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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die Erziehung ihrer Kinder betrieb die Fürstin noch immer mit dem alten Eifer, namentlich erreichte ihr Abhärtungssystem Aufsehen in Münster. „Mitri und Mimi“, der einzige Sohn und die einzige Tochter, mußten mitten im Winter auf Spazierfahrten aus dem Wagen steigen und stundenlang nebenher laufen oder sich in’s Wasser stürzen, um Schwimmkünste zu machen. Die Mutter schwamm auch und gab überhaupt ein gutes Beispiel durch Frühaufstehen, Wenigessen und Vielgehen. Es gelang ihr jedoch nicht, ihren Kindern durch diese Erziehungsweise Gesundheit und Geisteskraft zu geben. Die Tochter blieb unbedeutend und häßlich, der Sohn blöde und sehr schwächlich. In späteren Jahren ist die religiöse Einwirkung der Mutter wohl die Veranlassung gewesen, daß er als Missionär zur Bekehrung der Heiden nach Afrika ging. Die Fürstin empfing auch in Münster mehrmals den Besuch ihres Gemahls und ihres Freundes Hemsterhuys; der Fürst scheint ihr seltsames Erziehungssystem durchaus gebilligt zu haben, wie überhaupt keinerlei Mißbilligung über ihre exaltirte Frömmigkeit oder ihre Lebensweise von ihm ausgegangen ist. Er gestattete ihr jede Freiheit und gewährte ihr reichliche Geldmittel; sie genoß Beides nach ihrer Weise, gab letztere den Armen und lebte selbst sehr einfach. Den Winter brachte sie immer in Münster zu, den Sommer in einem nahen Dörfchen, Angelmodde, wo sie bei einem Pächter sehr bescheiden wohnte und ihre fernen und nahen Freunde zum Besuch zu sich einlud.

Einige weitere Reisen unternahm sie jedoch fast jedes Jahr, namentlich nach Düsseldorf, wo sie auf dem reizenden Pempelfort, dem Landsitz der Jakobi’s, verweilte. Auch war sie öfter in Weimar und zwar in Begleitung ihrer Freunde Fürstenberg und Hemsterhuys und des Hauslehrers Sprickmann, der ihrer Kinder wegen die Reise mitmachen mußte. Daß diese seltsame Karawane in Weimar Aufsehen erregte, geht aus mehreren zeitgenössischen Briefen hervor. Goethe schrieb unter Anderem an Frau v. Stein unterm 20. September 1785: „Es sind interessante Menschen, und es ist wunderbar, sie miteinander zu sehen.“

In einem anderen Brief sagt Caroline Herder am 15. October 1785: „Ein Weib von so festem Charakter wie die Fürstin Gallitzin habe ich noch nie gesehen, und dann blickt sie mit ihren dunkelblauen, feurigen Augen so voll Liebe umher, daß wir sie recht lieb gewonnen haben. Fürstenberg ist ein sehr verständiger Mann, ein fröhlicher Weltmann und ein heiterer Philosoph. Hemsterhuys weiß unsäglich viel und ist ein so zarter, jungfräulich alter Jüngling, daß wir ihn sammt und sonders sehr in Affection genommen haben. Sprickmann ist eine treue deutsche Biederseele. Sie sind acht Tage hier gewesen und haben den guten Eindruck hinterlassen, daß es gute, edle Menschen sind.“

Die Fürstin stellte auf diesen Reisen öfter eine Selbstprüfung mit sich an, um zu ermitteln, ob sie in der christlichen Demuth fortgeschritten sei, denn der Weihrauch und Beifall, die sie bei solchen Gelegenheiten erntete, konnten ihr wohl als eine Versuchung zum Hochmuth vorkommen. So sagt sie in ihrem Tagebuch über Goethe: „Er ist der Einzige der berühmten Männer, der mich als Mensch wahrhaft begeistert und mein Herz berührt hatte, und gerade er gab mir den schmeichelhaftesten Anlaß, mit ihm in Correspondenz zu treten, indem er mir nach meiner Rückkehr von Weimar schrieb, ich allein hätte den Schlüssel seines lange verschlossenen Herzens gefunden, mir möchte er sich ganz öffnen und nach meinem Vertrauen verlange ihn, aber ich unterließ, ihm zu antworten, weil ich zu viel Zerstreuung in solchem Briefwechsel voraussah. Kurz vorher hatte Lavater mir einen ähnlichen Antrag gemacht, mit ihm in Correspondenz zu treten, und ebenso Herder, aber ich schwieg ebenfalls ihnen gegenüber, und zwar ohne Kampf, den ich doch bei Goethe empfunden hatte. Diese Wahrnehmungen beruhigten mich, und ich fing an Gefallen zu finden an meiner Ehrgeizlosigkeit. Da aber kam Hamann und zeigte mir erst den Himmel wahrer Demuth und Ergebenheit – Kindersinn gegen Gott. Er begeisterte mich über Alles, was ich bis dahin gesehen hatte, für die Religion Christi, indem er mich das Bild ihrer wahren Anhänger von der erhabensten Seite lebendig an sich wahrnehmen ließ. Er verdammte auch meinen Vervollkommnungstrieb, den Fürstenberg und die anderen Freunde mir als hohe Liebenswürdigkeit anrechneten, Hamann nannte ihn Stolz. Ich liebte ihn mehr als jemals für diese väterliche Härte.“

Es ist merkwürdig, daß die Fürstin Gallitzin nie den Versuch wagte, diesen christlichen Freund katholisch zu machen, da sie doch so viel Talent zur Proselytenmacherei bei den Stolbergs bewiesen hat. Hamann’s Kränklichkeit wurde durch seine verbesserten Vermögensverhältnisse, die ihm seine Münsterschen Freunde gestaltet hatten, nicht vermindert, er starb unerwartet im Hause der Fürstin, die sich dabei mit unglaublicher Exaltation benahm. Sie erzählt selbst in ihrem Tagebuch, daß sie stundenlang an seinem Bett gekniet und seine Hände geküßt hätte, und sie ließ ihn in ihrem Garten begraben, um beständig sein Denkmal unter Augen zu haben.

