Seite:Die Gartenlaube (1869) 500.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

still und glückselig, nur zu Zweien durch den Wald gewandelt, und der Mann hatte sein junges Weib buchstäblich über den blumenbestreuten Kiesplatz in sein Haus getragen.

Berthold Ehrhardt hatte in einer fast fieberhaften Angst seine möglichst rasche Vereinigung mit Gisela betrieben. Der Pfarrerin gegenüber war ihm das Geständniß entschlüpft, daß ihm das schreckliche Schicksal seines Bruders, der Verrath, den ein Weib an ihm geübt, einen unauslöschlich schlimmen Eindruck gemacht habe – er würde nicht eher ruhig sein können, bis er sein unschuldiges Mädchen in das Waldhaus gerettet. … Nie durfte die Wittwe des Baron Fleury in seiner Gegenwart genannt werden. Sie selbst machte aber auch im Lande nicht mehr von sich reden – sie hatte sich mit der kleinen Pension, die ihr der Fürst gewährte, nach Paris zurückgezogen. … Auch Frau von Herbeck war aus der Gegend verschwunden. Sie bezog ein Jahrgeld von Gisela und lebte vergessen in einer kleinen Stadt „ihren Erinnerungen“.

Am Hofe zu A. machte die Wahl der jungen Gräfin Sturm gewaltige Sensation. Der Fürst konnte einige Nächte nicht schlafen über dem Gedanken, daß der Portugiese abermals die Axt an die Wurzeln des hochfürstlichen Princips lege, indem er vor Aller Augen beweise, daß eine geborene Reichsgräfin Sturm eine schlichte Frau Ehrhardt werden könne, ohne daß die Welt darüber aus den Fugen ging.

Das Resultat dieser schlaflosen Nächte war eine geheime Mission, die er in die Hände der Frau mit der feinen Zunge und den klugen, scharfen Augen vertrauensvoll niederlegte. Die Gräfin Schliersen machte eines Tages der Braut einen Besuch im Pfarrhause und ließ dem anwesenden Bräutigam mit ausgesuchter diplomatischer Feinheit merken, daß Serenissimus „den ersten Industriellen“ seines Landes durch das Adelsdiplom auszuzeichnen gedenke. … Mit derselben ausgesuchten Feinheit vergoldete „der starrköpfige Portugiese“ seine Antwort – der bittere Kern aber, der trotz alledem geschluckt werden mußte, ließ sich nicht anders übersetzen, als: Der also Beehrte gehöre nicht zu Denen, die den Adel so lange bekämpften, als sie ihn nicht selbst besäßen. Die Neuzeit habe derartige Renegaten genug aufzuweisen, die unter dem Motto: „Nur im Interesse meiner Kinder“ sich selbst wieder zu Stützen und Bausteinen einer altersmorschen Institution machten, welche sie vorher bespöttelt und verlacht. Er finde an seinem Namen nichts auszusetzen und wünsche ihn nicht zu verändern.

Die Diplomatin kehrte unverrichteter Dinge nach A. zurück. Uebrigens erhielt die Braut sehr bald einen Beweis, daß sich die fürstliche Ungnade nicht auch auf sie erstrecke. Unter der Petition der Neuenfelder Gemeinde, welche um Belassung ihres Pfarrers im Amte bat, hatte auch der Name „Gisela, Gräfin Sturm“ gestanden. Man behauptete allgemein, diese Unterschrift sei schwer in’s Gewicht gefallen – die Neuenfelder behielten ihren Pfarrer. …

Ein leichte Dämmerung webt bereits um das Waldhaus. „Der Portugiese“ hält sein junges Weib umschlungen und tritt mit ihr heraus auf die Terrasse. Noch fließt der Brautschleier von ihrem Haupt, und auf der weißen Stirn liegen die zartgebogenen Myrthenblätter. Mit zurückgeworfenem Kopf sieht sie unverwandt in das schöne Antlitz Dessen, der sie hier im tiefen, dämmernden Wald gleichsam einmauern will. … Wie leuchtet dieses Antlitz! … Der Mann, hinter welchem eine düstere Vergangenheit voller Kämpfe und Schmerzen liegt, steht am himmlischen Ziel. Sein höchstes Kleinod hält er in den Armen. Er steht auf einer Art Oase im Weltgetriebe. Draußen lauert das protestantische Papstthum und schlägt mit Ruthen auf die Geister, die sich aufwärts bäumen, und hier, in seiner selbstgeschaffenen Colonie darf die freie Anschauung von Gott und seinem Wort ungestört die Flügel entfalten. … Draußen herrscht und regiert fort und fort der unbegrenzte Egoismus, und eine Kaste sucht der anderen auf den Nacken zu steigen; hier aber waltet die Liebe, und man erhält den unwiderleglichen Beweis, daß sich das Musterbild der Menschheit, wie es die oft verlachte Humanität anstrebt, in der That verwirklichen läßt. Der Mann im Waldhause sieht glückliche, zufriedene Gesichter, wohin sein Blick sich wendet. Das lächerliche Jagen nach Aemtern und Orden dringt nicht herein – dafür kömmt das höchste Streben, das die Menschenseele erfüllen soll, das Streben nach innerer Entwicklung und Befreiung, um so besser zur Geltung.

