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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Aufregung. … Hätte die schöne Stiefmutter nicht selbst unter dem beklemmenden Bann eines zwar unbestimmten, aber nichtsdestoweniger bänglichen Vorgefühles kommender schlimmer Ereignisse gelegen, sie wäre der Welt gegenüber um einen Beleg für die nervöse Reizbarkeit ihrer Tochter reicher gewesen; so aber raffte sie in ängstlicher Hast ihre Gazewogen zusammen, und auch ihre Augen suchten unablässig nur den Fürsten, als könne sich auf seinem Gesicht lesen lassen, was das verhängnisvolle, auf seiner Brust verborgene Papier enthalte.

„Gisela, Du wirst die Freundlichkeit haben, an meinem Arm nach dem Schlosse zurückzukehren,“ sagte plötzlich die unterdrückte, heisere, aber dennoch scharf und kurz befehlende Stimme des Ministers dicht neben dem jungen Mädchen. „Du siehst mir aus, als stündest Du eben wieder einmal im Begriff, einen Deiner tollen Streiche auszuführen! … Nicht einen Laut, wenn ich bitten darf! … Wir sollen das Opfer einer schlauangelegten Intrigue werden; aber noch ist nichts verloren – ich bin noch da!“

Ein Blick der tiefsten Verachtung, eines grenzenlosen Abscheues aus den braunen Augen traf den Mann mit der frechen Stirne, der eben als schamloser Lügner vor seiner Stieftochter entlarvt worden war und es trotzdem wagte, ihr gegenüber von schlauen Intriguen Anderer zu sprechen. … Das Verbrechen war dem Fürsten verrathen; er kam durch eine wunderbare Fügung in Besitz des ihm rechtmäßig zustehenden Erbes, und nun sollte sie es schweigend geschehen lassen, daß die sonnenklare Wahrheit mittels heimtückischer Ränke und einer unglaublichen Frechheit unterdrückt wurde? Ja, sie sollte sogar in Gemeinschaft mit ihm, der sie selbst so unverantwortlich hintergangen, das schauerliche Geheimniß ihr Lebenlang behüten und durch, wer weiß wie viele, lange Jahre hindurch das Fürstenhaus um die Einkünfte der Güter betrügen? … Auch nicht einmal mehr kam ihr das Gefühl des Erbarmens, der Pietät für die herzlose, ränkevolle Frau, der kein Mittel zu schlecht gewesen war, sich zu bereichern – sie sah nur mit Schaudern und Entsetzen in den tiefen Abgrund, der sie bis in alle Ewigkeit von ihrer Großmutter schied. … Die eigentlichen Motive, um deren willen ihr Stiefvater sie zur Mitwisserin des Geheimnisses gemacht hatte, durchschaute zwar ihr reiner, völlig ungeübter Blick noch immer nicht, aber klar wurde ihr doch, daß dieser Mann mit der bodenlos verdorbenen Seele sicher nicht um der edlen Absicht willen, den Namen Völdern fleckenlos zu erhalten, alle Hebel seines raffinirten Geistes in Bewegung setzte.

Nicht eine Sylbe antwortete sie auf sein Geflüster, das mit den letzten Worten einen vertraulichen Anstrich angenommen hatte; aber sie wandte das Gesicht von ihm mit jenem Grausen, welches uns angesichts eines giftigen Reptils erfaßt. Ihre verachtungsvolle Zurückweisung schützte sie indeß nicht vor der aufgedrungenen Begleitung. Der Minister ergriff ohne Weiteres ihren Arm, legte ihn in den seinigen und hielt ihn dort mit der Linken so gewaltsam fest, daß sie sich nicht befreien konnte, ohne peinliches Aufsehen zu erregen. Und jetzt eilte Frau von Herbeck herbei; sie drängte sich so energisch und bewachend an die andere Seite des jungen Mädchens, als habe sie Gensd’armenpflichten. Die kleine, fette Frau hätte die Gemüthsbewegung über Gisela’s „unschickliches, vollständig unmotivirtes Hervortreten“ während der Erzählung des Portugiesen noch nicht überwunden; sie behauptete, noch an allen Gliedern zu zittern, und versicherte Seiner Excellenz wiederholt mit wehmüthiger Betonung, nichts sehnlicher zu wünschen, als daheim im lieben, stillen Greinsfeld zu sein, wo doch „der nun einmal unvermeidliche ewige Scandal“ wenigstens hinter den vier Mauern bleibe.


29.

Der Zug setzte sich in Bewegung. Seine Excellenz schritt mit Gisela dicht hinter dem Fürsten, der den Portugiesen an seine Seite gerufen hatte. … Wer das Gesicht Seiner Durchlaucht kannte, der wußte, daß er, trotz der außerordentlichen Beherrschung seiner Züge, trotz des alltäglichen, fast inhaltslosen Geplauders, welches er an Oliveira richtete, in heftiger Aufregung war. Er schritt, ganz entgegengesetzt seiner sonst streng gemessenen Art und Weise, sehr eilfertig und hastig nach dem weißen Schlosse – unheimlich lautlos und gedrückt folgte ihm der Zug der Gäste – die Erzählung des merkwürdigen Fremden war wie ein erstarrendes Element auf die überschäumende Lust gefallen.

