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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

mit dem Bajonnet, vor dem Rottenfeuer flohen sie zurück, die schützenden Waldhöhen hinan, um bald darauf dasselbe Spiel von Neuem zu beginnen, bis die Kampflust zur wilden Wuth wurde, bis selbst die Kartätschladungen, womit der Feind sie begrüßte, ihre Schrecken für sie verloren und sie nur für wenige Augenblicke auseinander gesprengt in ihre verdeckten Stellungen trieb.

An einzelnen Stellen war die Lage des geschlagenen Heeres verzweiflungsvoll: während es sonst im Weiterziehen kämpfte und sich seiner Haut wehrte, und rechts und links mit zahlreichen Todten seinen Weg bezeichnete und nur immer chaotischer durcheinanderwogte, staute sich an diesen einzelnen Stellen die Fluth der Zurückziehenden vor einem Hindernisse auf, das, wie ein Deich in einem Strome die Gewässer, ihre Massen aufhielt und sie dichter und dichter zusammen und wirbelnd durcheinander drängen ließ. Wo die Heerstraße durch einen engeren Thalpaß zog, waren aus gefällten Baumstämmen hohe und furchtbare Verhaue aufgeschichtet, hinter denen her die Büchsen- und Flintenkugeln in die aufgelösten Bataillone schlugen; sie mußten erst genommen, erstürmt, durch Artillerie mit Vollkugeln zusammengeschossen werden, bevor es möglich war, vorwärts und aus diesen höllischen Defiléen herauszukommen.

Einer der schlimmsten Pässe lag hinter dem Dorfe Bischbrunn, zwei enge kleine Seitenthäler mündeten hier von beiden Seiten auf die Heerstraße, und diese Seitenthäler waren für die Kämpfenden wie gemacht, sich verdeckt in ihnen aufzustellen, aus ihnen hervorzubrechen und sich in sie hinein und an den Bergwänden aufwärts zu flüchten, wenn eine geschlossene Truppe im Sturmschritt gegen sie anrückte. Der Weißkopf, der Waldmeister, den wir von Wilderich nennen hörten, befehligte hier etwa zwei- bis dreihundert wohlbewaffnete Bauern. Sie waren eben auseinander gesprengt worden und sammelten sich wieder um eine jener Rieseneichen, die heute noch der Stolz des Spessarts sind; sie stand etwa in Mannshöhe über der Sohle des Seitenthals, und der Waldmeister saß unter ihr, damit beschäftigt, einen neuen Stein auf seine Büchse zu schrauben.

„Bin gleich fertig, Ihr Mannen,“ sagte er zu den schwer athmenden und keuchend herankommenden Leuten, „stellt einen Posten vorn auf die Bergegge, der uns wahrschaut, wenn ein neuer Trupp kommt … so lang wollen wir uns ein wenig Ruhe gönnen – Du, Natz, Du machst mir auch nicht mehr weis, daß Du kein Wilderer bist, hab’s wohl gesehen, wie Du immer auf’s Blatt trafst … wie viel Stück Wild hast mir aus dem Revier fortgeschossen, Du?“

„Ach, Waldmeister,“ antwortete ein blasser, blonder, junger Bursche im Kittel, „denkt Ihr denn heut’ noch daran? Ich mein’, die Herren machen uns nun für das, was wir heut’ ausrichten, all’ zu Waldmeistern und geben’s Wild frei.“

Die Männer umher lachten.

„Wär’ schon recht,“ rief ein kleiner Mann mit einer Hasenscharte, der sich eben müde in’s Moos niedersetzte, und die alte Doppelflinte aufrecht zwischen den Beinen hielt, „wär’ schon recht, Natz … aber daraus wird nichts, kannst mir’s glauben. Das Wild, als da sind die Sauen, die Spießer, die Böck’ und die Rehgaisen, das ist Eine Sorte, die den Bauer ruiniren … und die andre Sorten, das sind die Herren, die Schösser, die Schloßherren, die Cavaliere, denen’s Wild gehört … hätte der Bauer nun Permiß, daß er sich die eine Sorte mit dem Blasrohr vom Leibe halten dürft’, ’s könnt’ gar leichtlich sein, daß er’s auch mit der andern versuchte … und drum – na, alleweil kannst Dir’s schon selbst ausrechnen.“

„Ich geb' aber nachher meine Flinte doch nicht wieder heraus!“ rief der Natz trotzig, „will sehen, wer kommt, und sie mir abholt!“

„Na, na, na,“ fiel hier ein starker, untersetzter Mann mit einem runden, rothen, aber stark von Blatternarben zerfetzten Gesichte ein, aus dem kleine verschmitzte Augen hervorblinzelten, „Ihr seid ja ein verwegener Bursch, Natz. So zu reden, wo der Herr Waldmeister dabei ist! Solchen Leuten wie Euch hätt’ man das Blasrohr gar nicht in die Hände geben sollen. Es ist ohnehin ein Jammer, daß man das Franzosenvolk damit so drangsaliren muß. Man meint, die Eingeweide müßt’s Einem im Leibe herumdrehen, wenn man’s ansieht! In meinem Ort’ daheim stift’ ich ’ne Seelmesse für die armen Seelen, für all’ die armen Teufel, die heut’ dran glauben müssen.“ …

„Was schwätzt der da – den jammert’s?!“ rief hier ein Dritter aus.