„Gisela!“ ruft es schnarrend und mißtönend neben der jungen Dame. Sie wendet sich überrascht um – der Papagei schwingt sich lustig auf seinem Ring, und in der Hausthür steht lachend der alte Sievert. … Das bräutliche Weib streckt ihm beide Hände entgegen; er hat dem Vogel mit unsäglicher Mühe den Namen der künftigen Hausfrau eingelernt und die letzten schauerlichen Worte des sterbenden Herrn von Eschebach aus dem Gedächtniß des Thieres verwischt. … Er nimmt sacht und behutsam die gebotenen feinen Finger zwischen seine großen, braunen Hände, und, was Gisela nie geglaubt, die alten, finsterdräuenden Augen können auch feucht schimmern.

Und jetzt tritt auch die Pfarrerin aus der Halle – sie hat einen Shawl um die Schultern geschlagen und will heim.

„Junges Frauchen, ich habe den Theetisch drin hergerichtet, denn von der Liebe allein lebt man nicht,“ meint sie schelmisch und deutet nach dem einen Fenster des südlichen Thurmzimmers, das nach der Terrasse mündet. … In der heimlichen Dämmerung da drin, fast auf derselben Stelle, wo einst die Theemaschine der alten, blinden Frau gestanden, lodert die kleine, blaue Flamme, die den Abend in der Wohnstube so behaglich und gemüthlich macht.

„Und nun, Gott sei mit Euch, Ihr lieben, lieben Leute!“ sagt die Frau, und ihre sonore Stimme schmilzt in Weichheit.

„Der Portugiese“ küßt ihr ehrfurchtsvoll die hartgearbeitete Hand, und Gisela legt die Arme um ihren Hals. Dann steigt sie die Treppe hinab und schreitet festen, kräftigen Fußes in den Wald hinein. …

Allmählich fließt ein silberglänzendes Licht über Waldwipfel, Haus und Wiese – der Mond steigt groß und voll herauf. Wieder sieht er auf der Terrasse eine hohe, majestätische Männergestalt stehen, an die sich ein junges Wesen hingebend schmiegt; aber diesmal werden die Schwüre, welche die flüsternden Lippen austauschen, nicht gebrochen werden!




Wild-, Wald- und Waidmannsbilder.
Von Guido Hammer.
Nr. 30. Ein verhängnißvoller Jagdmorgen.


„Tod und Teufel über solch’ ein Hundewetter!“

Mit diesem unwirschen Ausruf, den riesiger Sturm und wildtreibendes, Weg und Steg verwehendes Schneegestöber dem Ankommenden erpreßte, trat der Förster eines an der sächsisch-böhmischen Grenze gelegenen Reviers in die einsam auf der Scheide des Gebirgskammes gelegene ärmliche Waldschenke ein, dabei den Schnee von Pikesche und Stiefeln abschüttelnd und losstampfend. Die kleine Spelunke, im Besitz böhmischer Wirthsleute, welche anerkannte Hehler von Wilddieben und Paschern waren, ward, da es bereits Abend war, durch ein trübbrennendes Licht spärlich erhellt, so daß man nur schwer die Gegenstände in dem schwarzgeräucherten, holzverkleideten Raume unterscheiden konnte. Darum hatte der eintretende Waidmann auch nicht zu erkennen vermocht, daß hinter dem holzumrüsteten mächtigen Kachelofen, der eine gewaltige Hitze ausströmte, ein Mann in der sogenannten Hölle lag und sich gütlich that, nun aber in einem ziemlich ironischen Tone: „Grüß’ Gott, Herr Förster!“ aus seinem glühenden Asyl hervorrief.

„Ah, treffen wir uns hier!“ erwiderte der Grünrock in nicht eben schmeichelndem Tone dem Grüßenden und setzte hinzu: „Nehmt Euch nur in Acht, daß wir draußen nicht einmal so nahe zusammenkommen, denn dann möcht’s wohl ein rothes Tüpfel auf die Jacke setzen.“

„So?“ entgegnete gedehnt und gleichmüthig der Angeredete. „Es fragt sich dabei nur noch, auf wessen Jacke? Auf Ihre grüne oder meine graue? Wissen S’, Herr Förster,“ fuhr er boshaft freundlich fort, „wie wäre es denn, da Sie mich nun einmal für einen Wilderer nehmen, wenn wir gleich miteinander ehrlich ausmachten:

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_500.jpg&oldid=- (Version vom 17.5.2021)