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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die letzte Person, welche heute noch zu vernehmen war, war der erste Graveur der Stadt. Aufgefordert, seine Kenntniß von der Trauen’schen Angelegenheit, sowie sein Gutachten über die bei dem gedachten Geldbrief gebrauchten Siegel mitzutheilen, erzählte er Folgendes.

„Am 5. August kam der Kaufmann Brandt zu mir, übergab mir das mir soeben vorgelegte Couvert, welches an Herrn v. Dynker-Sorawski adressiert war, und sein Petschaft und bat mich, dieses mit den auf dem Couvert befindlichen Siegeln zu vergleichen. Bei der ersten Probe, die ich mit unbewaffnetem Auge machte, schienen mir beide genau zu stimmen, und ich hätte nicht weiter untersucht, wenn Herr Brandt mich nicht dringend ersucht hätte, noch einmal strenge zu vergleichen, ob sich kein Unterschied zwischen den Abdrücken und dem Petschaft finden ließe, es sei ihm sehr viel daran gelegen, es zu wissen. Ich nahm also eine zweite Untersuchung mit der Loupe vor und wollte auch jetzt schon ein weiteres Forschen aufgeben, als mir eine kleine Schramme, die durch das Reiben eines Sandkorns auf dem Petschaft, womit die Siegel auf dem Briefe abgedrückt waren, entstanden sein mochte und auf den Siegeln wiederzuerkennen war, und eine etwas dickere Zeichnung des ‚t‘ in dem Namen Brandt auffielen. Ich machte nun verschiedene Abdrücke mit dem Brandt'schen Petschaft, stellte sie unter die Loupe und ließ Herrn Brandt selbst sehen. Er machte dieselbe Wahrnehmung, wie ich sie eben mitgeteilt habe: auf allen Siegeln, welche mit seinem Petschaft abgedrückt waren, war jene Schramme nicht zu sehen und der Buchstabe schlanker gezeichnet, als auf den Siegeln des Couverts. Daraus folgt nun, daß, wenn diese letzteren alle diese erwähnten Merkmale tragen, auf den mit dem Petschaft des Herrn Brandt gemachten Abdrücken aber dieselben durchaus nicht zu erkennen sind, derjenige, welcher den Brief geöffnet und das Geld herausgenommen hat, nicht das Petschaft des Herrn Brandt, sondern ein nachgemachtes benutzt haben muß.“

„Erkennen Sie vielleicht,“ fragte mein College, „die Arbeit eines hiesigen Graveurs in den nachgemachten Siegeln?“

„Das wird sich aus den kleinen Differenzen, ohne daß das nachgemachte Petschaft vorgelegt wird, nicht feststellen lassen, nur dieses kann ich behaupten, daß die Arbeit darin so fein und geschmackvoll ist, daß wenige der hiesigen Graveure sie liefern würden.“

„Ließ sich eine Mischung von Siegellack in den Abdrücken auf dem Couvert erkennen?“

„Ziemlich deutlich, selbst mit bloßem Auge; ein Grund mehr für die Annahme, daß der Geldbrief in seiner jetzigen Gestalt nicht von Herrn Brandt versiegelt ist.“

Damit war die Zeugenvernehmung an jenem Tage geschlossen, es blieben für den nächsten Tag noch zwei Personen zu vernehmen, deren Aussagen von Wichtigkeit sein konnten, nämlich der Gutsbesitzer v. Dynker und der Postsecretär Krause von Rigow, welcher den betreffenden Geldbrief auf der dortigen Poststation abgeliefert hatte. Ueberall, wo auch nur ein schwacher Schimmer zu sehen war, welcher das Dunkel zu Gunsten des Angeschuldigten erhellen konnte, hatte der Gerichtsrath geforscht, aber immer wieder war er in undurchdringliche Finsterniß hineingeraten. Allen guten Antecedentien des Angeschuldigten, allen offenen Erklärungen, denen man an und für sich hätte Glauben beimessen müssen, stand einzig und allein die Thatsache entgegen, daß nur Trauen den Geldbrief bis zur Ablieferung auf die Post in Händen und Zeit gehabt hatte, ihn öffnen zu können, und diese einzige Thatsache schlug mit dürrer Logik Alles nieder, was ihr zu widerstehen wagte.

Als ich am nächsten Morgen wieder das Gerichtsgebäude betrat, fand ich dort den Gutsbesitzer v. Dynker bereits wartend, gleich darauf trat auch mein College ein.

„Wissen Sie, ob der Postsecretär Krause auch schon hier ist?“ fragte der Gerichtsrath Herrn v. Dynker; „ich würde ihn dann zuerst vernehmen.“

„Ich glaube, derselbe wird heute nicht kommen können,“ antwortete der Gefragte. „Wie ich heute in Rigow auf der Post erfuhr, liegt er seit zwei Tagen zu Hause krank, was ihm fehlt, weiß ich nicht.“

„Schade, daß der Abschluß der Untersuchung dadurch verschoben wird,“ sagte der Gerichtsrath; "dann sind Sie so freundlich, Herr v. Dynker, und teilen mir mit, was Sie in der Trauen’schen Angelegenheit wissen.“

