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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Der erste Freiwillige

Wer erinnert sich nicht noch der großen Festtage von 1863, an denen in Leipzig, dem Orte der Völkerschlacht, die Selbstherrlichkeit deutscher Nation, die Selbstherrlichkeit, welche uns von den Banden fremden Jochs befreit hat und uns die große entscheidende Stellung in der Reihe der Völker wiedergeben wird, gefeiert und dort auf der Anhöhe bei Stötteritz der Grundstein zum Nationaldenkmal (?) gelegt wurde? Es galt „dem Erwachen des deutschen Volkes in seinem nationalen Bewußtsein und Allen denen, welche dafür gekämpft, gelitten und geblutet haben, es galt „dem treuen Ausharren in der begonnenen Arbeit für die großen Endziele deutscher Nation“, es galt „dem endlichen Siege des deutschen Volks im Ringen nach nationaler Macht und Größe, Einheit und Freiheit des heißgeliebten deutschen Vaterlandes.“

In diesem Sinne erfolgte unter begeistertem Jubel die Grundsteinlegung und in diesem Sinne that nach dem Bürgermeister Dr. Koch, dem greisen General v. Pfuel und einem österreichischen Officier ein bejahrter, schlichter Mann mit freundlich-ernstem Blick den weihenden Hammerschlag. Wer war der ältliche Herr, dem man dies Ehrenamt übertragen hatte, der überall, in allen Kreisen, wohin er sich nur wandte, der Gegenstand freudigster Begrüßungen, jubelnder Zurufe wurde? Von Munde zu Munde ging es, und Presse und Telegraph trugen es hinaus über Berg und Thal bis an das Meer und über das Meer: es war der erste Freiwillige vom Jahre 1813!

Nur fünf Jahre sind seitdem verflossen, und der gefeierte alte Herr ist nicht mehr und sollte nimmer das Denkmal schauen, zu dem er den Grundstein mitgelegt. Am Osterfest haben sie ihn selbst in die kühle Gruft gelegt. Am deutschen Volk ist es aber, seiner dankend und ehrend zu gedenken.

Am 16. April 1793 wurde dem Auditeur im Regiment des Kronprinzen, nachherigen Königs Friedrich Wilhelm des Dritten, Heidemann in Potsdam ein Knabe geboren, der nach seinem königlichen Pathen die Vornamen Friedrich Wilhelm erhielt. Der Vater zog nach Königsberg in Preußen, um eine Professur zu bekleiden und später als Oberbürgermeister an die Spitze der städtischen Verwaltung zu treten. Der Sohn folgte ihm dahin und studirte dort vom April 1810 an Rechts- und Cameralwissenschaft. Von seinem Vater, dem deutschen Patrioten, in Begeisterung für alles Große und Edle und vor Allem für des Vaterlandes Ehre und Freiheit erzogen, sehnte Friedrich Wilhelm Heidemann in jugendlicher, feuriger Ungeduld den Tag herbei, wo es gelingen sollte, die schmähliche Gewaltherrschaft der Franzosen und ihres Kaisers endlich zu brechen. Noch schien die Möglichkeit dazu fern zu liegen, allmächtig gebot der Mann von Corsica, Deutschland war zerrissen, Preußen insbesondere gedemüthigt, und unabsehbare Heeresmassen wälzten sich nach Rußland, um die Weltherrschaft Bonaparte’s zu vervollständigen. Da kam von fern her die kaum glaubliche Kunde von dem Brande Moskau’s, von dem Rückzug der großen Armee, von den entsetzlichen Leiden derselben auf den Eisfeldern Rußlands.

Der Weg von Moskau nach der deutschen Grenze wurde zur gräßlichsten Leichenstraße und der General v. York schloß gegen die fliehenden, verhaßten Unterdrücker des Vaterlandes in der Poszerunschen Mühle bei Tauroggen mit General v. Diebitsch jene Convention ab, welche das Signal zum Volkskriege gegen Napoleon werden sollte.

Nach den geheimen Mitteilungen, welche er schon bei Beginn des französisch-russischen Krieges von Hardenberg aus dem Cabinet erhalten hatte, mußte er sich in Uebereinstimmung mit den Intentionen der preußischen Regierung glauben, und in dieser Ueberzeugung, wie aus hochherziger deutscher Gesinnung, ging er, im Verein mit Freiherrn v. Stein, der die Versammlung der National-Repräsentanten in Königsberg berief, auf der betretenen patriotischen Bahn weiter. Er hatte sich in König Friedrich Wilhelm geirrt. Der „loyale, gute und honette Mann“, wie Napoleon ihn nennt; – der Monarch, der um Alles in der Welt nicht „genirt“, nicht „turbirt“ sein wollte, dem jede „Scene“ peinlich war und der sich in freies, öffentliches Volksleben nimmer zu finden wußte, – er hatte auch jetzt noch nicht die Entschlossenheit, die geheimen Wünsche und Pläne seines Cabinets zur Ausführung zu bringen und für das Vaterland gegen die französische Despotie einzutreten.

