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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

früher zu wissen, als das staunende Publicum! … Die Hölle kann ihre Qualen nicht raffinirter ersinnen, als ich sie dort drüben, hinter der Thür durchlitten habe!“ Ihre Mundwinkel bogen sich in vernichtendem Hohn niederwärts. „Excellenz, es war mir sehr überraschend, zu hören, daß Sie das Fürstenhaus so reizend mystificirt haben! … Und da liegt die Herrlichkeit“ – sie stieß mit dem Fuß verächtlich nach dem Fuchsienkranz – „mit der Sie ,Ihren Abgott’ zu schmücken beliebten! … Wie sie wohl alle jubeln und triumphiren werden, die boshaften Neider, bei der unschätzbaren Entdeckung, daß sich die Diamantenfee in lächerlicher Unwissenheit mit Rheinkieseln und böhmischem Glas bestreut hat!“

Die kleinen Hände der halb wahnwitzigen Frau wühlten in den Haarmassen, die von den Schläfen niedersanken.

Der Minister ging wankenden Schrittes auf sie zu – sie floh und stieß mit den Händen nach ihm.

„Du wirst Dich nicht unterstehen, mich zu berühren!“ drohte sie. Du hast keine Rechte mehr an mich! … O, wer mir die verlorenen elf Jahre zurückgäbe! … Ich habe meine Jugend, meine Schönheit an einen Dieb, an einen Fälscher – an einen Bettler verschleudert!“ –

„Jutta!“

In diesem Augenblick fand der Mann seine Haltung wieder.

Es war noch einmal die überlegene Ruhe des allmächtigen Ministers, mit der er Schweigen gebietend der Frau die Rechte entgegenstreckte.

„Du bist wieder einmal sinnlos vor Leidenschaft,“ sagte er streng. „Ich habe Dich in solchen Momenten stets wie ein verzogenes, unartiges Kind behandelt, dem man Muße läßt, sich auszuschreien. Dazu bleibt mir jetzt keine Zeit.“ – Er verschränkte mit scheinbarer Gelassenheit die Arme über der Brust. „Wohl, Du hast Recht“ – fuhr er fort – „ich habe gefälscht und betrogen – ich bin ein Bettler – es bleibt uns nicht einmal das Kopfkissen, um das Haupt darauf zu legen, wenn sie Alle kommen werden, die verbriefte Rechte an mich haben. … Nie hast Du einen Vorwurf, ein Bedenken von mir gehört; aber wenn Du diese Stunde lediglich dazu benutzest, mich zu schmähen, dann muß ich Dir auch sagen, für wen ich mich ruinirt habe. … Jutta, denke zurück und überzeuge Dich, daß Du mit jedem Jahr unserer Ehe mehr Deine Ansprüche bis in’s Maßlose gesteigert hast – selbst die Fürstin konnte zuletzt mit Deinem glanzvollen Auftreten nicht mehr Schritt halten. … Ich habe ohne Widerrede stets herbeigeschafft, was Du begehrtest – ich habe Deine Hände buchstäblich im Golde wühlen lassen. Meine unselige blinde Liebe zu Dir hat mich zum gefügigen Werkzeug Deiner schrankenlosen Verschwendungssucht gemacht. … Es klingt geradezu kindisch und lächerlich, wenn Du die elf Jahre unserer Ehe als verloren beklagst – sie haben Dir Gelegenheit gegeben, das Leben mit seinen Genüssen bis auf die Neige auszukosten; und daß Du das gründlich verstanden, kann ich Dir mit meinem Soll und Haben erschöpfend beweisen.“

Die Baronin hatte bis dahin mit abgewendetem Gesicht in einer fernen Fensternische gestanden – jetzt fuhr sie herum; die dämonisch schönen Augen funkelten in tiefster Gereiztheit und Rachsucht.

„Ach, Du kannst es ja ganz vortrefflich, das alte Lied, das auch die zuvorkommende Welt stets anstimmt, wenn ein Haus zusammenbricht: ,Die Frau ist schuld!’“ lachte sie auf. „Schade, mein Freund, daß ich so oft zugegen war, wenn Du in Baden-Baden, oder in Homburg, oder wie sie alle heißen mögen die verführerischen grünen Tische, Unglück zum Verzweifeln hattest! … Ich habe mich bei dergleichen Gelegenheiten stets mit Befriedigung überzeugt, daß auch Deine Hände vortrefflich im Golde zu wühlen verstanden – oder willst Du etwa leugnen, daß Du zu allen Zeiten ein notorischer Spieler gewesen bist?“

„Es fällt mir nicht ein, zu leugnen, oder auch nur noch eine Sylbe zu meiner Verteidigung zu verlieren. … Wer, wie ich, im Begriffe ist, einen dunklen Weg anzutreten –“

„Ja wohl, dunkel, dunkel!“ unterbrach sie ihn und trat um einen Schritt näher an ihn heran. „Mit der Excellenz ist’s freilich aus und vorbei,“ zischte sie. „Baron Fleury steigt herab von seiner Höhe und betritt den einzigen Weg, der ihm übrig bleibt, die Laufbahn des – Croupiers! –“

„Jutta!“ stieß er hervor. Er ergriff die weißen Arme, welche die Wonne seiner Augen gewesen waren, und schüttelte sie ingrimmig.

