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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

und ihr Bruder Apaecides stehen unter dem Einfluß eines ägyptischen Isispriesters Arbaces, welcher den Bruder in den Isisdienst und in den Pfuhl der Unsittlichkeit verlockt, um die Schwester selbst um so leichter ganz für sich zu gewinnen. Dem eifersüchtigen schuldvocken Arbaces gegenüber steht die blinde Sängerin Nydia, eine griechische Sclavin, die sterblich in Glaukus verliebt ist und von diesem der Ione zum Geschenk gemacht, d. h. zur Gesellschafterin gegeben wird. Trotz ihrer Leidenschaft rettet sie die Ione aus der höchsten Gefahr, von Arbaces mit Gewalt verführt zu werden.

Am Tage nach diesem Schrecken ist es, wo wir die Liebenden und die Retterin das bekränzte Fahrzeug besteigen sehen. Damals lag die Stadt noch am Meere und der Sarnus, der jetzt als träger Bach dahin schleicht, trug als stattlicher Fluß Schiffe auf seinem Rücken. Auf dem Sarnus fuhr das Boot hinaus auf die See, und da finden wir die von einem freundlichen Geschick so eng Verbundenen in seliger Selbstvergessenheit, während sich über dem Vesuv am Himmel schon die schwarzen Rauchwolken zusammenballen, die am kommenden Tag Pompeji’s Leichentuch werden sollten. Glaukus und Ione lauschen, Hand in Hand, dem Gesang der blinden Nydia, die ihre Liebespein still im Herzen trägt. Auch am andern Ende des Bootes ist Einer, der sich nichts um das Drohen des Himmels bekümmert: der ägyptische Sclave, welcher in sich versunken das Ruder führt. Nur der Knabe und der Neger richten ihr Augenmerk der Wolke zu, die sie anstaunen, fast freudig, wie eine Abwechselung am ewig klaren Himmel.

Wir wollen das Schicksal der Liebenden gar auserzählen. Apaecides schließt sich der damals im Stillen aufblühenden Secte der Nazarener, den Christen an und bedroht den Arbaces mit der Enthüllung seines Trugs und seiner Schande. Dafür ermordet ihn dieser und weiß zugleich den Glaukus als den Mörder hinzustellen, der nun zur Strafe in die Arena geschleppt wird, um im Kampf mit einem Löwen zu enden. Abermals ist die blinde Nydia die Retterin aus der äußersten Gefahr; sie führt Zeugen der Mordthat des Arbaces herbei, der nun vom blutgierigen Volk der Arena als Kämpfer mit dem Löwen verlangt wird. Ehe aber dieser Kampf beginnt, brechen die Wetter der Tiefe und der Wolken über alles Nachbarland des Vesuv aus, und in tödtlicher Hast flüchtet alles, was Leben hat und retten will, aus der wankenden Stadt dem Meere zu, selbst die Löwen und Tiger der Arena, in Todesfurcht nun friedlich und scheu. Auf dieser Flucht wird Arbaces von einer niederstürzenden Göttersäule erschlagen. In der Schilderung der Katastrophe hält Bulwer sich an Plinius den Jüngern. Auch die Phantasie der Dichter und der Maler hat die Scenen dieses Untergangs zu verewigen gesucht, aber einer solchen Wirklichkeit gegenüber erlahmen Pinsel und Griffel.

Am Morgen nach dem Tage dieses finsteren Gerichts steuerte ein Schiff von Italiens Küste ab den griechischen Gestaden zu. Glaukus, Ione und Nydia entflohen den römischen Erdbeben und Lastern, um ihr Glück in der schönen Heimath zu suchen. Todtmüde von den Aufregungen der jüngsten Vergangenheit ruhen die Liebenden im Schlummer; nur Nydia wacht bei der Qual ihrer eifersüchtigen, hoffnungslosen Liebe, und still macht sie ein Ende. Sie küßt den Geliebten auf die Stirn und gleitet sanft hinab in die Arme des heiligen Meeres. Glaukus und Ione schlossen sich in Athen der ersten Christengemeinde an und waren glücklich in ihrem Glauben und in ihrer Liebe.

So hat denn unser Bild uns mit Hülfe der Dichtung zu einem Stück Geschichte voll Lebenswahrheit geführt. Wer heute nach Pompeji kommt, findet einen reizenden Genuß darin, mit den Gestalten jener Erzählung die Straßen und Arenen, Plätze und Tempel, Höfe und Gärten zu bevölkern; Bilder und Geräthe rühren von der Menschen Hand her, die hier daheim waren, und so kann der Geist hier bewirken, was anderswo die Natur vollbringt: er läßt neues Leben blühen aus den Ruinen.




