Seite:Die Gartenlaube (1869) 456.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

ersten Commis voll. Mich sollte es doch wundern wenn Brandt, der sonst nicht mit seinem Lobe freigebig ist, der dafür bekannt ist daß er seine Leute sehr vorsichtig wählt, sich so arg getäuscht haben sollte.“

„Das ist es eben, weshalb auch ich noch nicht überzeugt bin, daß Trauen die Gelder unterschlagen hat; er besitzt wie auch mir mitgetheilt worden, in der Geschäftswelt ein für sein Alter nicht gewöhnliches Vertrauen. Andrerseits läßt sich aber auch keine Spur finden, daß ein Anderer jenes Vergehen begangen. Doch Sie werden ja selbst sehen und hören, wir sprechen nach der Vernehmung des Angeschuldigten noch weiter darüber. “

Während ich nun schnell mit den nöthigen Formalien des Protokolls bekannt gemacht wurden brachte der Gefangenwärter den Inhaftaten herein.

Trauen war bleich, sein sonst stets heiteres und lebhaftes Gesicht zeigte vollständige Abspannung, nur ein Zug von Bitterkeit lagerte sich um seinen Mund. Mich schien er nicht mehr zu kennen, unsere Bekanntschaft war auch, wie bereits erwähnt nur eine oberflächliche gewesen. Mir war es angenehm. ich konnte desto ungestörter beobachten.

„Sind Sie hier geboren.“ fragte mein College.

„Ja.“

„Leben Ihre Eltern noch.“

„Nur meine Mutter“, war die Antwort, die Trauen mit Mühe hervorbrachte. Ich wußte weshalb, er unterhielt sie, er war ihre Stütze.

„Wie lange sind Sie schon in ihrer jetzigen Stellung?“

„Seit sechs Jahren.“

„Sie sind hier angeschuldigt, fünfhundert Thaler, die Sie nebst anderen Cassenanweisungen, zusammen dreitausend Thaler, in einem Geldbriefe an den Rittergutsbesitzer v. Dynker-Sorawski abliefern sollten, zum Nachtheile Ihres Principals unterschlagen zu haben. Was könne Sie mit von dieser Sache mittheile?“

„Es war am 31. Juli Abends, als die laufenden Gelder an den v. Dynker, der auf seinem Gute eine Brennerei hat für die von ihm an uns während jenes Monats gemachten Spirituslieferungen abgesendet werden sollten. Ich hatte am 30 Juli, also dem Tage zuvor, meinem Freunde Ruediger versprochen, zu seinem auf den zuerst gedachten Tag fallenden Geburtstage Abends zu ihm zu kommen; es wäre eine Anzahl junger Leute nebst Schwestern ebenfalls eingeladen, wie er sagte, damit nach dem Abendessen noch getanzt werden könnte. Ich versprach auch auf sein weiteres Drängen, Alles daran zu setzen, nicht später als um acht Uhr Abends bei ihm einzutreffen. Zu spät fiel mir ein, daß wir am letzten Tage des Monats noch unseren Monatsabschluß in dem Brandt’schen Geschäfte zu machen hätten, welcher unsere freie Zeit häufig erst um neun Uhr, auch wohl noch später, beginnen ließ. Was ich fürchtete, traf ein. Die Uhr hatte an dem gedachten Tage bereits sieben geschlagen und es war bei der Arbeit, die wir noch vor uns hatten, vorauszusehen, daß an eine Beendigung derselben vor achteinhalb Uhr nicht zu denken sei. Eine Bitte an meine Principal, mir früher Urlaub zu geben, würde an jenem Tage vollständig nutzlos gewesen sein. Da sagte dieser: ‚Dieser Brief an Herrn v. Dynker muß noch nach der Post gebracht werden, ehe dieselbe schließt, einer von den Herren wird wohl so freundlich sein und ihn besorgen.‘ Weil ich aus langjähriger Erfahrung wußte, daß jener Brief an jenem Abende abgeschickt werden würde, hatte ich darauf meinen Plan gebaut, vor Schluß des Geschäftes aus dem Comptoir fortkomme zu können, und nur auf die von meinem Chef gesprochenen Worte gewartet, um aufzuspringen und mich zur Besorgung des Briefes anzubieten."