„Na, gewiß jammert’s mich … und jeden friedliebenden, rechtschaffenen Christenmenschen muß es jammern,“ fuhr der Blatternarbige, mit dem Aermel den Schweiß von der Stirn wischend, fort, „daß er so hinter ihnen drein laufen muß und all’ die Hundsmüh’ und Sekatur mit ihnen hat! Wenn das so fortgeht, so weiß ich nicht, wie ich’s noch lang vermachen soll … schon fünf Tage lang bin ich dabei, und ’s graust mich …“

„Fünf Tage lang bist dabei?“ fragte hier der Waldmeister. … „Ja, Du bist ja ein Fremder … woher kommst denn, und weshalb bist denn dabei?“

„Woher ich komme?“ sagte der Mann, sich mit dem Rücken an den Stamm einer Buche lehnend und seinen dreieckigen Hut in den Nacken schiebend … „ich komm’ von Teining, da bin ich daheim …“

„So weit her?“

„Just von da her, wo der Franzose Kehrt gemacht hat … ich bin halt hinter ihm drein marschirt … ganz still und zumeist bei der Nacht … hinter dem Nachtrab drein … hab’ dabei manchen halbtodten Marodeur oder zum Krüppel geschossenen armen Lumpen angetroffen … im Straßengraben und in den Scheuern und Barmen am Wege …“

„Und hast ihnen wohl geholfen und sie getränkt und verbunden wie der barmherzige Samariter?“ rief hier einer der Männer, die einen Kreis um den Fremden geschlossen hatten.

„Ja,“ sagte der Blatternarbige lakonisch; „ich hab’ ihnen geholfen … wenn sie nicht schon genug hatten!“

„Aber wenn Du gar so ein mitleidiges Herz hast,“ fragte der Waldmeister, „weshalb kommst denn hierher zu uns?“

„Na,“ sagte der Mann aus Teining, den dreieckigen Hut wieder über die Stirn ziehend und mit den kleinen stechenden Augen zwinkernd, „ich muß noch ein wenig so mitmachen, ich habe meine Zahl nicht voll!“

„Deine Zahl? Was ist Deine Zahl?“

„Ich muß ihrer siebenzig haben … für jeden zehn … das habe ich gelobt bei der Mutter Gottes von Oetting … sieben Ochsen haben sie mir verbrannt – lebendig im Stadel – das arme unschuldige Vieh – und fett dabei, schwer fett – hab’ eine Brauerei in Teining … der Gaishofstoffel nennen’s mich da … und das Mensch, die Stallmagd, ist auch hin worden bei der Gelegenheit. Da hab’ ich ein Gelübd’ gethan zur Mutter Gottes von Altötting – für jeden Ochsen zehn … zehn, die dran glauben müssen!“

Die Bauern lachten auf.

„Bist ein Kerl, ein wüßter,“ sagte der Waldmeister; „der richtige Franzosenjäger! … Na, komm’ nur mit – und vorwärts, Ihr Leute, ich seh’ den Jörg von der Bergegge herlaufen und winken – richtig, man hört’s schon stoßen und rumpeln – das müssen Kanonen sein – haltet nur brav auf die Pferde, Leute, nur immer auf die Pferde.“ …

Die ganze Schaar eilte zu Hauf und unter dem Laubdach der Bäume der Bergegge, welche die Straße beherrschte, zu. Der „Franzosenjäger“ ihnen nach; es wurde jetzt erst sichtbar, daß er hinkte, daß eins seiner Beine kürzer als das andere, aber seine Bewegungen waren trotz seiner Stärke auffallend behende – auch war er bald an der Spitze der Schaar, trotzdem daß er, wie er sagte, so viele Tage hindurch schon dem abziehenden Heere gefolgt war wie ein böser Wolf dem Leichengeruch.

Eine andere, für das rückziehende Heer verhängnißvolle Stelle lag weiter westwärts, da, wo der Verhau, von dem wir Wilderich reden hörten, angebracht worden – ein Verhau, zehnmal erstürmt und auseinander geschleudert, und dann jedesmal hurtig wieder hergestellt, sobald den Vertheidigern desselben die Muße dazu geblieben. Darüber war es Nachmittag geworden; eben hatte sich wieder ein hitziges Gefecht zwischen einer Infanterie-Colonne und den den Verhau vertheidigenden Bauern und Forstleuten entsponnen, als sich ihm eine Schwadron französischer Chasseurs näherte, die, wie von den Folgen der allgemeinen Auflösung unberührt, sich in straffer Ordnung zusammenhielt. In ihrer Mitte ritt ein General, über dessen dunkle, schweiß- und staubbedeckte Züge der Zorn der Niederlage und die Empörung über diese wilden Angriffe verachteten Landvolks einen erschreckenden Ausdruck von Grimm und Wildheit gelegt hatten. Er mochte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 467. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_467.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)