Sie riß sich los und flüchtete nach einer Thür, aber ihre zurückgewendeten Augen hingen mit unverhohlenem Abscheu an den Händen, die sie zum ersten Mal schonungslos gepackt hatten.

„Du sollst mir nicht mehr nahe kommen – nur graut vor Dir!“ rief sie hinüber. „Du fängst es schlau an – indem Du mir die Schuld aufbürdest, willst Du mich zwingen, in Gemeinschaft mit Dir ihre Folgen zu tragen! … Aber täusche Dich nicht! Ich werde Dir niemals in die Schande, die Dunkelheit und den Mangel folgen! … Ich habe Dir gegenüber keine Pflichten mehr – sie sind erloschen in dem Augenblick, wo Du als ehrlos entlarvt wurdest. … Wenn Etwas in diesen furchtbaren Stunden mich mit Genugthuung erfüllt, so ist es das Bewußtsein, daß ich Dir geistig niemals verwandt gewesen bin – ich habe Dich nie geliebt!“ …

Das war der letzte Schlag für den von der Sonnenhöhe einer beneideten Lebensstellung, eines angemaßten Glückes in den tiefsten Abgrund hinabstürzenden Mann – es konnte keiner mehr kommen; aber auch keiner konnte sich in der Wirkung mit den letzten wenigen Worten messen, die der rothe Frauenmund so unbarmherzig hinwarf.

Der Minister taumelte nach der Thür zu, als wolle er das Zimmer verlassen, allein die Füße schienen ihm treulos zu werden – er lehnte sich mit bedecktem Gesicht an die Wand.

„Du hast mich, trotz aller Deiner Schwüre und Betheurungen, nie geliebt, Jutta?“ fragte er nach einem minutenlangen tödtlichen Schweigen in das Zimmer zurück.

Die Frau schüttelte mit einer Art von wildem Triumph, energisch den Kopf.

Er stieß ein bitteres Hohnlachen aus.

„O Weiberlogik! … Diese Frau setzt sich hoch auf den Richterstuhl strenger Tugend – sie stößt den Betrüger erbarmungslos von sich und gesteht dabei mit liebenswürdiger Naivetät ein, daß sie ihren Mann auf die empörendste Weise elf Jahre lang betrogen und – am Narrenseil herumgeführt hat! … Geh’, geh’! Auch Du wirst noch Carriere machen – noch liegen einige gerettete Jahre der Jugend und Schönheit vor Dir; aber das Ende dieser Carriere – nun, ich will discreter sein, als Du, und diesen Wänden nicht erzählen, wie die Carriere der Frau Baronin Fleury, Excellenz, schließlich verlaufen wird!“

Er ging zur Thür hinaus; aber beim Schließen derselben warf er noch einen Blick in das eben verlassene Zimmer. Die Frau hatte sich wieder auf das Ruhebett geworfen – sie sah geknickt, innerlich zerbrochen aus; nie war sie hinreißender gewesen, als in diesem Augenblick. … Das glühende Gefühl für das schöne Weib überwog alle anderen Leidenschaften, die im Inneren dieses gefährlichen Mannes wühlten – er vergaß, daß in den wunderbaren Körperformen dort eine erbärmliche Seele wohnte, er vergaß, daß dieses begehrliche, unersättliche Herz nie für ihn geschlagen – er kehrte stürmisch in das Zimmer zurück.

„Jutta, gieb mir Deine Hand und sieh mich noch einmal an!“ sagte er mit brechender Stimme.

Sie verschränkte die Arme fest unter dem Busen Und drückte sie und das Gesicht tief in die Polster.

„Jutta, sieh auf – wir gehen für immer auseinander!“

Die Gestalt regte sich nicht – kaum, daß man das Heben und Sinken der athmenden Brust sah.

Er biß in wildem Schmerz die Zähne zusammen und verließ das Zimmer. Wie vorher auch, glitt er geräuschlos durch den Corridor, dann stieg er die Treppe hinab. Stimmen, die zu ihm heraufdrangen, hemmten seine Schritte; er bog sich über das Treppengeländer und sah drunten auf einem Treppenabsatz drei Herren, die glücklichen Besitzer des Kammerherrenschlüssels, stehen. Sie hatten verstörte Gesichter und sprachen in gedämpftem Ton – trotzdem konnte der Minister jedes Wort verstehen.

„Also, meine Herren,“ sagte einer dieser würdigen Cavaliere, indem er den weißen, knappen Handschuh über die fette Hand zog und sorgsam zuknöpfte – „ich werde jetzt, dem Befehl unseres Allerhöchsten zufolge, in den Saal zurückkehren und mit möglichst unverfänglicher Miene die Honneurs machen – ein blutsaures Geschäft, wenn man einen ganzen Sack voll schlimmer Neuigkeiten bei sich hat! … An und für sich ist es eine Lächerlichkeit, daß der Fürst für heute noch um jeden Preis den Scandal vertuschen will. – morgen läuft er doch von Mund zu Mund. – Herr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_498.jpg&oldid=- (Version vom 16.5.2018)