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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

massiv, daß in ihrem Innern ein ordentlicher Umlaufsgang Platz gefunden hat. In diesem Ganggewölbe, das kaum soviel Raum gewährt, daß je ein Mann vor einer der Schießscharten sein Gewehr laden und auslegen kann, und welches sein spärliches Dämmerlicht nur durch die letztere erhält, können wir von Thurm zu Thurm fortschreitend den ganzen Burgring umwandeln. Ein solches Kirchencastell war das zu Wolkendorf, von dem die Geschichte Folgendes erzählt: Als um das Jahr 1611 der Landesfürst Gabriel Báthori der sächsischen Nation ihre Verfassung zu rauben gedachte, erhob sich der Burzenländer Gau gegen ihn in Waffen. Der Tyrann rückte, nachdem er bereits Hermannstadt durch List eingenommen, mit Heeresmacht in’s Burzenland. Seinem Grimme zum ersten Opfer fiel der Ort Wolkendorf. Das Dorf ging in Flammen auf; aber drinnen im Castell stand die Einwohnerschaft und wehrte sich hartnäckig. Trotzdem wurde das Schloß erobert bis auf den festen Hauptthurm, in welchem sich die Vertheidiger

Burg Rosenau.
Nach der Natur aufgenommen.

zuletzt zusammendrängten. Der Fürst bot ihnen Gnade an; allein sie ergaben sich nicht. Da ließ Báthori Holz- und Strohmassen an den Thurm anhäufen und anzünden – und gegen dreihundert Menschen Männer, Weiber und Kinder starben im glühenden Thurm eines gräßlichen Heldentodes.

Noch vor wenigen Jahrzehnten befanden sich in den Vertheidigungsgängen mancher Burgen die rohen, plumpen Hakenbüchsen, welche den Bauern statt der mangelnden Geschütze dienten. Das achtundvierziger Jahr hat die schwerfälligen Kriegswerkzeuge aus den Castellen, wo sie noch vorhanden waren, heruntergeholt und sie zu kleinen Kanonen umgewandelt.

Dieses ist der Typus der Kirchencastelle, von denen wir eins der besterhaltenen und auch historisch interessantesten dem Leser in der Abbildung vorführen. Ungleich bedeutender, sowohl an Umfang als in Bezug auf die Mannigfaltigkeit der Formen und der Gestaltung, sind die eigentlichen Burgen, deren es übrigens im Burzenlande nur zwei wirklich von Banernhänden erbaute giebt, nämlich die Marienburg und die Rosenauer Burg.[1] Die erstere, ursprünglich von den Brüdern des deutschen Ritterordens angelegt und dann später von den Bewohnern des gleichnamigen Marktfleckens verändert und umgebaut, zeigt gegenwärtig nur noch geringe Ueberreste; die letztere, ebenfalls vom Zahn der Zeit bereits stark mitgenommen, bietet gleichwohl – abgesehen von dem prachtvollen Ueberblick, dessen man von ihr aus über die nahen, formenherrlichen Hochgebirge genießt – immer noch ein recht interessantes und malerisches Bild. Hart über der Marktgemeinde Rosenau, auf sechshundert Fuß hohem, steilem Felsberge gelegen, präsentirt sie sich schon aus der Ferne als ein stattliches Schloß und macht, namentlich von der Westseite gesehen, mit ihrem zerrissenen, thürmereichen, mit dem schroffen, zackigen Felsgestein scheinbar in Eins verwachsenen Gemäuer eine romantische Wirkung. Im Innern bemerkt man außer den Trümmern anderer Gebäude die Reste einer Capelle. Eine besondere Merkwürdigkeit bildet ein neunzig Klafter tiefer, außerordentlich schön in Fels gearbeiteter Brunnen, der noch im vorigen Jahrhundert das köstlichste Trinkwasser lieferte, gegenwärtig aber in Folge der vielen von den Besuchern nach und nach hinabgeworfenen Steine seine Labe zu spenden aufgehört hat. Die Burg hat noch bis heute ihren „Burghüter“ – gegenwärtig ein alter Bauer nebst Ehehälfte – zu dessen Obliegenheiten unter Anderem ein allabendlicher Paukenanschlag nebst dem Absingen eines geistlichen Liedes gehört, und es macht eine gar nicht üble Wirkung, wenn nach dem Verklingen der Abendglocke in der Gemeinde unten der dumpfe Schall aus der Höhe ertönt und die zitternden Stimmen des alten Paares weithin über den stillen Marktflecken hallen.

  1. Es dürfte vielleicht nur wenigen Lesern der Gartenlaube bekannt sein, daß der Orden der deutschen Ritter, bevor er sich im heutigen Preußen festsetzte, dreizehn Jahre lang (von 1211 bis 1225) in dem ihm vom ungarischen König Andreas dem Zweiten vergabten, damals noch wüsten Burzenlande verweilte. Die Ritter legten hier sechs, zum Theil in einigen Ueberresten noch vorhandene Burgen an, unter denen die Marienburg der Hauptsitz des Ordens war. Sie hatten in dem kurzen Zeitraum auch bereits einen bedeutenden Landstrich der Walachei erobert, wurden aber, da sie den eingegangenen Vertrag nicht hielten, von König Andreas zur Räumung des Landes gezwungen. Die heutigen sächsischen Bewohner des Burzenlandes sind die Nachkommen der deutschen Colonisten, welche die Ritter in’s Ländchen zogen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_477.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)