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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 29.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.
Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

„Und hier,“ fuhr Wilderich, Striche machend, fort, „ist der Main, und hier – hier ist der Spessart –“ er begann einen länglichen Bogen an der Nordseite der Linie, die den Main darstellte, zu zeichnen, als Leopold, der sich gespannt an den Tisch gedrängt hatte, ihm die Kreide aus den Fingern nahm und ausrief:

„Laß mich den Spessart machen, laß mich, Bruder Wilderich!“

„Nur zu, mein Junge, mach’ Du den Spessart,“ erwiderte Wilderich, ihm lächelnd die Hand auf den lockigen Kopf legend, „aber mach’s hübsch und deutlich, sonst wird Muhme Margareth aus der Sache nicht klug. Gieb Acht, Muhme: sieh, hier unten vom Rhein, von Düsseldorf und Köln her, ist uns die Sambre- und Maas-Armee, befehligt vom Obergeneral Jourdan, und stark etwa achtundsiebenzigtausend Mann, in’s Reich eingebrochen, um über die Lahn und hier den Main und so weiter durch Franken und Oberpfalz auf Wien zu ziehen.

Hier, vom Oberrhein von Straßburg her, ist der französische Obergeneral Moreau mit der Rhein- und Mosel-Armee, achtzigtausend Mann stark, in Schwaben eingefallen, um in gerader Richtung ostwärts weiter auf Wien zu marschiren.

Drüben aber, jenseits der Alpen, da dringt die Alpen-Armee, unter Bonaparte, etwa vierzigtausend Mann stark, wider die Kaiserlichen vor und hat des Kaisers General, Wurmser, bereits zurück und in’s Tirol hineingeworfen, um durch die Alpenthäler von Süden her auf Wien zu rücken.

Du siehst also, Margareth, daß es diesmal darauf angelegt ist, das alte Reich ganz und gar unter die Füße zu bringen und die römisch-kaiserliche Majestät in Wien einzufangen wie einen armen Vogel auf dem Nest.“

Margarethe nickte.

„Ja, ja, das begreift sich schon!“ sagte sie.

„Aber der Mensch denkt und Gott lenkt!“ fuhr Wilderich fort, „und diesmal hilft ihm zu unserem Glück bei dem Lenken ein blutjunger Mensch, mit dem wir ein wenig besser vom Fleck kommen, als wenn der liebe Gott, wie in den vorigen Zeitläuften, sich mit den alten Graubärten von Feldmarschällen und Feldzeugmeistern zusammenthut … wo’s selten viel Gescheidtes gegeben hat. Der junge Mensch ist der Prinz Karl; der hat sich mit des Kaisers und des Reichs Armee zuerst dort unten in den Lahngegenden dem Heere Jourdan’s entgegengestellt und es bei Wetzlar gründlich zusammengeschlagen … Die Sambre- und Maas-Armee hat sich eilig auf den Rückzug begeben müssen.

Drauf ist der Erzherzog Karl nach Ober-Deutschland geeilt, um dem Moreau die Stirn zu bieten. Das hat da ein langes Raufen gegeben, der Erzherzog hat erleben müssen, daß ihn die Truppen aus Sachsen im Stich gelassen haben und heimgegangen sind; die Truppen des schwäbischen Kreises, der auf eigene Faust Frieden mit den Franzosen geschlossen, hat er gar entwaffnen lassen müssen … und so hat er sich zurückziehen müssen bis in’s Donauthal.

Hier aber hat er sich plötzlich gewendet; denn während er so im Schwarzwald und in Schwaben sich mit Moreau herumgeschlagen, ist da unten die Sambre- und Maas-Armee wieder vorgerückt, hat den Feldzeugmeister Wartensleben, der ihr gegenüber aufgestellt geblieben, zurückgeworfen, hat Frankfurt bombardirt, Würzburg genommen und die Österreicher bis nach Amberg geworfen. Das hast Du gehört, wir haben sie auf ihrem siegreichen Marsch ja auch hier gehabt, die Franzosen …“

„Ja, ja,“ unterbrach ihn Margarethe, „nur weiter, Herr Wilderich!“

„Der Erzherzog also hat sich von Moreau abgewendet, hat ein starkes Corps wie einen Schirm vor ihm aufgestellt, damit er nicht sehe, was dahinter geschehe, und ist rasch von der Donau in die Oberpfalz gerückt, hat sich mit Wartensleben vereinigt, die Franzosen bei Teining und Neumarkt überfallen, bei Amberg geschlagen – und die Sambre- und Maas- Armee ist auf dem Rückzuge; sie wird noch einmal Widerstand leisten, so glaubt man; dann aber wird sie in unsere Thäler hier, in den Spessart, den der Leopold da so schon hingezeichnet hat, als ob’s eine Katze wäre, die einen Buckel macht, geworfen werden … und dann eben wollen wir dem lieben Gott, der die Deutschen nicht verläßt, und unsrem jungen Kriegshelden aus Leibeskräften helfen … wir Mannen im Spessart hier! – Nun weißt Du Alles, Margareth!“

„Ihr wollt ihm helfen,“ rief Margarethe aus, „ihr wollt auch Soldaten spielen und …“

„Soldaten spielen, nein; wir wollen nur zeigen, daß die deutschen Bauern, dies Volk halbverhungerter und von ihren Herren zu Grunde regierter Leibeigener, sich noch nicht von den Fremden mit Füßen treten lassen … wir wollen ihnen beweisen, daß deutsche Fäuste immer noch eine Schmach zu rächen wissen …“

„Aber der liebe Heiland und die Mutter Gottes von Rengersbrunn stehen mir bei, das giebt ja nur noch mehr Blutvergießen und Elend …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 449. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_449.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)