Dies Begräbniß wurde ihr sehr verdacht, und man erzählte allerlei Anekdoten über die Art, wie es bewerkstelligt worden sei. Sie theilt dieselben selbst in ihrem Tagebuch folgendermaßen mit: „Frau v. R. erzählte mir allerlei dummes Gerede über mich und Fürstenberg bei Gelegenheit von Hamann’s Begräbniß. Wir hätten uns maskirt und unter allerlei mystischen Ceremonien den Körper selbst getragen und in den Sarg gelegt, ich hätte mich laut weinend über ihn geworfen und hätte ihn über und über mit Rosen bestreut. Dann wären auf den Sarg beim Einsenken in das Grab immer schichtweise Erde und Rosenblätter geworfen. Dann hätten Fürstenberg und ich uns die Hände gereicht und über dem Grabhügel allerlei Zeichen gemacht, auch wären wir noch lange mit seltsamen Touren im Garten umher gegangen. – Die Reflexion, daß man nicht einmal ohne das kritische Auge und die Schmähsucht der leeren Weltmenschen einen Freund begraben kann, gab mir ein entsetzlich ödes und ekles Gefühl.“

Bald nach Hamann’s Tode erschien Hemsterhuys wieder bei der Fürstin Gallitzin und versuchte sie zu trösten über seinen Nebenbuhler in der Freundschaft, aber sie war durchaus nicht von seinen Argumenten erbaut und nannte ihn in ihrem Tagebuch einen „guten Mann“, der nicht ahne, wie hoch Hamann als Christ und Mensch über ihm gestanden hätte. Seine „hochtrabende gräcisirende Redeweise“ sei ihr völlig „unerträglich“.

Diese Abneigung sollte jedoch nicht lange dauern, eine lebensgefährliche Krankheit warf den Freund darnieder und weckte ihr Mitleid und Interesse für ihn wieder auf. Sie pflegte ihn mit der alten Gefühlswärme und kniete ebenso an seinem Krankenlager, wie an dem von Hamann. Der Tod schien auch ebenso sicher seine Füße zu ergreifen; die Füße und Hände waren schon steif und kalt geworden. Als die Fürstin eigenhändig heiße Umschläge von Wein und Kräutern machte, hatte sie jedoch die Freude, den Kranken sanft einschlafen zu sehen um gestärkt wieder zu erwachen. Die Darlegung der Empfindung durch körperliche Zeichen war in damaliger Zeit so viel mehr gebräuchlich als jetzt, daß man nicht ohne Erstaunen in dem Tagebuch der Fürstin den naiven Bericht lesen kann, wie Hemsterhuys seine Pflegerin umarmte und küßte zum Dank für ihre sorgende Aufopferung!

Nach dieser schweren Krankheit sah er die Fürstin nicht wieder, er starb zwei Jahre später, 1790, im Haag, er hat ihre Briefe aufbewahrt, damit sie dem Druck dereinst übergeben werden konnten. Sie zerstörte dagegen die seinigen, was zu beklagen ist, denn es ist dadurch auch das Verständniß der ihrigen erschwert worden. Nach dem Tode von Hemsterhuys wendete die Fürstin Gallitzin ihre Freundschaft dem Freiherrn v. Fürstenberg noch mehr als bisher zu, sie nannte ihn auch Du und schrieb ihm oft.

Im Jahre 1806 starb die Fürstin Gallitzin zu Angelmodde, dem Dörfchen bei Münster; ihr Gemahl war schon drei Jahre früher gestorben. Ihre beiden Kinder überlebten sie nicht lange. In der letzten Lebenszeit hatte sie noch die Freude, die ganze Familie Stolberg nach Münster übersiedeln zu sehen.

An der kleinen weißgetünchten Dorfkirche zu Angelmodde lehnt ein Kreuz, von wilden Rosen umrankt, unter denen das vielbewegte Herz der Fürstin Gallitzin, der einst so stolzen Philosophin und nachher so demüthigen Christin, Ruhe gefunden hat. Die Gräber berühmter Menschen sind oft die deutlichsten Wahrzeichen von der Unberechenbarkeit der Schicksale; wie verschieden sind ihre Gräber meistens von ihrer Wiege! (Schiller und Goethe in der Fürstengruft.)

Der einsame Pfad in dem weltfernen Dörfchen des Münsterlandes, der zum Grabe der Fürstin Gallitzin führt, wird nur noch von Dichtern heimgesucht. Immermann hat ihn oft betreten und Levin Schücking, der in einer geistvollen Abhandlung zuerst wieder an die berühmte Frau erinnert hat.

F. v. Hohenhausen.     



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