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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Israel sind auf deiner Höhe erschlagen. Wie sind die Helden gefallen!“ Mit sichtlicher Bewegung, nach beendigter Feier, warf der König seine Handvoll Erde in die beiden Gräber; dann hieß es: „Legt hoch an!“ und die Kugeln pfiffen über die Todten hin.

Am andern Tage begrub Oberst v. Pape seinen einzigen Sohn. An der Nordseite der Kirche von Chlum war ihm von seinen Cameraden die letzte Ruhestätte bereitet. Die Gruft war mit grünen Zweigen und Laub ausgelegt; in vier Soldatenmäntel eingehüllt, wurde der Dahingegangene in dieselbe niedergelassen. Die Regimentsmusik blies den Choral: „Was Gott thut, das ist wohlgethan“, und zum Schluß: „Wie sie so sanft ruhn“. Der Geistliche, der die Feier leitete, schreibt: „Da hab’ ich gesehn, wie stark der Christenglaube macht. Wohl mochte des Vaters Herz aus vielen Wunden bluten, als er den Sohn hier in fremder Erde zurücklassen mußte, aber er blieb standhaft und fest, und als die Feier geendet und das Grab geschlossen war, wandte er sich an die um dasselbe versammelten Officiere seines Regiments mit den Worten: ‚Meine Herren, das liegt hinter uns, wir aber gehen vorwärts mit Gott für König und Vaterland‘.“

Auf dem weiten Felde hin überall ein Begraben, meist still, in großen Gräbern, ohne Sang und Klang, kaum daß die Liebe der Cameraden Zeit fand, ein schlichtes, namenloses Kreuz aufzurichten. Aber auch ihnen, den Namenlosen, schlägt dankbar unser Herz.

Am fünften Juli brach die Armee auf, um südwärts zu marschiren. Die Arbeit war gethan; die Verwundeten hatten ihr Lager, die Todten ihr Grab. Freilich nicht alle; es waren ihrer zu viele; noch am achten war das Feld nicht völlig klar.[1] Ein Officier vom vierten Corps, der an genanntem Tage von Nedelist aus, wo er ein Commando hatte, einen Ritt über das Schlachtfeld machte, hat uns folgende Schilderung gegeben:

„Verflossenen Sonntag ließ ich mein Pferd satteln, die ,Bella’, die Ihr kennt, um einmal ganz allein das Schauerliche des Schlachtfeldes zu sehen. Das war jedenfalls für mich an diesem Tage das Beste: ich hatte nichts um mich her als meinen Burschen und einen großen schwarzen Jagdhund, das Geschenk eines sterbenden österreichischen Officiers. Die untergehende Sonne warf bereits ihre letzten Strahlen auf das Feld, als ich aus Nedelist herausritt, und der kühle Abendwind trieb mir den Leichen- und Blutgeruch entgegen. Einen nicht an diesen Geruch Gewöhnten würde eine Ohnmacht angekommen sein: ich kannt’ ihn schon und ritt weiter, um nach Chlum und Sadowa zu gelangen, wo die Hauptschlacht geschlagen worden war. - Todtenstille herrschte ringsum, welche nur manchmal durch die Unruhe meines Pferdes und Hundes unterbrochen wurde. Beide vertrugen den scharfen Blutgeruch nicht; sobald wir an eine Stelle kamen, wo ein Verwundeter gelegen hatte, schnaufte Bella mit weit geöffneten Nüstern und stampfte mit den Hufen auf den Boden, der Hund ging in großen Kreisen um die bezeichnete Stelle herum und heulte fürchterlich. Erst nach einer Aufmunterung mit den Sporen ging das Pferd ruhig über Alles hinweg und jagte endlich eine Lerche auf, die zwar singend in die Höhe stieg, aber einen Gesang anstimmte, wie ich ihn sonst bei Lerchen nie gehört habe. Es klagte mehr, als es schmetterte. Dieser Vogel war seit mehreren Tagen der erste, der mir zu Gesicht kam, denn während des Schlachtenlärms hatten sich die freundlichen Sänger entfernt. Ohne ein gewisses Ziel zu verfolgen, ritt ich weiter und gelangte zu einer Muttergottesstatue. Ach, welch ein trauriges Schauspiel bot sich hier dar! Um sie herum lagen zwanzig Todte, einige mit halbgeöffneten gebrochenen Augen, die nach dem Muttergottesbilde hin gerichtet waren. Andere hielten Rosenkränze und Crucifixe in den Händen: sie hatten wahrscheinlich bis zu ihrem Ableben gebetet; nur Einer hatte ein Spiel Karten vor sich liegen, von denen er eine krampfhaft in der erstarrten Hand hielt. An den Leichen zeigten sich die verschiedenartigsten Wunden. Einem Jäger hatte die Kugel den ganzen Hinterkopf weggerissen. Jedenfalls sind an dieser Statue mehrere gefallen, und andere Verunglückte sind zu ihnen gekrochen, um daselbst ihr Leben zu beschließen. Ich sprang vom Pferde und kniete nieder, um für die Todten zu beten.

