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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

trat eine ganz neue Aera ein. Die englischen Kattundrucker, die zuvor gegen die deutsche Manufactur nicht aufkommen konnten und nur durch das Einfuhrverbot indischer Stoffe vor dem gänzlichen Ruin gerettet wurden, bemächtigten sich der neuen Hülfsmittel und arbeiteten sich mit bewunderungswürdiger Kraft und Schnelligkeit empor. Der Großvater des berühmten Staatsmanns Sir Richard Peel war einer der Ersten, der die Maschinenindustrie so gut zu benutzen verstand, daß er in kurzer Zeit Millionär wurde. Sein Beispiel fand allseitige Nachahmung, und bald stand England an der Spitze des Kattunhandels, indem es mit seiner Waare die ganze Welt versorgte. Während in Deutschland das Schüle’sche Etablissement in Augsburg vor dieser großartigen Concurrenz zusammenbrach, konnte sich auch in Frankreich die große Fabrik von C. P. Oberkampf, seit 1760 in Jouy begründet, nur unter dem Schutze der Continentalsperre und durch Unterstützung des Staates behaupten. England hatte auf diesem Felde alle Völker besiegt und vollständig verdrängt.

Sehr langsam begann die continentale Kattundruckerei den Kampf wieder aufzunehmen und mehr als dreißig Jahre vergingen, bis endlich ein Berliner Fabrikant vor seinen König hintreten und ohne Prahlerei sagen durfte: „Ich bin der Liebermann, was verdrängt hat die Engländer von de Continente.

Das war der indes verstorbene alte „Commercienrath Liebermann“, dessen Geschäft noch heute unter der Leitung seiner ebenbürtigen Nachkommen (Benjamin, Louis und Georg Liebermann) blüht und einen bewunderungswürdigen Aufschwung genommen hat.

Schon vor ihm gab es fleißige und tüchtige Fabrikanten in Berlin, die es nicht an anerkennungswerthen Anstrengungen fehlen ließen, um die durch die Engländer vernichteten vierzig Kattundruckereien zu ersetzen. Im Jahr 1812 begründete E. F. Dannenberger an den Ufern der Spree ein neues Etablissement, das sich trotz der unglücklichen Conjuncturen behauptete und bereits 1838 als eine der bedeutendsten Fabriken des Continents, geachtet wurde. Später übernahmen die Herren Nauen und Löwe das Geschäft und führten es mit vielem Glück weiter fort. Seit 1860 kam es in die Hände Liebermann’s, dem es seine jetzige großartige Ausdehnung und Bedeutung verdankt.

Dort an der Stelle, wo sich einst die Krieger Albrecht’s des Bären tummelten und Raubritter, wie die Quitzows, das Eigenthum und Leben der verhaßten Stadtbewohner bedrohten, hat das gewerbfleißige Bürgerthum den schönsten Sieg auf friedlichem Gebiet erfochten und sich ein unvergängliches Denkmal seiner Tüchtigkeit errichtet.

Eine Reihe lang hingestreckter Gebäude und Quergebäude, hin und wieder durch Dampfkesselanlagen mit hohen Schornsteinen und durch schlanke Bäume unterbrochen, geben dieser Fabrikation den entsprechenden Ausdruck und ein großartiges Bild ihrer Leistungen. Treten wir in eines jener Gebäude ein, vor welchem ein hochbepackter Lastwagen hält. Mehrere Arbeiter sind damit beschäftigt, die rohen Stoffe und Gewebe, welche eine natürliche Rostfarbe und ein unansehnliches Aeußere zeigen, ohne viel Umstände herabzuwerfen. Hier beginnt die erste Umwandlung, die diese schmutzige, nichts weniger als angenehme Farbe in das blendendste Weiß überführt, auf besten reinem Grunde bald die herrlichsten Muster erblühen sollen. In großen Waschfässern muß mit Hülfe der kolossalen Waschmaschine der Staub, die des Webers mühsame Arbeit unterstützende „Schlichte“ und alles Ueberflüssige weichen. Wie aus einem wohlthuenden Bade geht das Gewebe vom Schmutz befreit in untadeliger Reinheit hervor, um, über Walzen und Rollen hingeleitet, wieder zu trocknen.

Wie in den Bädern des Orients wird das Zeug außerdem noch einem besondern Proceß unterworfen. Zu beiden Seiten der sogenannten „Klopfrahmen“ sitzen Mädchen und Frauen; im Tact schwingen sie den Stab zum auflockernden Schlag, während sie dabei lustige Lieder singen, die allerdings häufig von dem hohlen Widerhall der lärmenden Stäbe übertönt werden. Durch die Schwingungen richten sich die losen Fasern und der Flaum auf der Oberfläche des Gewebes auf, was der eigentliche Zweck dieser Thätigkeit ist. Aber was bedeuten dort die rothglühenden Cylinder und die feinen zuckenden Flammen des Gases, über die der so leicht verbrennliche Stoff hinweggezogen wird? Ist es nicht ein leichtsinnig übermüthiges Spiel, das feuerfangende Zeug mit den züngelnden Gluthen zu paaren? Aber wir dürfen ohne Furcht sein, da hier die höchste Vorsicht, die genaueste Berechnung der Zeit die Macht des gefährlichen Elements beschränkt. Des Feuers gewaltige Kraft findet nicht Zeit, sich auf die willkommene Beute zu stürzen, die im Flug vorübereilt, die nöthige Entfernung mit bewunderungswürdiger Genauigkeit beobachtet,, so daß nur die leicht und fein zertheilten hervorragenden Fasern versengt werden. Wenn aber, was zuweilen vorkommt, das Gewebe in seinem Laufe nur eine Secunde stockt, so verwandelt es sich sogleich in Dampf, Rauch und Asche.

