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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Das Orchester bestand aus vier Mann, die sich in Violine, Contrebaß, Clarinette und Tenorhorn theilten.

Die Vorstellung des Freischütz ging vor sich und der Saal war am ersten Abend – ziemlich besetzt, am zweiten Abend – voll bis auf den letzten Platz! und als wir, die Citrone auszupressen bis auf den letzten Tropfen, noch eine dritte Wiederholung wagten, wiederum noch so angefüllt, daß wir durch die Gesammteinnahme uns als „’rausgerissen“ betrachten durften. Denn, nachdem der Director und die Mitglieder ihre Hauswirthe, der erstere, als contrahirt habendes Haupt, auch den Localwirth und den Fuhrmann, der uns fortschaffen sollte und, gegen Vorausbezahlung, menschenfreundlichst auch wollte, bezahlt hatten, konnten wir Jeder, o Freischützsegen! noch einen baaren Einstrich von zwölf Silbergroschen machen! Ich weiß es noch, als wär’s gestern geschehen, und niemals an Leben hat mir etwas so viel Freude gemacht, als diese wenigen – sage ich: Freischützgroschen!

Wie über alle Beschreibung elend und jammervoll diese Freischützvorstellung gewesen sein muß, kann der Leser selbst ermessen, ebenso aber auch, wie zauberhaft, wie packend, gewaltig und fesselnd die Macht seiner Melodien selbst bei elendester Ausführung überall noch auf die Gemüther ihre Wirkung auszuüben vermag.

Diese zwar schon alte Wahrheit wiederum auf’s Neue zu erhärten, das ist der einzige Zweck dieser kleinen Skizze und darin möge sie selbst ihre Rechtfertigung finden.

C. v. K.




Vor dem Ausbruch des Vulcans.

Viel Schweiß der Edlen ist an die Aufdeckung jenes Alterthums verwendet worden, welches man das classische nennt. Ein eigener Zweig am Baum der Wissenschaft bildete sich ausschließlich für die Erforschung des Schriftthums der Griechen und Römer, und doch konnte man blos Sonntagsgestalten der Poesie und Geschichtschreibung an’s Licht ziehen, während der Mensch und die Gesellschaft des Alltags, das Werkeltagstreiben im Haus und Garten, auf Straße, Markt und auf der Reise nicht bis zum klaren Bild an uns herantrat. Das Epos der Gegenwart, der Roman, welcher das reinste Spiegelbild des Lebens und Treibens vom Innersten bis zum Aeußersten darstellt, war den Alten fremd. – Da nahm sich die Natur der Sache an. Gerade zur günstigsten Zeit, nahe am Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus, wo der raffinirteste Sinnengenuß herrschte, wo Sclaverei und Gladiatorenthum für „Brod und Spiele“ in der Arena sorgten, während in den kühlen, blumendurchdufteten Räumen des gebildeten Hauses die Poesie der Griechen zur Lyra erklang, in dieser Zeit der schroffsten Gegensätze im öffentlichen und geheimen Leben deckte ein furchtbares Naturereigniß plötzlich zwei der blühendsten Städte des italienischen Großgriechenlandes, Herculanum und Pompeji, für siebenzehnhundert Jahre mit einem licht- und luftdichten Grabtuch von verbranntem Gestein und Asche zu.

Dornröschens Zauberschloß ist ein Kinderspiel der Phantasie neben der ungeheuren Wahrheit dieser Thatsache. Zwei volkreiche und lebenslustige Städte werden ohne irgendwelche Vorahnung, ohne jede Andeutung des Bevorstehenden im Verlauf weniger Stunden so vollständig den Augen der Welt entrückt, die Stätte selbst entschwindet so völlig aus dem Gedächtniß der nachkommenden Geschlechter, daß nach mehr als anderthalbtausend Jahren eine förmliche Entdeckung derselben nothwendig ist. – Für die damaligen Umwohner des Vesuv war ja dieser Berg noch nicht der feuerige Warner. Kein offener Krater zeigte die Werkstatt des Vulcan an, Gesträuch überwucherte die Thalmulde des Berghauptes, keine Geschichtsrolle berichtete irgendwann von einem Ausbruch des Vesuv, und nur seine Gestalt und die Lava der Wände zeugten für das, was er einst gewesen; der Vesuv galt für einen längst für immer erloschenen Vulcan.

