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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

eben wieder nicht geartet, so wenig als sie zuließ, daß er selbst ein wahrer Parteimensch wurde.

Leo’s persönlicher Charakter ist in hohem Grade achtungswerth. Der Erwerb von Geld und Ehren übt keinen Reiz auf ihn, und wenn ihm solche Ehren, wie sie für Viele das Ziel alles Strebens sind, doch vielfach zu Theil geworden sind, so sind sie ihm eben gefolgt wie der Schatten. In seinem Verhalten gegen Andere offenbart er eine hohe persönliche Gutmüthigkeit, die man in dem hitzigen, derben Kämpen bei allerlei Fehde gar nicht vermuthen sollte, und sein näherer persönlicher Verkehr hat eine bequeme, oft liebenswürdige Art. Zu erwähnen ist hier auch, daß er in der Beurtheilung wissenschaftlicher Leistungen Anderer durchaus absieht von seinen eigenen politischen und religiösen Anschauungen. In seiner langjährigen Stellung als Director der wissenschaftlichen Prüfungs-Commission in Halle hat er nie Rücksicht darauf genommen, ob ein junger Mathematiker an die Auferstehung des Fleisches glaubte, oder ein Philologe von der Nothwendigkeit des Herrenhauses überzeugt war: immer hat er unparteiisch nur die fraglichen wissenschaftlichen Leistungen in’s Auge gefaßt.

Kehren wir nun zu unserem geschichtlichen Gange zurück. Nachdem das Jahr 1847 die Erwartungen einer „historischen Entwickelung“ in Preußen so glänzend „gekrönt“ hatte, – um uns dieses ja auch neuerdings in Frankreich noch beliebten Ausdruckes zu bedienen – kam das Jahr 1848. Dagegen war jener „grimme Ernst“ von Anno Dreißig denn doch nur Spaß gewesen. Die reactionären Elemente rückten jetzt nothgedrungen näher aneinander, und auch Leo wurde enger, als ihm in manchen Beziehungen zusagte, an die Koryphäen der Reaction an der Hallischen Universität herangedrängt und mußte, mehr als er mochte, eigentlicher Parteimann werden. Darüber konnte ihn wohl der Erfolg der Reaction trösten. Er selbst stieg – wir wissen, ohne darnach zu streben – an Ehre und Ansehen: sein Name glänzte neben Gerlach und Stahl, er wurde lebenslängliches Mitglied des Herrenhauses, aber zugleich auch passiver Mitarbeiter des „Kladderadatsch“, und seine geflügelten Worte wurden weit über Deutschlands Grenzen hinausgetragen. In solchen einschlagenden Worten trat hauptsächlich seine politische Wirksamkeit in die Oeffentlichkeit, denn als Redner hat er nicht einmal im Herrenhause seine Bedeutung zu erkennen gegeben, obwohl er manche Redner unter seinen Mitlords wohl hätte überstrahlen mögen.

Ein kleines Mißgeschick betraf ihn, als er zu Anfang der sechziger Jahre in seinem katholisirenden Streben an einer von dem katholischen Grafen Cajus v. Stolberg nach Erfurt berufenen Versammlung theilgenommen hatte. Die Sache erregte Anstoß, und er wurde der Direction der wissenschaftlichen Prüfungs-Commission bei der Universität enthoben. Doch übrigens ging im Vaterlande das Meiste nach Wunsch, wenigstens konnte für manches Nichtgenehme das damals in Aussicht gestellte „innere Düppel“ reichlich entschädigen.

Da brachte das Jahr Sechsundsechzig den lange gewünschten „frischen fröhlichen Krieg“, doch leider in einer ganz anderen Richtung, als er gemeint gewesen war. Mit grimmem Ernst spielte sich rasch ein kräftiges Stück Historie ab, und gegen dieses historisch einmal Gewordene war die Theorie des Historikers ohnmächtig. Die gewaltigen, nicht so gehofften Ereignisse mußten das ganze Gebäude der Erwartungen, die Leo im Laufe der Jahrzehnte übereinander gethürmt hatte, bis auf den tiefsten Grund erschüttern, wenn nicht umstürzen. Wohl ihm, daß er nach seiner Eigenart, für sich selbst consequent bleibend, im Stande war, eine gewaltige Schwenkung, wenn nicht eine Umkehr zu machen. Es gelang ihm, sich mit der Bismarck’schen äußeren Politik auf einen verträglichen Fuß zu setzen, ja, sich mit ihr zu befreunden. Wie er als den Grundstein des Aufbaues der deutschen Nation seither den heiligen Bonifacius betrachtete, so erkannte er jetzt in Bismarck gewissermaßen den Schlußstein, der, indem sich die noch getrennten Theile des Baues, freundlich oder feindlich, gegen ihn zusammenneigen mußten, das Ganze für jetzt zusammenhält und so eine dauernde Vereinigung für die Zukunft ermöglicht. – Aber auch in der inneren Politik – welche Enttäuschung in dem Mann des „inneren Düppel“! Er stellte sich seinen Amtsgenossen gegenüber als den Vertreter des Liberalismus dar, und nun, was mit ihm an der Spitze als eine gewaltige Phalanx der Reaction erschienen war, das blieb ohne ihn und gegen ihn eine für den Liberalismus nicht mehr furchtbare, nur noch ihn behindernde und belästigende Truppe.

