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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Die Dame, welche der General Marcelline genannt hatte, sank, nachdem er sich von ihr getrennt, wie gebrochen vor Müdigkeit in ihren Sattel zusammen Die andere, ihre Zofe, musterte mit scheuem und mattem Blicke den alten Edelhof vor ihr.

„Werden wir da nun zu Rast und Ruhe kommen?“ rief sie aus.

„Wir wollen es hoffen,“ sagte ihre Herrin mit einem Seufzer … „und wenn wir es auch nicht hoffen dürfen, es ist doch besser so, daß wir den General haben vorausziehen lassen.“

„Besser? Den General, der unser bester Schutz war?“

„Ja, besser … was würde man in Frankfurt gesagt haben, wenn ich an der Seite Duvignot’s da eingezogen wäre!“

Sie sagte dies in deutscher Sprache, um nur von der Zofe verstanden zu werden, während die bisherige Unterredung in französischer geführt war.

„Ah bah,“ entgegnete die Zofe ein wenig verdrießlich; sie war nicht in der Stimmung, sich viel Mühe zu geben, um ihre Gedanken zu verbergen … „was würde man gesagt haben! Ich denke, die Verwunderung wäre so groß nicht gewesen. Und zudem wären wir in der Morgenfrühe hingekommen, wo Niemand unsern schönen Triumpheinzug beobachtet hätte. Und endlich wird man in Frankfurt jetzt an Anderes zu denken haben, als an die Rückkehr der Frau Schöffin!“

„Das ist mein Trost freilich auch,“ antwortete die Frau Schöffin. „Wie sagte der General, daß dies Haus heiße? Goschenwald?“

„In der That, ich glaube so war es.“

„Goschenwald!“ wiederholte Frau Marcelline nachsinnend … „ich habe den Namen schon gehört. Ja, ja, es ist richtig … Goschenwald – das muß einem entfernten Verwandten meines Mannes … von seiner ersten Frau her … gehören … einem Reichshofrath in Wien … mein Mann muß sogar einmal dort gewesen sein, ich erinnere mich, daß er davon geredet hat … also dies ist es? Nun, es sieht verlassen und friedlich genug aus, um uns ein ruhiges Nachtquartier zu verheißen!“

Sie waren auf dem Hofe von Haus Goschenwald angekommen – die Truppe hielt, der commandirende Officier glitt rasch aus seinem Sattel, um Frau Marcelline Stallmeisterdienst beim Absteigen zu leisten, und bald nachher waren die beiden Frauen unter dem schützenden Dache untergebracht, wo sich der Schösser und Frau Afra mit einiger widerwilligen Höflichkeit herbeiließen, die Wünsche der Fremden anzuhören und dabei ihr Entsetzen über solche unerwartete Einquartierung nicht gar zu laut an den Tag zu legen.

Der Trupp Chasseurs – es mochten ihrer etwa hundert bis hundertzwanzig sein – legte unterdeß auf die Stallungen Beschlag, um darin einen Theil der Pferde unterzubringen, und bereitete sich vor, mit dem Rest auf dem Hofe des Gebäudes zu campiren.

„Gieb Acht darauf, daß die Leute sich nicht zerstreuen und auf ihrer Hut bleiben,“ sagte der Capitain Lesaillier dabei zu seinem Wachtmeister – „unsere Cameraden da unten werden das Gesindel, das sie attakirt, hoffentlich bald auseinandergesprengt haben – aber just dann könnten wir zerstreute Trupps davon hier auf den Hals bekommen; laß deshalb nicht absatteln und stelle einen Posten in gehöriger Entfernung vom Hofe auf. Duvignot hätte etwas Besseres thun können, als seine Weibsleute in diesem heillosen Rückzug mitzuschleppen und just uns zur Sauvegarde seiner Liebschaften zu machen – Gott verdamme sie!“

„Wär’ mir auch lieb, wir wären aus diesen vermaledeiten Defiléen heraus, Capitain,“ sagte der Wachtmeister; „ist einmal das Wunder passirt, daß uns diese Hunde von Weißröcken geschlagen haben, so kann auch das zweite Wunder passiren, daß sie einmal wissen, wie man einem geschlagenen Feind auf dem Nacken sitzt; und kommen die uns auch noch auf den Hals, so wird die Suppe gut!“

„Das würde sie freilich, alter Grognard,“ fiel der Capitain ein; „aber da ist nichts zu fürchten; sie werden nach ihren Anstrengungen einige Tage zum Ausschlafen nöthig haben; sorg’ dafür, daß die Pferde eine gute Streu bekommen und daß nicht zu früh getränkt wird!“




6.

