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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Er winkte mit scheinbarer Unbefangenheit dem Minister, ihm zu folgen, während er mit dem Portugiesen die Treppe hinaufstieg.

Aus den weitgeöffneten Flügelthüren der Säle fluthete es tageshell; eine rauschende Polonaise erstickte den ersten, fernrollenden Donner, und die Gestalten, die eben noch schweigsam und ängstlich verhüllt durch die Nacht geflohen waren, schritten und schwebten wieder plaudernd mit ungeschmälerter Eleganz und in fleckenlos bewahrtem glänzendem Costüm über das spiegelglatte Parquet.

Mittlerweile schritt Gisela nach dem Saal, der an die Schloßkirche stieß – das war gewissermaßen neutrales Gebiet, ein Raum, den Niemand beanspruchte. Ein Diener brachte auf ihr Geheiß mit sehr erstauntem Gesicht eine große Kugellampe, die sich in dem weiten, schauerlich stillen Saal zu einem Fünkchen verkleinerte.

Die Baronin Fleury und Frau von Herbeck begleiteten die junge Gräfin. Beide boten Alles auf, zu erfahren, aus welchem Grunde sie den Fürsten sprechen wolle. Sie war indeß wieder einmal „über die Gebühr dickköpfig“, wie die Gouvernante mit ingrimmig zusammengebissenen Zähnen innerlich bemerkte, und als sich endlich auch die schöne Excellenz überzeugte, daß „Nichts herauszubringen“ sei, und daß sich die störrige Stieftochter weder durch inständige Bitten, noch durch Drohungen bewegen ließ, dem Wunsch des Ministers zufolge nach Greinsfeld zurückzukehren, da verließ sie achselzuckend den Saal.

Frau von Herbeck kauerte sich, trotz der draußen herrschenden Hitze fröstelnd und tief aufseufzend, in einen der hochbeinigen Lehnstühle zusammen – Nachts war dieser geliebte, heilige Saal denn doch zu spukhaft. … Die junge Gräfin aber schritt ruhelos über das altersbraune, ächzende Getäfel des Fußbodens. …

Draußen, hinter den unverhüllten Bogenfenstern gähnte die schwarze, tiefe Finsterniß, von Zeit zu Zeit durchschnitten von einem grellen Blitz des in der That abziehenden Gewitters. Dann zitterte der gelbe Feuerschein über die nachtbedeckten Wände des Saales – die Gouvernante schloß stets entsetzt die Augen – es wollte lebendig werden unter diesen mächtig verkörperten Gestalten der Bibel; sie schwebten zürnend auf die Heuchlerin zu, die frech nach der ihr Haupt umzuckenden Glorie griff, um Handel mit ihr zu treiben, die ihre eigene unkeusche, lasterhafte Seele hinter der sogenannten Gemeinschaft mit ihnen verbarg, und die, um herrschen zu können, wozu sie ihr eigener kleiner, beschränkter Geist nicht berechtigte, das heilige Wort der Schrift zu einer Geißel machte, und mit ihr der unbequemen Wahrheit, dem tiefforschenden und im freien Aufflug denkenden Menschengeist plump in das Gesicht zu schlagen versuchte. …

Auch eine liebliche alttestamentliche Gestalt, das unschuldige Opfer heidnischer Begriffe, die schöne Tochter Jephtha’s, hob der feurige Finger des Blitzes aus dem Dunkel – sie schwebte dort im weißen Gewande, wie eine ängstlich aufflatternde Taube, und schaute mit ihren todestraurigen Augen auf die unruhig Wandernde hernieder, die, fiebernde Angst in den Zügen, unablässig den Saal durchmaß.

Gisela schritt auch wohl hinaus in den halbdunklen Gang, und blieb wartend und lauschend an dessen Mündung stehen. Hier führte eine Treppe in das obere Stockwerk, nach den Appartements der Stiefeltern – der Fürst war droben, er mußte auf seinem Rückweg nach dem Ballsaale hier wieder zurückkommen.