„Welche Stunde war es, als Brandt Ihnen den Brief gab?“

„Siebeneinviertel Uhr.“

„Wie wissen Sie die Zeit so genau?“

„Mein Chef fragte mich um sieben Uhr, was es an der Zeit sei. Ich erwiderte: Gleich acht Uhr. Bei der Eile, mit der Herr Brandt nun die Cassenanweisungen einsiegelte, ließ er sich nicht Zeit, nachzusehen, ob meine Angabe richtig sei.“

„Wunderte sich Ihr Principal nicht, daß Sie die Besorgung übernehmen wollten?“

„Ich glaube, denn er sagte, das könnten ja die jüngeren Leute besorgen. Da ich aber vorgab, noch privatim auf der Post zu thun zu haben, händigte er mir den Geldbrief ein und mahnte mich, so schnell wie möglich zurückzukommen.“

„Warum gaben Sie aber eine falsche Zeit an?“

„Ich wollte vor Bestellung des Briefes, da der Weg zur Post mich an meiner Wohnung vorbeiführte, die Wohnung meines Freundes aber am entgegengesetzten Ende der Stadt lag, erst zu mir hinaufgehen, um mich umzuziehen, und mir so den doppelten Weg sparen.“

Mein College schüttelte unwillkürlich den Kopf, auf seinem Gesichte war der Gedanke zu lesen: „Entweder bist du der unschuldigste Mensch von der Welt, oder der größte Schwindler, den ich je unter meinen Fingern gehabt habe.“ Er sah mich an, als wollte er sehen, was ich dazu dächte. Ich zuckte höchst diplomatisch mit den Schultern.

„Erzählen Sie weiter,“ wandte er sich wieder an Trauen.

„Unten in unserem Hause,“ fuhr dieser fort „traf ich meine jüngeren Geschwister; um nicht Gefahr zu laufen, daß der Brief beschädigt werde, nahm ich ihn nach oben auf meine Stube und zog mich um.“

„Wie lange Zeit gebrauchten Sie dazu?“

„Etwa eine halbe Stunde, dann eilte ich so schnell, wie ich konnte, zur Post und kam gerade zum betreffenden Bureau, in welchem Geldbriefe angenommen werden als der Diener die Thüre schließen wollte, so daß ich der Letzte war, der abgefertigt wurde. Von dort ging ich meinem Versprechen gemäß zu meinem Freunde.“

„Weiter können Sie mir nichts mittheilen?“

„Nein!“

„Sie geben also nicht zu. daß Sie irgend einen Versuch gemacht haben, den Ihnen anvertrauten Brief zu öffnen?“

„Nein!“

„Sie wissen nichts habe auch keine Vermuthung, auf welche Weise das fehlende Geld aus jenem Briefe verschwunden ist.“

„Ich habe auch nicht die geringste Muthmaßung darüber.“

Der Gefangene wurde abgeführt.

„Nun, was halten Sie von der Geschichte?“ fragte mich mein College, als wir das Gerichtsgebäude verließen. „Sie treten mit ungetrübtem Blicke an die Sache herauf und wenn Sie auch, wie alle jungen Juristen, vielleicht etwas zu optimistisch urtheilen werden, so treffen Sie doch wahrscheinlich eher das Richtige, als ich, der ich seit Jahren nur Schattenseiten der Menschen zu sehen Gelegenheit gehabt habe.“

Ich protestirte gegen diese ganz unverdiente Schmeichelei und meinte: „Dadurch, Herr Rath, daß Sie sich an mein Urtheil wenden, zeigen Sie, wie ich glaube, daß Sie selbst noch gar nicht von der Schuld des Trauen überzeugt sind.“

„Möglich!“ murmelte er.

„Ich muß übrigens gestehen,“ fuhr ich fort, „daß mein Urtheil nicht so ganz objectiv ist, wie Sie vielleicht voraussetzen. Denn so wenig ich den Angeklagten auch persönlich näher kenne, habe ich, da ich einen Schulbekannten auf dem Brandt’sche Comptoir habe, der enge mit Trauen befreundet ist, so viel über diesen gehört, und zwar nur Günstiges gehört, daß ich etwas für ihn eingenommen bin.“

„Wissen Sie vielleicht etwas über sein außergeschäftliches Leben?“ fragte mein College.


„Daß er zum großen Theile seine Mutter und jüngeren Geschwister unterhält, dürften Sie wohl schon anderwärts gehört haben. In gesellschaftlicher Beziehung ist er allgemein beliebt, weil er flott tanzt, interessant unterhält und neben seinem guten Herzen eine große Portion Leichtsinn besitzt. Ich schließe dieses aus vielen Streichen, die von ihm erzählt werden.“

„Das ist es eben,“ antwortete der Gerichtsrath, „Habgier oder sonst einen niedrigen Beweggrund zu seiner That traue ich ihm nicht zu. aber Leichtsinn, der verdammte Leichtsinn, er hat schon manchen Menschen fallen lassen.“

Mein College versank in Nachdenken; wir gingen schweigend die noch übrige kurze Strecke neben einander, welche uns unser Weg zusammen führte.

„Nun, auf Wiedersehen morgen, vielleicht geben uns die Zeugen mehr Licht.“ Er grüßte. Das war der erste Tag meiner Gerichtspraxis.

Am nächsten Tage begann die Vernehmung der Zeugen, und zwar zuerst des Secretairs der Post welcher den Brief vom

jetzigen Inhaftaten an dem gedachten Abende des 31. Juli

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 456. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_456.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)