Es war übrigens die höchste Zeit gewesen, den Festplatz zu verlassen. Rasch aufeinander folgende Windstöße brausten über den See und warfen die im Fackellicht purpurn sprühenden Wellen so hoch an das seichte Ufer, daß die zarten, atlasbeschuhten Füßchen der Damen ängstlich zurückwichen. Soweit der rothe Schein der Illumination über den Himmel hinflog, zeigte er eine schwarze, gährende Masse, die hie und da in jenen fahlweißen Spitzen und Kuppen, gipfelte, welche den Hagel in ihrem Schooß tragen. Man drängte sich eng aneinander, die wildaufflatternden Umhüllungen mühsam festhaltend – eine Fackel nach der anderen erlosch in den jäh an- und abschwellenden Athemzügen des Gewittersturmes; aber dort strahlte ja bereits das weiße Schloß in seinem Lichtermeer wie ein aus Feuer geschnittener Würfel herüber – es galt noch ein kurzes, tapferes Ringen, und das schutz- und lustverheißende Dach war erreicht.

In der Thüre des Vestibules drehte sich der Minister noch einmal um und sah hinaus in die Nacht.

„Wir bekommen Nichts von dem Wetter!“ rief er in die Halle zurück. „Es fällt kein Tropfen mehr – der Sturm treibt Alles nach A. zu. … Wir hätten getrost im Walde bleiben können! Ich stehe dafür, in zehn Minuten ist Alles vorüber! … Den Wagen der Gräfin Sturm!“ herrschte er einem der Lakaien zu.

„Wollen Euer Durchlaucht die Gnade haben, für heute meine Tochter zu entlassen?“ wandte er sich an den Fürsten, der eben im Begriff stand, die Treppe hinaufzusteigen. „Sie tanzt nicht, und mir würde es sehr lieb sein, sie nunmehr, nach den vielfachen freudigen Aufregungen und Eindrücken des heutigen Abends, in der beruhigenden Stille ihres Daheim zu wissen.“

„Sie werden doch die Gräfin nicht in das Wetter hinausschicken?“ rief der Fürst überrascht und seltsam verlegen zugleich. Er blieb auf der untersten Treppenstufe stehen, sah aber Gisela nicht an, die ihm nahe stand.

„Ich kann Euer Durchlaucht versichern, daß wir, ehe der Wagen vorfährt, den schönsten Sternenhimmel haben werden,“ versetzte der Minister lächelnd.

„Die Furcht vor dem Wetter hält mich nicht zurück,“ sagte Gisela ruhig und noch näher an den Fürsten herantretend. „Ich würde sofort und sehr gern das weiße Schloß verlassen; aber ich bin gezwungen, Euer Durchlaucht um die Gnade zu bitten, mir heute noch, und sei es auch nur für wenige Minuten, eine Audienz zu gewähren.“

„Was fällt dem Kind ein?“ rief der Minister heiser auflachend. „Euer Durchlaucht, dieses hochwichtige Anliegen meines Töchterchens betrifft sicher die inneren Angelegenheiten ihrer Puppenstube oder nein, sie hat ja in den letzten Tagen ihren Gesichtskreis um ein Bedeutendes erweitert – irre ich nicht, so handelt es sich um Deine Armen; wie, mein Kind? – Dazu hast Du aber den Augenblick sehr unpassend gewählt, und wenn ich nicht als sehr geduldiger Papa Deine große Unerfahrenheit, in Betracht zöge, würde ich sehr zürnen! … Hat die Gräfin keine bequemere Kopfbedeckung, als diesen runden Hut, Frau von Herbeck?“

„Hier, nimm meinen Baschlik, Herzchen,“ sagte die schöne Excellenz, rasch hinzutretend. Sie riß die glänzend weiße Umhüllung von Kopf und Schultern und versuchte, dieselbe der Stieftochter umzuwerfen.

„Ich muß meine Bitte wiederholen,“ wandte sich Gisela nochmals, jetzt aber mit auffallend vibrirender, flehender Stimme an den Fürst, während sie mittels einer leichten Bewegung den Baschlik zurückwies. „Um einer Geringfügigkeit willen würde ich Euer Durchlaucht ganz gewiß nicht behelligen.“

Der Fürst überblickte flüchtig die Gesichter, die aufhorchend umherstanden.

„Nun gut,“ sagte er rasch; „bleiben Sie, Gräfin – ich werde Sie jedenfalls heute noch sprechen, wenn auch nicht sofort - ich muß mich für einige Augenblicke zurückziehen –“

„Euer Durchlaucht –“ warf der Minister mit halberstickter Stimme ein – er war unverkennbar bis zur Wuth gereizt.

Der Fürst schnitt ihm die Rede ab. „Lassen Sie, mein lieber Fleury; ich meine, wir dürfen die kleine, liebenswürdige Bittstellerin nicht zum Widerspruch reizen. … Und nun, viel Vergnügen!“ wandte er sich huldvoll an seine anderen Gäste. „Amüsiren Sie sich nach Herzenslust, bis es mir vergönnt sein wird, in Ihrem Kreise wieder zu erscheinen. … Hören Sie? meine Capelle intonirt bereits.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_447.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2021)