Härter als jene Schwenkung in der äußeren Politik mag diese Wendung in der inneren das so tüchtig gefugte Gerüst des Systems, das Leo sich mit solcher Hingabe aufgebaut, erschüttert haben, und sicher ist dieselbe nicht ohne manch’ tief einschneidendes Weh vorgegangen. Selbst das Aeußere des Mannes kann dafür zeugen. Obgleich seine Erscheinung trotz des vorgerückten Alters noch keineswegs greisenhafte Schwäche zeigt, so drückt sich doch jetzt in seinem Gesicht nicht mehr die volle frühere energische Kraft aus, sondern eine gewisse Erschlaffung hat sich darin ausgeprägt, ähnlich jener, die bei einer plötzlichen schweren Enttäuschung auf dem Antlitz des Menschen sichtbar wird. So ist denn das ungestüme und unbändige Ringen des Subjectivismus auch hier in ein Stück Tragik ausgelaufen!

Natürlich hängt sich auch an diese stark ausgeprägte Persönlichkeit die Sage an. Es werden von ihm allerhand Geschichten erzählt, die wenigstens zeigen, in welcher harmlosen Weise die Leute, welche mit Leo’s Bestrebungen nicht einverstanden waren, ihre Unzufriedenheit damit zum Ausdruck brachten. Wir wollen ein paar davon zum Schluß mittheilen.

Als einmal der König Friedrich Wilhelm der Vierte auf einer Reise Halle passiren wollte, hatte auch Leo sich ihm vorzustellen. Im Begriff seine Wohnung zu verlassen, bemerkte er zu großem Verdruß, daß die schwarz-weiße Cocarde an seinem Hute nur noch lose durch einen einzigen Faden gehalten wurde. Es war unmöglich, so zu gehen, und weibliche Hülfe mit Nadel und Faden anzurufen, das erlaubte die Zeit nicht: es war Gefahr im Verzüge. Rasch entschlossen, zündete Leo den Wachsstock an, nahm Siegellack und befestigte die Cocarde mit diesem Bindemittel, worauf er von dannen zum Bahnhof eilte. Als er sich Seiner Majestät vorstellte, gab er seinen loyalen Gesinnungen in passenden Worten Ausdruck. Der König antwortete, er sei von der Echtheit der Loyalität des Sprechers überzeugt, könne sich aber mit diesen Gesinnungen die rothe Cocarde an seinem Hut nicht zusammenreimen. Betroffen blickte Leo nach seinem Hut und sah mit Schrecken, daß die schwarz-weiße Cocarde abgefallen war und der an ihrer Stelle sitzen gebliebene runde Siegellackfleck allerdings eine von der seinigen ganz verschiedene politische Gesinnung anzuzeigen schien.

Als einmal der König Friedrich Wilhelm der Vierte Halle passirte – wie es scheint, haben viele dieser Geschichten den nämlichen Anfang, so wie die Volksmärchen gern beginnen: „Es war einmal ein König“ – stellte sich ihm auch Leo vor.

„Es freut mich, Sie zu sehen,“ sagte der König, „wiewohl ich Sie heute zum zweiten Male sehe.“

Leo äußerte etwas in Verlegenheit: „Er wisse nicht, wie er den zweiten Theil dieser huldvollen Worte zu deuten habe.“

„Jawohl,“ sagte der König, „ich habe Sie heute schon gesehen – im ‚Kladderadatsch‘.“




Miramare.

Nachts im Schlosse Miramare
Hört man oft ein leises Klagen,
Und die Wellen geben Antwort,
Ueber’s Weltmeer hergetragen.

5
„Ach wann wird mein Weinen enden,

Wann empfang’ ich meinen Gatten?“
Und die Wellen murmeln Antwort:
Einst vielleicht, im Reich der Schatten.“

„Der des Heldenlorbeers würdig,

10
Warum hat man ihn erschossen?“

Und die Wellen rauschen Antwort:
Frag’ Juarez und Genossen.

„Wohnt kein Glück in Fürstenschlössern,
Nicht auf goldnen Königsthronen?“

15
Und die Wellen geben Antwort:

Das Geschick spielt auch mit Kronen.

„Ach, was haben wir verschuldet,
Daß man unser Glück vernichtet?“
Und die Wellen murmeln Antwort:

20
Die Geschichte hat gerichtet.


„Der uns auf den Thron gehoben,
Warum läßt er jetzt uns fallen?“
Und die Wellen rauschen Antwort:
Das ist Schicksal der Vasallen.

25
„Warum strafte nicht der Himmel

Ihn, der schuld an der Bedrängniß?“
Und die Wellen geben Antwort:
Sein auch wartet das Verhängniß.

„Warum mußte man auf’s Neue

30
Montezuma’s Reich errichten?“

Und die Wellen geben Antwort:
Um es wieder zu vernichten.

Dort im schönen freien Westen
Ist kein Boden für Cäsare.“ –

35
Also murmelt’s, also klagt es

Nachts am Schlosse Miramare.

Franz Poppe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_439.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)