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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 30.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.
Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Doch, doch,“ fiel Benedicte ein, „ich habe dies Schicksal, wenn nicht verdient, doch mir selbst zugezogen; ich bin schuldig, ja, ich bin es; und wäre ich es auch nicht – würde ich daran denken dürfen, ein andres Leben, würde ich Sie hineinziehen dürfen in das Unglück einer solchen Lage, wie die meine?“

„Ob Sie das dürfen … mein Gott, was fragen Sie … da, wo ich ja will, nichts anderes will, wo es mir wie eine Seligkeit erscheint, mich Ihretwegen in jedes Unglück, in jeden verzweifelten Kampf, in jeden Abgrund zu stürzen!“

„O wie thöricht Sie reden! Ich soll zugeben, daß Sie sich in Kämpfe und Abgründe stürzen! Würden Sie denn dulden, daß ich so etwas thäte, daß ich so mich in’s Verderben stürzte, wenn Sie der Unglückliche, Verbannte wären, wenn auf Ihnen der Verdacht eines Verbrechens ruhte, wenn Sie sich verbergen müßten, wie ich es muß? Würden Sie denn um ein Herz werben, würden Sie zugeben, daß ein andres, ein harmloses und zu allen Ansprüchen auf Glück berechtigtes Wesen käme und sein Schicksal an das Ihre kettete, und sich mit Ihnen in einen ‚Abgrund‘ stürzte? Nie, niemals würden Sie es!“

Wilderich verstummte bei diesen Worten Benedictens; er sah betroffen und verwirrt zu Boden.

„Ich höre aus dem Allen nur heraus,“ sagte er dann, langsam sein verstörtes Gesicht wieder zu ihr erhebend, „wie edel und groß Sie denken; wie furchtbar groß also auch das Unrecht sein muß, welches man an Ihnen begangen hat; und wie erbärmlich ich sein müßte, wie gründlich verächtlich, wenn ich, weil irgend ein abscheulicher Verdacht auf Ihnen lastet, je von Ihnen ablassen könnte …“

„O genug, genug,“ unterbrach ihn Benedicte fast heftig, „Sie sind ein Mann, und über Alles muß Ihnen die Ehre stehen. Ich habe genug gesagt, um Sie fühlen zu lassen, daß es wider Ihre Ehre wäre, je wieder so zu mir zu sprechen!“

„Gerechter Himmel!“ lachte Wilderich gezwungen auf – „wenn man Sie so reden hört, sollte man denken, Sie hätten einen Hochverrath oder einen Mord –“

„Einen Mord?“ sagte sie flüchtig zu ihm aufsehend … „wenn es nun so etwas wäre, dessen man mich beschuldigen kann …“

„Unmöglich – unmöglich!“ rief Wilderich.

„Das Einzige, was unmöglich,“ versetzte sie nach Athem ringend, „das ist, daß wir uns je wiedersehen! Gehen Sie mit Gott, Gott schütze und beschirme Sie!“

Dabei reichte sie ihm ihre Rechte, entzog sie ihm wieder, als er kaum die Fingerspitzen berührt, und wandte sich, um wankenden Schrittes davon zu eilen.

„Räthselhaftes Geschöpf!“ murmelte Wilderich in tiefer Bestürzung ihr nachblickend – „Dich nicht wiedersehen? Lieber den Tag, die Sonne nie wieder sehen, als darauf verzichten, Dich wieder zu sehen und Klarheit zu erhalten über diese entsetzlichen Worte … diese Worte von Verbrechen … von Niewiedersehen … über diesen ganzen teuflischen Waffensegen für Jemand, der in einen grimmen Kampf gehen will, in die blutige Todesgefahr!“

Er stand noch eine Weile wie erstarrt, wie in sich verloren – dann rief er, heftig seine Büchse auf den Boden stoßend:

„Fort damit, fort, fort mit all’ diesen Gedanken! Ein Mann hält seine Hoffnungen, seine Entschlüsse fest bis zum Aeußersten – und nun auf und dem Kommenden entgegen!“

Er wandte sich, um fort zu eilen, als er plötzlich dem Herrn Schösser, der während des Gesprächs unbemerkt an ihn herangetreten sein mußte, in sein graugelbes Gesicht blickte.

„Na,“ sagte der Ritterschaftliche ironisch – „haben ja einen sehr eifrigen Discours mit der Demoiselle gehalten … der Herr Revierförster kennen wohl die Demoiselle schon länger?“ …

„Nein!“ versetzte Wilderich, „ich sah sie früher nie.“

„So, so! Wär’ mir sonst lieb gewesen etwas über sie zu erfahren. … Die Frau Aebtissin von Oberzell sind in ihrem gnädigen Anschreiben an mich ein wenig kurz über dieselbe. Da sich die Schwesterschaft aus dem Kloster flüchte von wegen der dräuenden Kriegsgefahren, und die Demoiselle Benedicte, die bishero als Novize im Kloster aufgenommen gewesen, ohne Verwandte oder andre Zuflucht, dahin sie sich wenden könne, sei, so ergehe der ehrwürdigen Frau geziementliches Ansuchen an mich, besagte junge Dame mit allen derselben als einer wohlconditionirten Person schuldigen Rücksichten auf Haus Goschenwald aufzunehmen. Das ist Alles … nicht einmal den Namen der Demoiselle Benedicte thut sie mir vermelden … und wenn es eine wohlconditionirte junge Person, weshalb geruht die Hochwürdige nicht, sie unter ihre eigene Obhut und Schutz mit sich nach Würzburg zu nehmen, wohin die meisten der frommen Jungfern sich begeben, wie ich von der Demoiselle höre …“

„Sie wird ihre Gründe dazu haben, mein Herr Schösser,“ versetzte Wilderich aufhorchend, … „wer ist diese hochwürdige Mutter Aebtissin?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 465. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_465.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2020)