Etwa eine Stunde vor der Ankunft der Frau Marcelline und ihrer Schutzwache auf Goschenwald hatte Benedicte in wachsender Aufregung das Haus verlassen. Der Lärm des Kampfes, der deutlich in das Thal herüberklang, die Kanonenschläge nicht allein, sondern von Zeit zu Zeit auch das Rollen von Kleingewehrfeuer, dessen Schall die Windströmung gedämpft herübertrug, hatten sie nicht ruhen lassen. Und wie dieser Lärm sie entsetzte, so peinigte sie die Erinnerung an die Scene mit Wilderich, welche sie auf’s Tiefste erschüttert hatte; jedes seiner wilden leidenschaftlichen Worte klang in ihrer Seele wider – sie hatten da einen vollständigen Aufruhr hervorgerufen, vermehrt und in’s Unerträgliche gesteigert durch die Angst um ihn, die seitdem hinzugekommen – jeder Schuß, den sie aus der Ferne herüberhallen hörte, ging ihr in’s Herz, es war ihr, als müsse die Kugel, die da geschleudert wurde, die sein, welche sein warmes männliches Herz treffe … in dieser Angst um ihn ging aller Stolz, alles Gefühl des Verletzenden, das seine rasche und verwegene Werbung um ihre Liebe sonst hätte erwecken können, verloren; sie dachte nur an Alles das, was sein Wesen Gewinnendes, sein Wort, seine Gluth, seine Kühnheit Bezwingendes für sie gehabt; sie dachte an das Schreckliche, das sein Tod für sie haben würde … und für sie ja nicht allein, auch für das Kind, von dem ihr der Schösser gesprochen, das Kind, an das sie so viel denken müssen … mit der Spannung, die ein Geheimniß in uns erweckt … mit Unruhe und einer gewissen Beklemmung, und doch auch einer vollen inneren Zuversicht auf die Wahrheit dessen, was er zu ihr gesprochen – lag es in ihrem Herzen, oder lag es in seinem offenen Antlitze, seinem hellen Blicke, die Offenbarung, daß dieser Mann nicht täuschen könne?

Sie dachte an das Kind, als ob es etwas ihr Nahestehendes sei, etwas, für das ihr die Sorge bleibe, wenn sein Beschützer in diesem verwegenen Kampfe falle, dessen Widerhall an ihr Ohr schlug.

So hatte sie Haus Goschenwald verlassen. Eine Magd hatte ihr unten in der Halle des Hauses zugerufen, ob sie sie begleiten wolle, hinaus auf eine Höhe, von welcher man durch einen Bergeinschnitt weit hinab in das Thal blicken könne, durch welches die Straße ziehe und der Rückzug der Feinde gehe – zwei andre Mägde wären schon vorauf dahin; Benedicte hatte sich eifrig angeschlossen und durch eine Hinterthür, durch den Garten des Edelhofes, der an der hintern Seite sich an die Bergwand legte, dann über einen sandigen Fußweg war sie eine Viertelstunde weit der Magd gefolgt bis zu einem alten Steinkreuz, an dem mehrere Wege auseinanderliefen. Der eine führte als wenig begangener steiler Fußsteig rechts zu der Höhe hinan, auf der die verheißene Aussicht sich bieten sollte. Der andere lief mehr links in die nordöstliche Thalecke hinein, wo ein an dieser Stelle sichtbar werdender Einschnitt in die Bergwände, die das kleine Thal umgaben, einen Ausgang in die dahinter liegenden Waldthäler zu öffnen schien. In der That führte dieser Weg, wenn man seinen Windungen durch mehrere kleine Waldthäler folgte, auf die von uns erwähnte zweite, über Lohr aus Aschaffenburg laufende Spessartstraße.

Vom Steinkreuz ab westlich senkte er sich abwärts, um unter Goschenwald her durch den Grund des Thales zu laufen, in der Richtung nach Westen, in welcher wir den General Duvignot sich einen Ausweg aus dem Thale suchen sahen.

Benedicte nahm, als sie an dem alten Steinkreuz angekommen war, einen Trupp von bewaffneten Männern wahr, welcher aus dem erwähnten Bergeinschnitt von Nordosten her auf sie zugetrabt kam und dessen vorderster sie, als sie sich rasch entfernen wollte, anrief.

Der Reiter waren sechs – zwei ritten vorauf, die vier andern in einer Gruppe zusammen. Zwei von diesen letztern trugen leichte weiße Staubmäntel über hechtgrauen Uniformen und rothen Beinkleidern – die andern waren in weißen Röcken, nur die voransprengenden trugen die dunkelblauen Uniformen ungarischer Husaren.

So wenig sich Benedicte darauf verstand, erkannte sie doch sofort, daß sie österreichische Officiere vor sich hatte, wie es schien, Stabsofficiere.

Sie blieb an dem Steinkreuz stehen und war bald von ihnen umgeben.

„Demoiselle,“ sagte einer der Männer in der hechtgrauen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_495.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)