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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Gestalt, spricht doch so scharf ausgeprägte zähe Willenskraft und Kühnheit, gepaart mit feuriger Leidenschaftlichkeit, aus ihm, daß man des Mannes eben vernommenen harten Worten wohl vollen Glauben beimessen darf. Hat er dergleichen übrigens doch auch schon früher besiegelt, weshalb man ihn, wenn auch gegen seinen ausdrücklichen Willen, schon von mehreren Revieren, auf denen er mit Wilddieben auf Leben und Tod zusammengekommen, hatte versetzen müssen, um ihn sicherer Rache zu entziehen. Wurde es doch allgemein als sicher angenommen, daß er außer den von ihm in offener Gegenwehr und officiell bekannt gewordenen Getödteten auch noch manchen im Walde erschossen Aufgefundenen auf seinem Kerbholz habe; denn da er nach jedem von ihm erlegten Mitmenschen eine Messingzwecke in den Kolben seiner Pürschbüchse einschlug, so konnte man nach der zur Sternform zusammengestellten Anzahl solcher Stifte allerdings deutlich ersehen, daß die behördlich festgestellte Ziffer der von ihm in’s Jenseits Beförderten nicht die hinreichende war. Und gerade von solchen, die man im Revier als „von unbekannter Hand erschossen“ aufgefunden, erzählte er dann gewöhnlich mit Vorliebe den ganzen Verhalt der Sache mit den allerkleinsten Nebenumständen, nur die sonderbare Form dabei beobachtend, daß er sich stellte, als wenn er die abgespielte blutige Scene sich nur so in der Phantasie ausmale. Eine Ausnahme von letzterer Regel machte er nur bei folgender Geschichte: Wie er eines Tages sein Revier begangen und dabei am vielgewundenen Waldbache, der sich am Fuß schroffer Steinwände entlang und zwischen Getrümmer rauschend seine Bahn bricht, plötzlich hinter einem mächtigen moos- und farrenüberwucherten Felsblock weiter nichts als eine Hand mit einer Angelruthe erblickt hatte.

„Ohne mich lange zu besinnen,“ so erzählte er selbst oft mit sichtlicher Freude, „nahm ich das Doppelzeug an den Kopf und, unten anhaltend, machte ich den Finger krumm, daß lustig der helle Knall das enge Thal durchschallte. Darauf ein Schrei – und schwupp, die Hand war verschwunden. Deren Inhaber hatte ich so für seine noch übrige Lebenszeit gekennzeichnet, und ‘s hat mir viel Spaß gemacht, als ich ein paar Wochen später den längst Vermutheten mit steifen Knochen den simpeln Botenmann machen sah, während er sonst nur stehlend im Busch herumlungerte.“

Schon aus diesem Beispiele ersieht man zur Genüge, wessen Geistes Kind unser Waldtyrann eigentlich ist, und es erscheint daher wohl begreiflich, wie sehr er den gegnerischen Haß auf sich laden mußte.

Bei alledem war er noch immer glücklich durch alle Fahrniß gekommen, denn so oft auch schon nach ihm geschossen worden war, er schien – wie auch der allgemeine Köhlerglaube ging – gefeit, die für ihn bestimmten Kugeln fehlten bisher alle. Und so trat er denn auch heute, nachdem er seinen kargen Imbiß in der verrufenen Schenke, in welcher er furchtlos dann und wann verkehrte, um sich dabei über das dort ein- und ausgehende Gesindel Kenntniß zu verschaffen, bezahlt hatte, ohne Zagen seinen weiten und beschwerlichen Heimweg an, dabei einen seiner erbittertsten Feinde im Rücken wissend. Kühn und wohlgemuth schritt er seiner einsamen Waldklause zu und kam, trotz wilden Wetters, wenn auch mühsam und erst spät, doch wohlbehalten dort an. Ebenso ging auch noch der ganze übrige Winter ohne Unstern an dem vielgefährdeten Waidmann vorüber.

Brausend zogen die frühlingverheißenden Thaustürme wieder über die zerklüfteten Berge und dunkelen Wipfel seines Reviers dahin und schmolzen rasch den darin noch massenhaft aufgehäuften Schnee, daß überall rieselnde Wässer thaleinwärts dem felsengebetteten Bach zuströmten und diesen dadurch zur schäumenden, wilden Fluth anschwellten. Darauf folgten lenzeswonnige Tage mit zwar noch reifkalten Nächten, welche manches Restchen Schnee in tiefer Thalschlucht noch lange Zeit vor völliger Auflösung schützten. Das ist aber so die rechte Zeit und das geeignetste Wetter, wo im Herzen des mannhaften Auerhahns drängende Liebesgluth entbrennt. Da hört man den urigen Buhlen schon des Abends, nachdem er sich in den Wipfel einer alten Tanne oder Fichte „eingeschwungen“ und dort erst noch eine Weile lautlos verharrt hat, in eigenthümlichen, „würgenden“ Lauten andeutend seiner Sehnsucht Ausdruck geben, bis er am nächstfolgenden frühesten Morgen an selber Stelle unter tollen Geberden sein eigentliches, so wundersames Liebeslied anstimmt.

