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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

der Doctor fing aber doch an sich daran zu gewöhnen. Aendern konnte er Nichts an der Sache, soviel hatte ihn seine Erfahrung gelehrt, und Alles, was ihm übrig blieb, war, ihr soviel wie möglich aus dem Wege zu gehen. Freilich kam es ein wenig oft, und er fing dadurch an, sich an’s Wirthshaus zu gewöhnen, wo er jetzt schon regelmäßig eine Stunde Abends Billard spielte, aber auch das ließ er wieder sein, als ihm seine Frau, einige Wochen später, einen allerliebsten kleinen Knaben schenkte, der bald des Vaters ganze Lust und Freude wurde.

Eine Unannehmlichkeit war dabei; die Mutter wollte anfangs das Kind selber stillen, hielt es aber nicht aus, und eine Amme mußte angenommen werden, während sie schon zum dritten Mal, im Lauf von anderthalb Jahren, mit den Dienstboten gewechselt und deshalb fast immer fremde Menschen um sich hatte. Sophie’s Charakter war nicht streitsüchtig, und sie würde wissentlich kein Kind gekränkt haben, aber – sie sah strict auf Ordnung, und die geringste und unbedeutendste Kleinigkeit konnte sie so aufregen, daß es eine Scene mit den Dienstboten gab, die Wahlborn selber vergebens abzuwenden suchte. Gute Mädchen ließen sich das dann natürlich nicht gefallen; die Folge war, daß sie den Dienst kündigten, und in die Wirthschaft mußten dann immer und immer wieder neue eingelernt werden, wodurch der Hausherr natürlich manche seiner kleinen Bequemlichkeiten, wenn nicht ganz einbüßte, doch von Zeit zu Zeit suspendirt sah.

Wahlborn hatte sich in dem letzten Jahr besonders der schriftstellerischen Thätigkeit, soweit dieselbe sein Fach betraf, zugewandt und die Redaction der einen medicinischen Zeitschrift ganz übernommen. Damit vertrug sich aber nicht mehr das Aufräumen in seinem Zimmer, in dem eine Masse kleiner Papierstreifen oft wichtige Notizen enthielten und jedesmal der Gefahr der Vernichtung ausgesetzt waren, sobald eines der Mädchen den Raum betrat. Er war deshalb genöthigt sein Studirzimmer, sobald er ausging, zuzuschließen und den Schlüssel mitzunehmen, und fing dadurch selber an etwas unordentlicher in seinen Sachen zu werden. Er wußte sein Heiligthum gesichert, so lange er abwesend war, und kehrte er zurück, so konnte er schon selber aufräumen, – aber seine Frau fand sich dadurch gekränkt und – ließ es ihn fühlen.

Sophie war, wie gesagt, eine brave Frau und eine gute Mutter, aber auch ebenso von Jugend auf ein kleinliches, sich nur mit den unbedeutendsten Dingen beschädigendes Leben gewohnt gewesen und konnte sich davon nicht losreißen, so oft und herzlich ihr Gatte sie auch deshalb bat – und das gab leider oft Anlaß zu kleinen Mißhelligkeiten, die nur dadurch Bedeutung gewannen, daß sie so häufig wiederkehrten.

Er saß heute wieder, nachdem er die nothwendigsten Besuche abgestattet, mit einer höchst schwierigen Arbeit beschäftigt, in seinem Zimmer und hatte eine Masse von Büchern um sich her aufgeschlagen liegen, aus denen er Beweise für eine neubeobachtete Heilmethode zusammenstellte. Draußen, in und vor der Küche war es wieder eine Weile, und schon fast eine halbe Stunde lang, ziemlich lebhaft hergegangen, und er unterschied dabei deutlich die Stimme seiner Frau, die mit dem einen Mädchen zankte. Er wollte nicht darauf hören, aber er mußte doch immer wieder hinhorchen – und wie oft hatte er seine Frau schon gebeten, das laute Sprechen auf dem Gang draußen und vor der Küche zu vermeiden, wenn er gerade zu Haus und beschäftigt wäre. Er war schon ein paar Mal im Begriff gewesen hinauszugehen und die Ruhe herzustellen, er mochte sich aber auch nicht gern in die häuslichen Streitigkeiten mischen, denn er bekam so schon mehr davon zu hören, als ihn manchmal freute. Arbeiten konnte er aber in der Zeit, und so lange der Zank draußen dauerte, auch nicht, und er ging eine Weile mit auf den Rücken gelegten Händen in seinem Zimmer auf und ab.