„Ich stehe schon seit mehreren Jahren,“ begann dieser, „mit dem Hause Brandt und Comp. in Geschäftsverbindung, indem ich den auf meiner Brennerei gebrannten Spiritus an dasselbe liefere. Die Beträge dafür gehen dann, wenn nicht besondere Abredungen getroffen werden, am Ende des Monats ein, in welchem die Lieferung geschehen ist. Am 3. August Morgens erhielt ich für eine solche einen Geldschein über einen Geldbrief mit dreitausend Thalern, Absender Brandt, von der Post zu Rigow. Ich muß dabei bemerken, daß der Postbote nach meinem Gute nur einen Tag um den andern kommt, daß also wahrscheinlich der Brief bereits am 1. August dort lag, da er laut dem Geldschein am 31. Juli von hier abgeschickt war, aber erst nach Abgang des Postboten an jenem Tage in Rigow angekommen ist. Ich schickte daher sofort meinen Sohn und meinen Knecht mit dem ausgefülltem Geldschein dorthin, um den Geldbrief in Empfang zu nehmen.“

„Erkennen Sie dieses Couvert als das des von Brandt abgeschickten Geldbriefes wieder?“

„Ja; wie Sie sehen, Herr Gerichtsrath, habe ich nach meiner Gewohnheit die eine Seite des Couverts, die damals vollständig unverletzt war, aufgeschnitten. Ich überzählte sogleich die Summe und fand, daß fünfhundert Thaler fehlten, überzählte nochmals und zum dritten Male, und wieder fehlte dieselbe Summe. Ich hieß deshalb meinen Sohn gleich wieder auf das noch nicht ausgespannte Fuhrwerk steigen, benachrichtigte Brandt von dem, wie ich annahm, stattgefundenen Versehen und ersuchte ihn, umgehend zu antworten. Am 5. August erhielt ich durch den Postboten einen expressen Brief von Brandt, worin er mir schrieb, daß ein Versehen nicht stattgefunden habe, daß vielmehr die vorhin genannte Summe aus dem Briefe herausgenommen sein müsse, und er ersuche mich, wenn ich noch im Besitz der übersendeten Cassenanweisungen wäre, dieselben schleunigst nebst Couvert einzuschicken. Da dieses der Fall war, packte ich die Cassenanweisungen in das alte Couvert, fuhr nach Rigow und ließ in meinem Beisein noch einmal den Brief nebst Inhalt durch den zweiten Postsecretär wiegen; er war, wie der Vermerk der hiesigen Post besagt, vier Loth schwer. Mit einer neuen Umhüllung versehen, schickte ich dann Alles an Brandt ab.“

„Warum ließen Sie den Brief in Rigow wiegen?“

"Um alle Möglichkeit abzuschneiden, den Einwand machen zu können, daß die fünfhundert Thaler, während ich das Geld zählte, fortgekommen wären.“

"Sie waren ja allein im Zimmer?“

„Ja wohl, doch bin ich Geschäftsmann, und Vorsicht ist in allem dergleichen Angelegenheiten mein oberster Grundsatz.“

„Traf es sich zufällig, daß der zweite Postsecretär, nicht Krause, die Schwere des Briefes prüfte?“

„Zufällig und nicht zufällig, wie man es nehmen will. Gründe der Vorsicht, nicht gerade Verdacht führten mich zu dem Entschlusse, durch das nochmalige Wiegen zunächst festzustellen, ob nicht durch eine falsche Angabe des Gewichts bei der Auslieferung des Geldbriefes jenes Vergehen verdeckt worden sei. Da kam es mir natürlich sehr gelegen, daß ich in der Erpedition den zweiten Secretär vorfand, der, da er mir genauer bekannt ist, sich gern dieser Mühe unterzog und den Vorfall nicht weiter zu erzählen versprach.“

„Es war dieser ihr Schritt also nicht auf Grund von verdächtigen Momenten gegen Krause geschehen, vielleicht nicht einmal aus persönlichen Zweifeln gegen dessen Redlichkeit, wie sie häufig das Gefühl erregt, wenn sie der Verstand auch bekämpft?“

„Durchaus nicht.“

"Damit wären wir also vorläufig fertig,“ meinte mein College, als Herr v. Dynker entlassen war, „Krause muß vernommen werden, sobald er gesund geworden ist. Ich sehe aber nicht ein, was derselbe noch Neues mitteilen könnte. Ich will doch Trauen noch einmal vorführen lassen, vielleicht gesteht er jetzt, wenn ihm alle Zeugenaussagen vorgehalten werden.“ Es geschah. Mit aller juristischen Schärfe bewies ihm der Gerichtsrath, daß die Unterschlagung nur geschehen sein konnte, als er den Brief in Händen gehabt, mit dem rührenden Wohlwollen eines Vaters bat er ihn, offen seinen Fehler einzugestehen. Trauen hatte allein diesen Vorstellungen gegenüber nur die eine Bitte, ihn nicht weiter zu quälen, er wäre unschuldig. Ohne einen Erfolg erreicht zu haben, mußte mein College ihn wieder zur Haft zurückführen lassen –

Drei Tage später, glaube ich, war es – wir saßen bei dem langweiligen Verhör eines jugendlichen Diebes – als der Staatsanwalt

zu uns mit den Worten eintrat:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 458. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_458.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)