Serenissimus war in der That mit seinen zwei Begleitern hinaufgestiegen, um fern von Lauschern und dem störenden Geräusch des Ballsaales zu sein. Er trat in den Salon mit den violetten Plüschvorhängen und schloß die nach der langen Zimmerreihe führende Thür ab. Am Plafond des anstoßenden Seezimmers brannte eine kleine Flamme in der schwebenden, milchweißen Lotosblume – sie goß einen bleichen Mondenschein über den grünen Meereszauber, die weißen Glieder der Wassergötter und das dämonisch schöne Bild der Gräfin Völdern.

Wie nach einer athemlosen Flucht blieb der Fürst mitten im Zimmer stehen und zog das Document hastig aus der Tasche. Jetzt durfte er sich zeigen, wie er war – er war in der heftigsten, fast niegesehenen Aufregung. Er schlug das Blatt um und las mit gedämpfter Stimme: „Heinrich, Prinz zu A. – Hans von Zweiflingen, Major a. D. – Wolf von Eschebach –“

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Michael Pöschel, der Weinkönig von Missouri. Unter den deutschen Auswanderern, welche es in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zu einer glänzenden Stellung gebracht und durch Intelligenz und Betriebsamkeit vielen Landsleuten ein leuchtendes Beispiel zur Nacheiferung geworden sind, verdient Michael Pöschel in erster Linie genannt zu werden. Ihm verdanken die Bewohner von Missouri die Einführung einer rationellen Weincultur, und wenn die Alten den Gott, der die Rebe pflanzte, als einen der größten Wohlthäter der Menschheit feierten und in dem Traubensaft eine Gottesgabe erblickten, fähig und bestimmt, den Erdgeborenen die gemeine Noth des Daseins vergessen zu machen, so haben wir modernen Menschen wohl auch ein Recht, dem Pionier deutschen Weinbaus im fernen Westen ein Wort der Anerkennung zu gönnen.

Mit geringen Mitteln ausgerüstet war Michael Pöschel vor einigen zwanzig Jahren auf ein Stück Land verschlagen, dessen durstiger Boden nicht im Stande war ihn als Farmer zu ernähren. Von Sorgen um seine Zukunft gequält, kam er auf den Gedanken, Weinanpflanzungen zu versuchen, da die Lage und die Bodenbeschaffenheit seines Besitzthums ihm dazu einigen Erfolg versprachen. Mit vielen schweren Opfern mußten die ersten Pflänzlinge bezogen werden, und harte Arbeit, Mühe und Schweiß, erforderte es, um es nach drei Jahren endlich zu einer einigermaßen lohnenden Ernte zu bringen. Sie brachte für achthundert Dollars Wein und ermuthigte zu einer von Jahr zu Jahr sich mehrenden Ausdehnung der Pflanzungen und der Kelterei. Gegenwärtig zieht Pöschel alljährlich 70–80,000 Gallonen Wein aus seinen Culturen und zwar einen Wein von vorzüglicher Qualität und feiner Würze, für welchen er sogar in Europa einen Markt gefunden hat. Seinem Beispiel, seiner uneigennützigen Unterstützung mit Rath und That verdankt eine große Anzahl deutscher Einwanderer, die sich vorzugsweise in dem Städtchen Hermann (das in den letzten Jahren gegen 300,000 Gallonen Wein producirte) als Weinbauer niedergelassen haben, Glück und Wohlstand, und wer den jetzt sechszigjährigen Mann noch in altgewohnter Weise mit seinen Arbeitern um die Wette rüstig den Weinberg bestellen sieht, wird sich sagen, daß Pöschel zu den wenigen Auserwählten zählt, die mit ihrem Pfunde zu wuchern wissen nicht nur zum eigenen, sondern zu vieler Tausende Heil und Segen.