In Rücksicht auf den Alliirten Napoleon erklärte er den General v. York wegen der abgeschlossenen Convention seines Commando’s verlustig, sandte Natzmer ab, auf ihn zu fahnden, und forderte ihn zur Verantwortung vor einem Kriegsgericht auf. Mag es Schein, mag es Ernst gewesen sein, – erfolglos blieb es, der Rubikon war überschrittet, der Würfel gefallen. Als General-Gouverneur von Ost- und Westpreußen, als Stellvertreter des Königs und in dessen Namen, wenn auch ganz auf eigene Faust, stellte sich York an die Spitze der auf Stein’s Anforderung nach Königsberg berufenen landständischen Versammlung als der „Repräsentanten der Nation“ und bot allgemeine Volksbewaffnung auf. Gedrängt von dem dadurch erwachten Volksgeist und in Besorgniß für seine eigene Sicherheit ging der König am 22. Januar 1813 nach Breslau und ließ auf Andringen Scharnhorst’s es geschehen, daß von dort und in seinem Namen eine von Hardenberg unterschriebene Proklamation die streitbare Mannschaft des Reichs zur Bildung von Abteilungen freiwilliger Jäger zu Fuß und zu Pferde zum Kampf für das Vaterland aufrief. Er that es nur mit Widerstreben, und ohne den Feind zu nennen, gegen welchen das Volk in die Waffen gerufen wurde, ja, er beeilte sich, durch eine andere, vom 9. Februar datirte und von ihm selbst unterzeichnete Verordnung einen Dämpfer aufzusetzen. Wie der Regent Graf Golz in Berlin, blieb in Breslau der König mit Staatskanzler Hardenberg noch immer Bundesgenosse und Freund der Franzosen und ließ wegen des York’schen Abfalls die demüthigsten Entschuldigungen nach Paris übermitteln. Erst nachdem am 6. Februar die Russen in Warschau eingezogen waren und am 13. Februar Winzingerode die Sachsen bei Kalisch geschlagen hatte, kam Ende Februar auf Stein’s Antrieb das Schutz- und Trutzbündnis zwischen Rußland und Preußen zu Stande, und erst nachdem am 5. März Fürst Repnin an der Spitze seiner Truppen unter dem Jubel des Volkes in Berlin eingezogen war, erging endlich Mitte März die förmliche Kriegserklärung an Frankreich.

So lange hatte sich aber die Regierung in Königsberg, die Regierung York’s und Stein’s, nicht geduldet. Lange schon unzufrieden mit der unentschlossenen, zögernden Politik des Königs, begeistert für die große Sache der Freiheit und des Vaterlandes, riefen sie und die versammelten Stände das Volk zu den Waffen, um König und Vaterland von dem französischen Joch zu befreien. Es wurde die Landwehr errichtet und auf Wunsch von York, obgleich der König damals noch das York’sche Corps von der Berechtigung zur Annahme von Freiwilligen ausschloß, erklärten sich die Stände bereit, außer der Landwehr noch ein National-Reiterregiment von Freiwillige zu bilden. Gemäß diesem Beschluß der Stände vom 7. Februar erließ York am 8. Februar die öffentliche Aufforderung zum Eintritt und weckte die allgemeinste Begeisterung.

Alles dies vollzog sich in Königsberg, unter den Augen des Bürgermeisters Heidemann und seines jugendlichen und jugendlich begeisterten Sohnes. Sie lebten alle jene historisch bedeutsamen Momente mit, in welchen die langgehegten Hoffnungen der Patrioten zur Wirklichkeit, zu energischer That wurden. An der Seite York’s, Dohna’s, Schön’s etc. widmete der Vater als Oberbürgermeister von Königsberg in edlem Eifer der Stiftung der Landwehr die rastlosesten Anstrengungen, die wichtigsten schriftlichen Arbeiten in dieser großen Sache gingen aus seiner Feder hervor, das Königsbergs Landwehrbataillon, das als das erste durch das Grimmaische Thor in Leipzig eindringende Truppencorps sich unsterblichen Ruhm erwarb, war von ihm geschahen, und im Sitzungssaal des Rathhauses zu Königsberg schaut noch jetzt von der Wand das Bild des Oberbürgermeisters Heidemann in der Uniform der Landwehr, mit dem Kreuz auf der Landwehrmütze, herab.

Und sein Sohn war es, der sofort nach der obenerwähnten öffentlichen Aufforderung an einem der Tage vom 9.–12. Februar als der erste deutsche Freiwillige in das ostpreußische National-Cavallerie-Regiment, das erste errichtete Regiment Freiwilliger, eintrat. Der Major von der Cavallerie, Graf Lehndorff, der auf York’s Wunsch die Organisation dieses Corps übernommen und eine öffentliche Aufforderung, diesem Regiment beizutreten erlassen hatte, veröffentlichte in der „Königsberger Hartung’schen Zeitung“, Nr. 24 vom Februar

1813. „Seit der Publikation im vorigen Stück der Königsberger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_472.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)