Ueber Westar und Sweti ritt ich zurück. Dicht bei Sweti auf einer hochgelegenen Stelle, wo eine Batterie gestanden haben mochte, ragte eine Wischerstange auf. An die Stange lehnte sich ein österreichischer Artillerist wie schlafend; unter jeden Arm hatte man ihm eine Kugel geschoben. Wie ein Schatten stand das Ganze an dem immer dunkler werdenden Himmel. Es erschütterte mich tief. Ich nahm das Bild mit in meinen Traum.“

Th. Fontane.




Schiller und Margarethe Schwan.

Von J. Leyser.

An einem Sommerabend des Jahres 1784 sah man zu Mannheim in einem jener stattlichen Häuser, welche den Paradeplatz umsäumen, eine ausgesuchte Gesellschaft versammelt, die mit gespannter Aufmerksamkeit der Declamation eines jungen Mannes lauschte, der einige Scenen aus seinem neuesten Drama: „Louise Millerin“ vortrug. Der jugendliche Dichter mit dem gesenkten, sinnenden Haupte und den glänzenden Augen, mit der hohen, weiten Stirn, auf welcher ewige Gedanken zu thronen schienen, es ist Friedrich Schiller, dessen Locken bereits die ersten Lorbeeren des entzückten Vaterlandes schmückten. In seiner Nähe gewahren wir den Herrn des Hauses: der Mann mit den feingeschnittenen, geistreichen Zügen ist Schiller’s treuer Freund und Verleger seiner ersten Schriften, der Buchhändler und kurfürstliche Hofkammerrath Christian Friedrich Schwan, selbst thätiger Schriftsteller, von Lessing und Wieland, von Herder und Goethe hoch geachtet. Und von jenen beiden Frauengestalten, vor Kurzem erst aufgeblüht zu wunderbarer Schönheit, die an des Dichters Lippen hängen, ist die Eine Schwan’s älteste Tochter, Anna Margarethe, auf deren Namen durch ihr Verhältniß zu Schiller ein Strahl der Dichtkunst gefallen ist; die Andere die vertraute Freundin Margarethens, die reizende, talentvolle Schauspielerin Fräulein Ziegler, die als „Louise“ in „Cabale und Liebe“ und als „Leonore“ in „Fiesco“ mächtig alle Zuhörer ergriff und von der ein Zeitgenosse schreibt: „Nie habe ich solche Accente wieder gehört, noch die Melodie der Liebe, wie sie in Fiesco’s Gattin von diesen Lippen tönte.“ Und dort jene feine Gestalt von etwas aristokratischer Haltung, doch mit mildem, angenehmem Ausdruck auf dem Angesicht, es ist der Begründer und Intendant der berühmten Mannheimer Bühne, Wolfgang Heribert Reichsfreiherr v. Dalberg; an seiner Seite bemerken wir einen der größten Schauspieler, auch als dramatischer Schriftsteller berühmt, August Wilhelm Iffland. –

Unsere Leser kennen jene tragische Wendung in Schiller’s Leben, die den ehemaligen Regimentsmedicus zu Stuttgart der Heimath entrückt und nach der freundlichen Neckarstadt verschlagen hat.

Im April 1781 war der Druck der „Räuber“ begonnen worden. Um dem Werke eine größere Verbreitung zu sichern, schrieb Schiller noch vor beendigtem Druck an Schwan, dem er zugleich die sieben ersten fertigen Bogen überschickte. Voll Enthusiasmus lief Schwan, wie er in einem Brief an Schiller sich ausdrückt, sogleich zu Dalberg und las ihm das Bruchstück „brühwarm“ vor. Dalberg forderte nun den Dichter auf, sein Stück für die Mannheimer Bühne zu bearbeiten, und so wurde es denn mit verschiedenen Abänderungen, gegen die Schiller vergebens sich sträubte, in dessen Gegenwart am dreizehnten Januar 1782 in Mannheim aufgeführt. Auch zur zweiten Aufführung der „Räuber“ (am fünfundzwanzigsten Mai) war er ohne Urlaub nach Mannheim gereist, bekam Arrest und fiel in die Ungnade seines Landesherrn. Aber je drückender seine Lage wurde, desto mehr

  1. Die böhmischen Dorfbewohner weigerten sich zum Theil, beim Grabmachen behülflich zu sein, und knurrten auf czechisch vor sich hin: „Wen die Preußen todt geschossen haben, den mögen sie auch begraben.“ Mehr als einmal bequemten sie sich in der That erst, als eine Section vorgetreten und das Commando gegeben war: Fertig zum Feuern!“ Das half jedes Mal und auch die Nationalsten verstanden dann deutsch. (Daß die besseren czechischen Classen uns im Allgemeinen günstiger gesinnt waren als die Deutsch-Böhmen, diese Thatsache wird durch solche Einzelvorkommnisse nicht tangirt,)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_427.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)