Im Revier unseres Jägermanns aber, wo aus dem Walde auch viele schroffe, kegelförmige Felsgebilde, gleichsam wie hohe Wartthürme, emporstreben, hat der liebesbrünstige Galan die Gewohnheit, außer den hochragenden Bäumen auch solche steinerne Zinnen zu seinem Balzplatze zu erwählen, von wo aus er dann am frühesten Morgen mit hängenden, raschelnden Schwingen und radschlagendem „Spiel“ in seltsamem Tanze, wozu er sein eigener Spielmann ist, die Herzen seiner tief unter ihm harrenden Schönen, zu denen er später in begehrlicher Minnelust herniedersteigt, im Voraus zu gewinnen sucht. Natürlich waren unserem waidgerechten Förster solche Orte genau bekannt; denn jeden Abend oder Morgen zur Balzzeit schritt der Rastlose hinaus, seine Hähne zu „verhören“, um hohe und höchste Herrschaften, kamen solche zur Auerhahnbalze auf sein Revier, mit Sicherheit darauf „anspringen“ zu lassen. Trat dieser Fall jedoch nicht ein, dann gönnte der Wackere sich alljährlich zum Ausgang der Balze wohl auch das unvergleichlich hohe Vergnügen, selber so einen recht alten liebegirrenden Burschen zu schießen.

In dieser Absicht schritt der Rüstige denn nun auch heute schon nach ein Uhr Nachts zum Pförtchen seines tannenumschlossenen Heimwesens hinaus, um noch vor Tagesgrauen auf einem der von ihm erwählten weitesten Stände seines Reviers, dicht an der böhmischen Grenze, einzutreffen. Tiefe Finsterniß deckte seinen Pfad, der hier durch geschlossenem Hochwald und auf weiten Gehauen sich hinschlängelnd, dort zwischen Felsschluchten oder über loses Geröll und an tiefen Abgründen hinführte. Aber mit festem Fuße und sicherem Auge, das selbst bei so nächtigem Himmel noch immer den Schimmer seiner schmalen Bahn zu unterscheiden vermochte, wanderte der unermüdliche Forstmann unbekümmert seinem fernen Ziele zu. Endlich hat er es erreicht, aber noch immer liegt Nacht über den Wäldern, nur ein kaum merkbar lichter Schein am gebirgsgesäumten östlichen Horizont läßt ahnen, wo der kommende Morgen aufdämmern wird. Dabei herrscht tiefste Ruhe, wahre Grabesstille, durch die ganze weite Natur.

Doch horch! Ein kaum hörbar knappender Ton läßt sich plötzlich vernehmen – es ist der königliche Vogel, der sein Morgenständchen damit beginnt. Und wie diesem zur Begleitung geht ein sanftes Flüstern durch die Luft, und die dunkeln Wipfel alle rauschen nach – ein leiser frischhauchiger Wind hat sich erhoben, der den anbrechenden Morgen verkündet. Da pocht selbst des vielerprobten Jägers Herz heftiger als gewöhnlich, und mit verstärkter Aufmerksamkeit lauscht er den nun schnell aufeinander folgenden sonderbaren Lauten des fortbalzenden Hahnes, bis dieser den sogenannten Abschlag ertönen läßt, der dem regungslos Zuhörenden endlich das erlösende Signal ist, die ersten drei Sprünge vorwärts thun zu dürfen, mit denen er auf nur handbreitem Wildsteig seinem ersehnten Ziele entgegen strebt. Darnach bleibt er aber wieder wie angewurzelt stehen, kein Auge dabei verwendend, ja kaum Athem holend, ehe der Hahn nicht von Neuem sein frischbegonnenes Lied zum bestimmten Abschluß gebracht, nach welchem Moment der von brennender Liebeslust Berauschte auf Augenblicke weder sieht noch hört. Da also wieder drei Sprünge vorwärts, dann abermals Halt, und so fort und fort, bis der pfadsichere Jäger endlich so weit an den Balzenden heran ist, daß es nur der nochmaligen Verzückung des Beschlichenen bedarf, um in diesem Augenblick das todbringende Blei nach ihm entsenden zu können.

In dieser Lage nun steht jetzt der mit gewissenhafter Vorsicht „angesprungene“ Förster vor dem überragenden Felskegel, auf welchem der caressirende schwarze Gesell noch immer seinen wunderlichen Rundtanz hält. Mit vorgestrecktem Halse, aufgesträubten Kehlfedern, zitternd hängenden Flügeln und weitgeschlagenem Rade trippelt er himmelnden Blicks auf engbegrenztem Raume umher, dazu schnalzende, prallende und wetzende Töne ausstoßend, bis er wiederum den eigenthümlichen Schlußlaut daran fügt. Rasch ist da vom harrenden Schützen das sichere Rohr in Anschlag gebracht, den tödtlichen Schuß zu entsenden.

Dröhnend und echorollend, weithin schallend erfolgt dieser nun, und der mächtige Vogel, zum Tode getroffen, stürzt, das Gestein und Geäst mit seinem Gefieder streifend, rauschend zur Tiefe. Aber kaum daß noch das darüber freudestrahlende Auge des Erlegers die Wirkung des Treffers verfolgen kann, bricht dieser plötzlich selbst lautlos zusammen, und von entgegengesetzter Seite des Felsens herüber tönt ein kurzer, dann knatternd das Thal weithin durchhallender Knall einer Büchse, deren Kugel den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_502.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)