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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Zeitung, das National-Cavallerie-Regiment betreffend, Sind dem Regiment zu Königsberg an Freiwilligen beritten und völlig equipirt und armirt beigetreten: 1) Studiosus Heidemann, Sohn des Oberbürgermeisters; 2) Studiosus v. Knobloch; 3) Handlungsdiener Mecklenburg; 4) Referendarius Graf v. Kalnein; 5) Studiosus v. Buddenbrock,“ woran sich noch eine längere Liste von Freiwilligen schließt.

Mit Stolz und Wehmuth ließ der Oberbürgermeister seinen Sohn in das Feld ziehen, – ahnte er, daß es ein Abschied auf ewig war? Im Mai 1813 rückte das ostpreußische National-Cavallerie-Regiment aus Königsberg aus, mit ihm in Jugendmuth und vaterländischer Begeisterung Friedrich Wilhelm Heidemann. Als zwanzigjähriger Jüngling verließ er Vaterhaus und zweite Vaterstadt, um sie nie wiederzusehen. Das durch sich selbst entstandene, den Fahnen des York’schen Corps folgende Regiment war vom König noch nicht bestätigt. In mühseligen Märschen, wie sie bei der heutigen Kriegführung kaum mehr möglich, erreichte es Breslau und wurde dem König während des Waffenstillstandes vorgestellt. Er musterte die Uniformen, ließ sich einen Tschako reichen und las darauf verwundert. „Mit Gott für’s Vaterland!“ „An den König gar nicht gedacht,“ bemerkte er ärgerlich in seiner kurzen Weise. Daß sofort der König zwischen Gott und Vaterland gesetzt wurde, bedarf wohl kaum der Erwähnung.

In der Schlacht an der Katzbach, als er ein feindliches Geschütz eroberte, erhielt Heidemann einen Schuß in das Bein und einen Hieb in den Kopf. Man schlug ihn zum eisernen Kreuz vor, aber er sollte mit einem Andern darum loosen was er ebenso edelmüthig als stolz ablehnte. Nach einigen Wochen waren seine Wunden soweit wieder geheilt, daß er an der Leipziger Schlacht teilnehmen konnte. Bisher Zugführer, nun aber in Anerkennung seiner Tüchtigkeit und Tapferkeit zum Officier ernannt, kämpfte Heidemann an der Spitze seiner Schaar den blutigen Tag von Möckern (16. October). Neben ihm fiel sein Rittmeister Keudell und rief ihm noch ein Lebewohl zu. Doch auch ihn selbst sollte schon nach wenigen Minuten das Loos ereilen. Ein Bajottnetstich traf seine rechte Hand, eine Kugel seine Brust: sie würde ihm den Arm mitgenommen haben, wenn er ihn nicht mit dem Säbel über dem Kopfe gehabt hätte. Rücklings auf sein Pferd sinkend und mit diesem stürzend, blieb er, der Schwerverwundete, bis zum Morgen liegen, wo er beim Räumen des Schlachtfeldes aufgefunden, für todt unter dem Pferde hervorgezogen und von dem Schlachtfelde getragen wurde. Fast leblos wurde er nach Halle gebracht, fand dort im Hause des Professors Niemeyer die liebevollste Pflege und erholte sich allmählich von den schweren Strapatzen und Wunden. Um den Genesenden zu zerstreuen, brachte man ihm Lectüre. Mit Interesse sah er die langentbehrten Zeitungen durch und stieß – wer könnte seinen Schrecken schildern? – auf die Anzeige vom Tode seines Vaters! –

Notdürftig geheilt, begab er sich im November desselben Jahres nach Berlin und ward, da sich sein Regiment inzwischen aufgelöst hatte, als Adjutant in der Kurmärkischen Landwehr-Reserve-Cavallerie angestellt. In einem der ersten Monate vom Jahr 1814 verließ er Berlin, um ein Commando nach dem Rhein zu führen, aber auf dem Marsche erkrankte er von Neuem an den nur scheinbar geheilten Wunden und mußte in Weimar zurückbleiben. Als Siegesnachricht auf Siegesnachricht und endlich die Kunde von der Einnahme von Paris einlief, ließ der junge tapfere Invalid sich nirgend sehen. Der Friede wie seine Invalidität ließen ihn dem Soldatenstand Valet sagen. Hätte er seinen Wünschen folgen können, so würde er gern seine akademischen Studien wieder aufgenommen haben, doch das erlaubten ihm seine Verhältnisse nicht. So war es ein glücklicher Zufall, der ihn aus dieser traurigem Lage rettete. Der Weimarische Hof hatte dem jungen Officier in Rücksicht seiner Verdienste und seines Mißgeschicks warme Theilnahme erwiesen, für seine Pflege bei dem Leibarzt Geheimen Hofrath Huschke gesorgt und die Brustwunde durch dem Geheimen Hofrath Stark in Jena operiren lassen.