Verlassen und Verloren.

Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

„Und trotz all’ Eurer Teufeleien und Eures Löwengebrülls seid Ihr nun doch geschlagen!“ erwiderte Marcelline dem General Duvignot.

„Wir werden schon Revanche nehmen! Aber ich sehe da Häuser,“ unterbrach sich der General, auf die Mühle und das Forsthaus deutend. „Ob das Goschenwald ist? Lassen Sie sehen,“ wandte er sich zum Adjutanten.

Der Adjutant reichte ihm die Karte; während er darauf suchte, sprengten ein paar seiner Reiter sowohl nach der Mühle als dem Forsthause hinüber. Aber trotz des Gerassels, das ihre an die Thüren pochenden Säbelscheiden machten, öffnete sich keine dieser Thüren. Das Mühlenrad stand still, kein Rauch kräuselte sich über den Essen. Die Müllersleute sowohl wie Frau Margarethe im Forsthause mit ihrem kleinen Schützling mußten sich geflüchtet haben.

„Die Wohnungen scheinen verlassen,“ sagte Duvignot – „auch ist die Entfernung von der Heerstraße nicht groß genug, als daß dies Goschenwald sein könnte … nur weiter, weiter!“

Das Geschwader setzte sich trotz des steinigen und steiler werdenden schmalen Weges in Trab – die Spitze der Truppe hatte nach einer Viertelstunde die Höhe erreicht, auf der man in das enge Bergthal niederschaute, das von Haus Goschenwald beherrscht wurde. Bald nachher wurde auch dieses letztere sichtbar.

„Ah, das sieht ja vollständig gastlich und einladend aus, dieser alte Edelhof; die Essen rauchen … man ist eben beschäftigt, Ihnen eine Suppe zu kochen, Marcelline – ich bin glücklich, Sie in ein solches Quartier senden zu können.“

„Aber, Duvignot, wie kann ich denn jetzt …“

„Sie müssen sich darein fügen, meine Theure – es geht nicht anders. Während ich mich links durchzuschlagen suche, um die freie Heerstraße wiederzugewinnen und ohne Aufenthalt an mein Ziel zu kommen, müssen Sie sich dort oben Ruhe gönnen. Unsere Truppen werden die Wege für Sie bald frei gemacht und gesäubert haben. Aber mich können Sie nicht weiter begleiten. Mein Gott, wenn Sie mir vor Erschöpfung ohnmächtig, wenn Sie mir krank würden, was dann? Dürfte ich mich Ihretwegen aufhalten? Und könnte ich Sie doch verlassen, verlassen unter freiem Himmel, in der Nacht, die herannaht? Seien Sie vernünftig, Marcelline – ich flehe Sie darum an!“

„Mein Gott, wenn es sein muß, so bin ich ja bereit,“ sagte die Dame resignirt; „welche Mannschaft werden Sie mir zu meinem Schutze lassen?“

„Die ganze Schwadron, wenn Sie wollen, ich werde nur ein Dutzend Chasseurs zu meiner Begleitung bei mir behalten. Dubois, zählen Sie so viel Mann, die bei uns bleiben, ab! Sie, Capitain Lesaillier,“ wendete er sich an einen andern Officier, „bleiben mit Ihrer Schwadron als Escorte der Dame.“

Das Dutzend Reiter wurde vorcommandirt, und Duvignot nahm Abschied von seiner Begleiterin.

„Adieu,“ rief er, die Hand, welche sie ihm reichte, ergreifend und an seine Lippen ziehend. „Ich werde Ihnen in Frankfurt Quartier machen. Ich werde Sorge tragen, daß im Hause Ihres Mannes Alles zu Ihrem Empfange in Bereitschaft ist – Adieu, meine Theure – Lesaillier, Sie werden das Vertrauen, das ich in Sie setze, indem ich Madame Ihrem Schutze übergebe, rechtfertigen!“

„Seien Sie überzeugt davon, mein General,“ antwortete militärisch salutirend der Officier der Schwadron.

„Also noch einmal Adieu, Marcelline, ich lasse Sie in guter Hut!“ rief der General aus, legte die Hand an den Hut und spornte sein Pferd an, um dem Wege zu folgen, der vor ihm in’s Thal niederlief und dann sich links am Fuße der Höhe hielt.

Die Frauen mit ihrer Escorte schlugen den Weg ein, der, sich rechts abzweigend, auf halber Berghöhe geradezu auf Haus Goschenwald führte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 494. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_494.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2022)