Zwar ist die Unheimlichkeit seiner Nachbarschaft etwa sechszehn Jahre vor der entsetzlichen Katastrophe durch ein heftiges Erdbeben bemerklich gemacht worden, das in Herculanum und Pompeji viele Gebäude zerstörte; aber sechszehn Jahre sind eine lange Zeit und längst war von jener Verwüstung die letzte Spur verwischt. Dieses ganz Unvorbereitete der gräßlichen Erscheinung, das alles Leben zweier Städte wie mit einem Schlage erstarren machte, wird uns immer tief in die Seele greifen; es ist das Erschütternde, aber ihm verdanken wir auch das außerordentlich Belehrende eines Ganges in den wieder aufgegrabenen Straßen jener „mumisirten“ Städte, wie Goethe sie nennt. Wir sehen an hundert Beispielen, wie die Menschen bald mitten in der Arbeit, bald mitten im Vergnügen von dem Unglück überrascht worden sind. Dort die halbfertigen Säulen auf dem Forum; sie sollten nie fertig werden. Wo sind die Werkleute geblieben? Im Backofen liegt das fertige Brod; der Bäcker kam nicht wieder, es heraus zu langen; das geschah erst eintausendsechshundertsiebenzig Jahre später durch einen ganz anderen Mann. Wollen wir nicht in die Wohngemächer und Gesellschaftssäle der Vornehmen und in die Putzzimmer der Frauen blicken? Alles, was ein Roman aus jenen Tagen uns geschildert haben würde, das sehen wir mit eigenen Augen, und Formen und Farben sind so wohl und frisch erhalten, als wäre das Alles gestern erst angeschafft. „Diese Zimmer, Gänge und Galerieen,“ so erzählt Goethe von seinem Besuch in Pompeji, „auf’s Heiterste gemalt, die Wandflächen einförmig, in der Mitte ein ausführliches Gemälde, jetzt meist ausgebrochen, an Kanten und Enden leichte und geschmackvolle Arabesken, aus welchen sich auch wohl niedliche Kinder- und Nymphengestalten entwickeln, wenn an einer anderen Stelle aus mächtigen Blumengewinden wilde und zahme Thiere hervordringen. Und so deutete der jetzige ganz wüste Zustand einer erst durch Stein- und Aschenregen bedeckten, dann aber durch die Aufgrabenden geplünderten Stadt auf eine Kunst- und Bilderlust eines ganzen Volkes, von der jetzt der eifrigste Liebhaber weder Begriff, noch Gefühl, noch Bedürfniß hat.“

Unseren Lesern haben wir schon im Jahrgang 1856 der „Gartenlaube“ Gelegenheit gegeben, im Geiste durch die Straßen der aufgegrabenen Stadt zu lustwandeln, indem wir ihnen Overbeck’s „Vogelansicht von Pompeji“ in einem großen Holzschnitte mittheilten; und noch 1861 ließen wir sie einen Blick auf die Ausgrabungsarbeiten selbst thun. Die Artikel zu beiden Bildern behandeln alles Wissensnothwendige über den Gegenstand in geschichtlicher und naturgeschichtlicher Beziehung so ausführlich, daß wir darauf zurückverweisen müssen, um uns ausschließlich unserem heutigen Bilde zuzuwenden.

Bekanntlich hat der englische Schriftsteller E. L. Bulwer seinen Besuch in der wieder erstehenden Stadt dazu benutzt, den Roman, den wir aus jener alten Zeit vermißt, noch nachträglich zu liefern in seiner berühmten Erzählung: „Die letzten Tage von Pompeji“; wir verdanken eine in manchen Stellen sinnreich verbesserte deutsche Bearbeitung dieses Romans unserem Friedrich Förster. Dieses Buch leitete den Künstler,[1] als er in diesem Bilde uns den schönsten, reinsten Lebensgenuß auf unheildrohendem Hintergrunde darstellte.

„Die letzten Tage von Pompeji“ führen uns das bunte, bewegungsreiche Leben einer üppigen Stadt vor, in welcher der kaiserknechtische Römer-Hochmuth über den Griechen-Unterthanen herrscht, der Grieche durch Vermögen und Geist dominirt und einheimische und fremde Priesterlist über Alle siegt, bis mit dem allgemeinen Verhängniß auch ihr „letzter Tag“ kommt.

Für diejenigen unserer Leser, welchen der Bulwer’sche Roman noch fremd ist, setzen wir die Fabel desselben in aller Kürze hieher. – Ein junger wohlhabender Grieche, Glaukus, hat sich in Pompeji niedergelassen und verführt mit jungen Römern, Schmarotzern, Spielern und Schöngeistern, das Leben der vornehmen Gesellschaft jener Tage, bis durch die Liebe zu der schönen und reichen Griechin Ione sein besseres Selbst sich aufrafft. Ione


  1. Roland Risse in Düsseldorf, ein Mann in dem glücklichen Alter von vierunddreißig Jahren, hat den Portraitmaler Karl Sohn und die Akademie-Directoren Schadow und Bendemann zu Lehrern gehabt und in München, Dresden, Berlin, Belgien, Holland und Paris alte und neue Kunst studirt. Gemalt hat er zuerst eine Reihe biblischer Bilder, auch ein größeres Frescobild im Auftrag des Kunstvereins für das Rheinland und Westphalen; mehrere deutsche Märchen, dann „Johanna Sebus ihre Mutter aus der Wassersnoth rettend“, eines der vielen Düsseldorfer Gemälde, welche in der letzten Zeit nach Amerika gekommen sind.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_492.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)