischen Großen waren und den Briefstellern eben keine Ehre machten. Die junge Fürstin aber sah darin einen Beweis für die Gelehrsamkeit und hohe Bildung ihres Gemahls; auf Vorzüge dieser Art legte sie mehr Werth als auf Rang und Reichthum, die ihr durch ihre Ehe zufielen.

Das Herzensbedürfniß, ihren Mann zu verehren, wurde indessen der jungen Frau nicht lange erfüllt; sie bemerkte nur zu bald, daß die Rohheit seines Innern durch den Firniß der Weltbildung sehr oberflächlich verhüllt war und die falsche Weisheit derselben sein sittliches Gefühl nur noch mehr untergraben hatte. Er ahnte nicht einmal, daß sie sich unglücklich fühle, seit sie ihn in seiner wahren Gestalt kennen gelernt hatte, er glaubte, die Vergnügungen und der Glanz des Hoflebens, das er ihr durch seine Stellung als russischer Gesandter in Haag verschaffte, würde vollkommen ausreichen, ihr Leben zu erfüllen und zu erheitern.

Aber es ermüdete, ja es quälte sie. Uebersättigung und Leere traten wie zwei Gespenster in ihr Haus. Der Durst nach Wissen, das Verlangen nach Geistesarbeit wurde beinah krankhaft in diesem jungen Wesen. Manche Nacht verging unter Thränen und fieberhafter Aufregung. Die Sehnsucht nach einem unbekannten höhern Glück, als die Welt es bieten kann, hätte die noch so jugendliche Frau sehr leicht zu der Verirrung führen können, in einer Liebesleidenschaft Befriedigung zu suchen; aber es ist keine Spur vorhanden, daß sie dieser Versuchung nur einen Augenblick nachgegeben hätte. Sie versuchte zuerst in der Arbeit des Lernens sich Befriedigung zu verschaffen; die Weltdame, die nur ein wenig französisch gelernt hatte, warf sich mit einem wahren Feuereifer auf das Studium der griechischen und lateinischen Sprache. Dann trieb sie ebenso metaphysische und philosophische Studien. Durch letztere lernte sie den Philosophen Hemsterhuys kennen, dessen Buch „Ueber das Wesen des Geistes“ sie mächtig angezogen hatte. Er lebte zurückgezogen im Haag, war aber als Schriftsteller berühmt und wurde von seinen holländischen Landsleuten mit Stolz genannt als der Regenerator ihrer gelehrten Literatur.

Die Freundschaft zwischen Hemsterhuys und der Fürstin Gallitzin wuchs rasch empor, sie war ganz und gar nach dem Muster der von Sokrates und Diotima gestaltet. Die Zwiegespräche, die sie führten, glichen an tiefsinniger Schönheit und hohem Gedankenfluge genau den berühmten Dialogen der hellenischen

Philosophen. Auch nannten sie sich mit denselhen Namen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_361.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)