Nach Weimar kam Friedrich Wilhelm der Dritte und sah dem jungen Invaliden, indem die Großherzogin Louise ihm denselben vorstellte und empfahl. Der König, der sich ohnehin bei Nennung des Namens seines Potsdamer Pathenamtes erinnerte, sicherte ihm für sein tapferes Verhalten eine Civilanstellung zu. Bald nachher wurde denn auch Heidemann Hülfsarbeiter am Berliner Generalpostamt, dann Administrator, endlich Postmeister in Weißensee. Nachdem er vierzig Jahre diesem Berufe treu gelebt und sich überdies durch literarische Arbeiten hervorgethan hatte, zog er nach seiner Pensionirung wieder nach dem ihm lieb gewordenen Weimar und füllte seine Zeit mit verdienstlichen schriftstellerischen Studien aus. So floß dem treuherzigem biedern Alten, der von der Gattin liebevoll gepflegt, von Allen geschätzt und geehrt wurde, der Abend des Lebens friedlich dahin.

Zwei Freudentage erhebendster Art sollten ihm noch beschieden sein. Zunächst die Feier der Leipziger Schlacht, deren wir im Eingang dieses Artikels gedachten, und zu der nur auf dringende Bitten seiner Freunde der bescheidene, schlichte Jubilar sich einfand. Die Anerkennung und Liebe, die ihm dort von allen, allen Seiten so herzlich und warm zu Theil wurde, ward ihm zur edelsten, reinsten Freude und Genugtuung. Und als am 4. Februar 1866 in engem, trautem Kreise von Verwandten und Freunden sein goldenes Ehejubiläum festlich begangen wurde, gingen ihm wieder von nah und fern die rührendsten Beweise liebevoller Verehrung zu. Eine von alten preußischen Officieren ihm überreichte Dose trug sinnig das eiserne Kreuz, welches er in den todesmuthigen Kämpfen an der Katzbach und bei Möckern sich verdient, aber nicht erhalten hatte. Durch eine Staffette im Costüm der Zeit vor fünfzig Jahren überschickten ihm Königsberger Freunde in Anerkennung seiner Verdienste die Ernennung zum General- Postmeister und Telegraphen-Director des einigen Deutschlands, mit der Instruction: „Sie haben neue Posten und Bahnen zu schaffen, zu schnellerer Beförderung echter Liebe und goldener Treue, haben ein Telegraphennetz zu ziehen, auf dem ein Funke von Herz zu Herzen die Begeisterung und Selbstverleugnung Ihrer großen Zeit trägt. Bis zur Vollendung dieses Werks und Sie an Ihren Posten gebunden und haben auf keine Stunde Urlaub zu rechnen.“

Seine in Königsberg lebenden Kampfgenossen aus den Jahren 1813-15 schickten ihm aus der Heimath, „in welcher sich der Name Heidemann einen so herrlichen patriotischen Klang gegründet“, die herzlichsten Glückwünsche zu dem Jubel- und Ehrentage, indem sie es aussprachen, wie sie „in ihm nicht nur den Lands- und Ehrenmann zu achtem, sondern als ersten freiwilligen Jäger in unserm teurem Vaterlande gleichsam den Vorkämpfer für Preußens und Deutschlands Befreiung von einem schmachvollem Drucke und unseliger Knechtschaft zu schätzen haben.“ Wohl rann beim Gedanken an die Heimath und die Jugend- und Kriegscameraden manche Thräne über die Wange des gefeierten Alten, wohl hätte er beide so gern noch einmal gesehen! Erst in diesen Tagen fand sich unter seinen Papieren ein Blatt, auf welchem er sein Heimweh poetisch ausgeströmt hat; er schließt mit den rührenden Worten.

In der Schlachten Gewühl fehlt’ es an keinem der Unsern,
     Doch zu der Heimath Gefild kehrten nicht alle zurück.
Ihr, die zur Heimathflur, der lieblichen, wieder gelanget,
     Bringt meinen Gruß dem Gefild, wo wir als Knaben gespielt.

Ein Wiedersehen seines Königsberg sollte ihm aber leider nicht beschieden sein. Die alten Wundem brachen wieder auf und nach langen, schmerzlichsten Leiden entschlief er am Ostersonntage dieses Jahres, am 28. März.

Es war der März, der Jahrestag der Einnahme von Paris, als sich ein langer ernster Zug auf dem Weimar’schen Friedhofe dahin bewegte; in der Mitte ein mit Blumen bedeckter Sarg und zwischen den Blumen ein Säbel und eine Patronentasche. Freundlich begrüßte goldener Sonnenschein die Waffen, wie er sie einst beim Ausritt aus Königsberg und auf dem blutigen Leipziger Schlachtfeld begrüßt hatte. Auf dem Friedhof, auf welchem auch der deutsche, tapfere Karl August ruht, wurde Heidemann mit militärischem Ehren bestattet, und ihm zur Seite ein Plätzchen vorbehalten für die treue Genossin seines Lebens, für die würdige Greisin , die durch den Tod ihres Gatten in tiefste Trauer versetzt ist.

Auf Königsbergs Friedhof ruht der Vater, und das ihm zu Ehren errichtete Grabdenkmal trägt die ruhmvolle Inschrift: „Den Anstrengungen bei der Stiftung der Landwehr erliegend, starb er für König und Vaterland.“ Fern von ihm, in Weimar, ruht der Sohn, der heldenmütige Jüngling von 1813. Einen Ehrenkranz auf sein Grab! Mag es dem deutschen Vaterland an todesmutigen, opferbereiten Jünglingen wie Heidemann nimmer fehlen, mag er der deutschen Jugend allezeit ein Vorbild patriotischer Gesinnung und männlichem Muthes sein!

R. K.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 473. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_473.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)