Der eingeseifte Handwerksbursche. (Unsere Illustration S. 445.) Da steht sie, die überraschte Eitelkeit in der geflickten Hose, und wird aus Verlegenheit witzig. Denn um’s Herz ist’s ihm durchaus nicht so ungenirt, wie’s die flinke Schneiderzunge den erschrockenen Landnymphen vorheuchelt. Wie würde er Brust und Nase gehoben haben, hätte er den Schönen auf dem Waldpfad als feiner und glattgesichtiger, gewaschener und gebürsteter Mensch in den Weg treten können! Denn auf Eroberungen in annectirlichen Gebieten war offenbar sein Sinn in dem Augenblick gestellt, wo er auf dem Kirchthurm da drunten die unzweideutige Festfahne sah. Ob Vogelschießen oder Kirchweih, Sänger- oder Turnerfest, einerlei, es ist etwas los, und da fällt etwas ab – nach dem alten Weltgetriebe – für den Hunger oder die Liebe. – Und daß es weiter keinen Zweck hat, das macht uns den Anblick des Bildchens zu einem in seiner Harmlosigkeit so wohlthuenden. Mög’ es mit diesem Gefühl recht Viele erfreuen!




Bock’s Briefkasten. Brieflich curire ich nicht; aber ja nicht etwa deshalb, weil die allermeisten kranken Briefschreiber meinen Rath unentgeltlich wünschen und weil mir das Briefschreiben Mühe macht (denn ich leide am Schreibekrampfe), weil es mir auch Zeit und Geld (für Briefmarken) kostet, sondern nur deshalb, weil ein gewissenhafter und wissenschaftlich gebildeter Arzt, ohne den Kranken genau untersucht zu haben, niemals einen medicinischen Rath ertheilt. Dies habe ich nun schon zu wiederholten Malen in der Gartenlaube erklärt, aber geholfen hat es mir noch nichts. Viele Briefschreiber bitten mich sogar, „doch bei ihnen einmal eine Ausnahme zu machen und zu rathen“; gerade als ob ich nur aus Faulheit und Inhumanität nicht antworten wollte. Man lasse mich also endlich einmal in Ruhe mit brieflichen Consultationen; am meisten aber mit Geld-Briefen, bei denen die Unterschrift unleserlich ist.

Bock.




Kleiner Briefkasten.


K. L. in M. Von den bis jetzt in die Oeffentlichkeit gekommenen Abbildungen des Berliner Aquariums können wir Ihnen nur die in der Weber’schen Illustrirten Zeitung erschienenen empfehlen. Sie zeichnen sich ebensowohl durch geschickte Aufnahme wie durch vortreffliche xylographische Ausführung vor allen übrigen aus. Wie wir hören, haben wir zunächst noch ein größeres Bild: „das Innere der Bassins mit ihren Bewohnern“ zu erwarten.

B. in Wesel. Nicht angenommen und das Manuskript vernichtet.

Ein Verehrer der czechischen Bomben. Die czechische Uebersetzung der „Alten Mamsell“ von Marlitt ist allerdings eine berechtigte.



Inhalt: Verlassen und Verloren. Historische Erzählung aus dem Spessart. Von Levin Schückling. (Fortsetzung.) – Der Löwe von Halle. Mit Portrait. – Miramare. Gedicht von Franz Boppe. – Aus der Karlsbader Curliste. Von Franz Wallner. – Deutschlands große Industriewerkstätten. 8. „Was verdrängt hat die Engländer von de Continente.“ – Reichsgräfin Gisela. Von E. Marlitt. (Fortsetzung.) – Blätter und Blüthen: Michael Pöschel, der Weinkönig von Missouri. – Der eingeseifte Handwerksbursche. Mit Abbildung. – Bock’s Briefkasten. – Kleiner Briefkasten.




Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1869, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_448.jpg&oldid=- (Version vom 23.11.2022)