Was die Flamme noch von Fäserchen übrig gelassen, das ergreift die „Noppmaschine“, hart über dem Stoff mit ihren spitzig feinen Zähnen hinstreifend, entfernt der „Scheermaschine“ schnell hinjagender Cylinder, umgürtet mit seinen scharfkantigen Messern, oder die „Bürstenwalze“ mit ihrer rauhen Bekleidung. So gereinigt, geklopft und geglättet verläßt das Gewebe seine bisherige Behausung und steigt in jenen Raum empor, dessen Bestimmung schon von Weitem der auffallend „chlorige“, die Lungen reizende und beklemmende Geruch verräth.

In großen Kufen verborgen, wirkt hier die Kraft des bleichenden Gases bald im Verein mit Wässer, bald mit Kalk verbunden. Um sich, von der Wirkung dieses Gases einen Begriff zu machen, genügt die Thatsache, daß ganz Deutschland mit allen seinen Feldern und Wiesen nicht ausreichen würde, um nur dem Producte einer einzigen großen Baumwollenfabrik zum Rasenbleichplatz zu dienen. Aber eine so gewaltige Kraft kann nicht nur segensreich, sondern muß auch zerstörend wirken, Um die angreifende Eigenschaft des Chlors zu schwächen und den schädlichen Einfluß zu beseitigen, wird das Gewebe zu langen endlosen Bändern vereinigt, durch eine Reihe von Bottichen und Maschinenbehältern geleitet, worin säurebindende Alkalien und frisches Wasser in fortwährend erneutem Strome diesen Feind der organischen Faser austreiben, während pressende Walzen die ausringenden Menschenhände hundertfach ersetzen. Wie frischgefallener Schnee, wie das Gefieder des Schwans leuchten die weißen Gewebe, welche jetzt erst würdig erscheinen, mit farbigen Blumen und bunten Arabesken geschmückt zu werden. Bald erwartet sie der Farben holder Zauber, des Regenbogens Pracht, des Frühlings Blüthenkränze. Aber nicht leicht wird die Vollendung erreicht; es ist eine schwere Aufgabe, die Harmonie der Farben zu finden, die flüchtigen Kinder des Lichts an den irdischen Stoff zu fesseln, den weißen Grund bald zu bewahren, bald verschwinden zu lassen. Zu diesem Zwecke sehen wir wiederum die Gewebstücke, zu langen endlosen Bändern von Neuem vereinigt, bald in diese Kufe eingetaucht, bald derselben entsteigen, um in eine andere niederzugehen, endlich in reichlich sprudelndem Wasser eine neue Reinigung empfangen, um sodann aufwärts durch die offene Decke des Saales in einen Trockenapparat zu gelangen. Sorgfältig von jeder Feuchtigkeit befreit, wird das Zeug von geschickten Frauenhänden vorsichtig ausgebreitet und dann unter die schweren Cylinder einer Maschine gebracht, durch die es die nöthige Glätte und Faltenlosigkeit empfängt.

Jene Kufen enthalten solche Stoffe, welche die Eigenschaft besitzen, den später aufzutragenden Farbestoffen theils Festigkeit, theils Nuancen zu verleihen. Aber noch andere wichtige Processe werden hier eingeleitet oder vorgenommen. Bald druckt man die gewünschten Muster mit Beizstoffen auf, um später durch Ausfärben in dem Farbenbade den Farbenstoff nur an diesen Stellen zu fesseln, während er an den ungebeizten Flächen nicht haften darf. Bald überzieht man alle Punkte, die in der ursprünglichen Weiße erhalten bleiben sollen, mit einer vor der Aufnahme des Farbestoffes schützenden Decke, so daß nach Entfernung jenes Schutzes der weiße Grund hervorleuchtet. Nicht selten druckt man auch die Muster in verschieden concentrirten, verschieden zusammengesetzten Beizen, die dann mit einem und demselben Farbenstoff sich zu verschieden nuancirten Farben verbinden.

Diese verborgenen Geheimnisse der Farben zu ergründen, ist die schwere, oft kaum zu lösende Aufgabe des Coloristen. Er ist die eigentliche Seele der Fabrik, während das Geld und der kaufmännische Scharfblick die andere Bedingung der Existenz, gleichsam den Körper für diese Seele bildet. Dort in dem Laboratorium, in der chemischen Farbenküche denkt und sinnt der erfinderische Geist. In zierlich geformten Retorten, Kolben und Ballons prüft er die Eigenschaften der verwendbaren Materialien, indem er den gegenseitigen Einfluß der verschiedenen Stoffe auf

einander zu erforschen und durch eine Combination praktisch zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_443.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)