Endlich wurde es still draußen, und mit einem leise gemurmelten „Gott sei Dank“ griff er sein verlassenes Studium wieder auf. Da öffnete sich, wie er sich kaum ein Wenig hineingearbeitet, die Thür, und seine Frau kam mit gerötheten Wangen und blitzenden Augen herein. Sie war allerdings jetzt vollkommen ruhig, aber man sah ihr doch an, daß und wie sie sich vorher geärgert hatte, und auf den nächsten Stuhl niedersinkend, sagte sie:

„Das ist wahrhaftig kaum noch zum Aushalten mit den Mädchen. Heinrich – denke Dir, jetzt hat die Kathrine schon wieder den Griff von der neuen Porcellan-Butterdose heruntergeschlagen, und wir hatten sie kaum erst drei Tage in Gebrauch.“

„Mein liebes Herz,“ sagte der Doctor vollkommen ruhig, „ich habe Dich schon mehrmals gebeten, keine solche Butterdose wieder zu kaufen, die Griffe brechen jedesmal ab. Aber ich stecke augenblicklich gerade so in meiner Arbeit ...“

„Und sie widerspricht immer,“ fuhr die kleine Frau in ihrer Erregung fort. „Denke Dir nur, sie hat die Unverschämtheit, mir zu sagen, daß ich eben so viel zerbrechen würde, wenn ich die Sachen immer unter Händen und alle Tage aufzuwaschen hätte.“

„Und hat sie da nicht vielleicht Recht?“

„Du vertheidigst sie auch noch, nicht wahr? Aber ich habe es auch nun satt und ihr eben gekündigt.“

„Das thut mir sehr leid,“ sagte Wahlborn seufzend, „denn die Katharine kocht wirklich recht gut und hat mir besonders immer einen trinkbaren Kaffee gemacht.“

„Ich mag auch das ewige Klatschen im Hause nicht leiden,“ fuhr Sophie, ohne darauf zu achten, fort. „Denke Dir nur, Regierungsraths Mädchen oben hat neulich unserer Caroline erzählt, daß die Katharine ihr gesagt hätte, wir zahlten drei Mal so viel für Wäsche als ihre frühere Herrschaft. Und wenn es wäre, so ist das doch immer nur ein Beweis, daß wir uns reinlicher halten.“

„Aber liebes Herz,“ sagte Wahlborn, der bis dahin wie auf Kohlen gesessen hatte, „wie oft habe ich Dich gebeten, mich mit derartigem Mädchenklatsch zu verschonen, noch dazu. wenn ich so beschäftigt bin wie gerade in diesem Augenblick. Auch das Unglück mit der Butterdose erfuhr ich ja doch heute Abend noch zeitig genug, wenn ich es überhaupt wissen mußte.“

„Aber ich mag Dir sagen was ich will,“ sagte die junge Frau piquirt, „es interessirt Dich nicht, und wen anders habe ich als Dich, um mich mit ihm über meinen Hausstand zu besprechen“

„Aber wenn ich in voller Arbeit sitze, liebes Kind! Du siehst, wie ich hier beschäftigt bin, und schon der Lärm draußen hat mich seit langer Zeit gestört.“

„Aber Heinrich, Du bist wirklich häßlich – so wirf mich doch nur lieber gleich heraus – wenn ich das Mädchen auszanken muß, kann ich doch nicht flüstern.“

Wahlborn seufzte und machte einen Versuch irgend etwas in dem einen Buch nachzuschlagen, aber er hatte total vergessen, was er brauchte, und konnte nun jetzt noch einmal von vorne anfangen.

„Und was ich Dir noch sagen wollte,“ fuhr Sophie fort, die indessen ihrem eigenen Ideengang gefolgt war, „das Schloß an der Speisekammerthür müssen wir auch ändern lassen – die Katharine hat neulich, wie sie behauptet, den einen Schlüssel verlegt und kann ihn nicht wiederfinden, und wenn ich auch noch einen zweiten habe, so bin ich doch nicht sicher, daß der verlorene in falsche Hände geräth, und mit offener Speisekammer mag ich nicht dasitzen.“

„Aber liebes Herz,“ sagte Wahlborn, der anfing ungeduldig zu werden, „deshalb brauchst Du mich doch nicht zu fragen. Ich kann das Schloß nicht ändern, weshalb schickst Du nicht einfach zum Schlosser hinüber? Ich stecke gerade jetzt in einer recht schwierigen Arbeit, die meine ganze Aufmerksamkeit erfordert.“

„Ich werde Dich nicht wieder belästigen,“ sagte die junge Frau, jetzt wirklich gekränkt, „denn ich sehe, daß ich Dir hier zur Last bin – früher war das nicht so“ – und ihr Tuch an die Augen drückend, stand sie auf und verließ rasch das Zimmer.

Wahlborn machte eine Bewegung, als ob er ihr folgen wolle – er mochte sie ja nicht kränken, aber er war auch ärgerlich geworden, denn jeden Tag wiederholte sich dasselbe. Der geringsten Kleinigkeit wegen wurde er um Rath gefragt oder mußte es wenigstens anhören und verlor dadurch nicht allein seine Zeit, sondern wurde auch aus seinem ganzen Gedankengange herausgerissen. Er blieb sitzen und hatte sich bald wieder in seine Arbeit so vertieft, daß er gar nichts weiter um sich her sah oder hörte.

Jahre vergingen und die Verhältnisse im Wahlborn’schen Haus verbesserten sich nicht, sondern wurden eher noch schlimmer.

Sophie Wahlborn war, was tausend Menschen das Muster einer Hausfrau nennen würden, unermüdlich fleißig, reinlich bis

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_372.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)