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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Divan und suchte uns eine möglichst vortheilhafte Vorstellung von der arabischen Literatur und Wissenschaft zu geben. Seine eigene arabische Bibliothek, erzählte er, enthalte ein Buch, in dem sechsunddreißig Wissenschaften vorgetragen seien. – Auch machte er interessante Mittheilungen über die Liebeslieder, welche von der Beterschaar des Hofes vorgetragen wurden. Interessant war es mir, daß jene Lieder merkwürdige Uebereinstimmungen mit dem Hohen Liede Salomonis zeigten.

Während unserer Unterhaltung langten mehrere in reiche seidene Kaftane gekleidete Araber zum Besuch an, die nach Entledigung der Schuhe sich dem gelehrten Pascha mit dem Ausdruck großer Ehrerbietung näherten und ihm die Hand küßten. Die Feinheit und Grazie in den Bewegungen dieser Gelehrten war – verglichen mit denen ihrer abendländischen Collegen – sehr auffallend. Der gelehrte Pascha mit seinen Freunden erweckte in der äußeren Erscheinung mir das Bild des Hafis und seiner Genossen. Nachdem wir den üblichen Schibuk zum Kaffee geraucht hatten, erbaten wir nach der herrschenden Sitte die Erlaubniß, uns zurückziehen zu dürfen; aber der liebenswürdige alte Herr behauptete, nach seiner Religion ein Recht zu haben, während des Rhamadan solche Bitte abschlagen zu dürfen. Er hatte für uns Scherbet bestellt, welcher gleich darauf von schwarzen Sclaven auf vergoldeten Präsentirbrettern in schön geschliffenen, eigenthümlich geformten Gläsern gebracht wurde.

Die Erlaubniß zum Besuch der Universität und der mit ihr verbundenen Moschee el-Azhar zu erlangen, wandten wir uns an Scherif Pascha, den Minister des Auswärtigen. In Abwesenheit des Ministers selbst gelang es nur mit Mühe, seinen Cabinetssecretair aufzufinden. Eine lange Irrfahrt führte uns durch eine Reihe von Arbeitszimmern, deren Fenster vor Schmutz undurchsichtig oder zerbrochen waren, deren Fußboden so mit Staub und Häcksel, den der Wind durch die zerbrochenen Scheiben getrieben haben mochte, bedeckt waren, daß man in einem Eselstall zu sein glaubte. Auf den Divans trafen wir viele Beamte, den Rauchwolken ihrer langen Schibuks nachspähend, manche schlafend, andere auch schreibend. Hierbei diente die linke Hand als Schreibpult und Unterlage für die langen schmalen Papierstreifen, deren sich die Araber allgemein bedienen; auf dem Divan zur Seite stand das Tintenfaß.

Das Zimmer des Cabinetssecretairs war im Gegensatz zu den anderen Räumen elegant, wie der feinste Pariser Salon mit seinen Möbeln, Teppichen und den schweren seidenen Ueberzügen des Divans und der Stühle. Die erbetene Erlaubniß konnte uns indeß hier nicht ausgestellt werden, sondern wir wurden mit unserem Gesuch an den Polizei-Pascha verwiesen. Die Erklärung, vom Scherif Pascha zu kommen, verschaffte uns hier trotz der Einspruch thuenden Kawassen schnell Zutritt und mit stolzem Kopfnicken wurde unsere Bitte gewährt. Aber erst nach einer halben Stunde war das betreffende Schriftstück ausgefertigt und dem Janitscharen übergeben, der uns führen und gegen die unbequeme Neugier sicher stellen mußte. Niemals habe ich mich eines energischeren Schutzes erfreut; denn zahlreich waren die Genickpüffe und Prügel, mit denen die Unart gerächt und der Anstand rehabilitirt wurde.

Am Eingang zur Moschee wurden für uns ein paar alte, von Motten zerfressene Zeugschuhe herbeigeholt, um durch sie den heiligen Boden gegen die directe Berührung von dem Fuße der Ungläubigen zu schützen. Sie mochten lange nicht gebraucht sein, denn Europäern wird selten die Erlaubniß ertheilt, in diese geweihten Räume einzutreten. Durch ein schönes Portal gelangt man in die auf den Hof führende Vorhalle, auf deren beiden Seiten eine Anzahl Barbiere in fleißiger Arbeit begriffen sind. Hier werden die Köpfe eingeseift und purificirt, mit besonderen Zangen werden den Stutzern die zu weit in die oberen Theile des Gesichts hineingewachsenen Haare ausgezogen.

Durch ein zweites Portal blickt man in den immensen Hof, der von den mannigfaltigsten Gruppen belebt ist. Eine Menge junger aufmerksamer Studenten hat sich um einen docirenden alten Professor geschaart; ein anderer Docent steht gegen eine Säule gelehnt und demonstrirt mit lebhafter Gesticulation einer anderen Gruppe von Zuhörern; während diese eifrig dem Vortrage folgen und Notizen auf ihren Papieren machen, haben hie und da andere sich auf ihre Matten geworfen und schlafen den Schlaf des Gerechten. Für die Hungrigen sind Haufen Brodes aufgestapelt, für die Dürstenden ist durch ein steinernes, wie ein Sarkophag aussehendes, vielleicht dreißig Fuß langes Behältniß gesorgt, an dem sich eine lange Reihe messingener Tüllen befindet. Aus diesen muß mit dem Munde das Wasser herausgesogen werden. Große und Kleine, Alte und Junge schaaren sich hier, um aus den Tüllen wie aus Brüsten Erquickung zu trinken – Alle in gebückter Stellung – ein recht wunderliches Bild.

In der Mitte dieses belebten Hofes genießt man den Anblick einer durchaus fremdartigen Welt. In das tiefe Blau des über uns sich wölbenden Himmels streben abwechselnd mit schlanken Palmen zierlich vergoldete hohe Minarets und bunte Kuppeln empor, deren reiche Arabeskengebilde noch mit farbigen Steinen verziert sind. Ein weites Portal in Hufeisenform eröffnet einen Blick in die belebte Straße, ein anderes in die reich geschmückte Moschee, in der ein Wald von Säulen den mächtigen Kuppelbau trägt. Ein drittes Portal zeigt uns das erfrischende Wasserbassin, in dem die Waschungen vor dem Gebet vorgenommen werden. Lange Reihen offenstehender kleiner, niedriger Zimmer, welche Mönchszellen gleichen, zeigen uns die arbeitenden Gelehrten. Die Knieenden, Betenden, Schlafenden, endlich die beim Lernen lärmenden Knaben geben ein Bild, wie man es bei der Pracht der Architectur nicht reicher, mannigfaltiger und interessanter zu denken vermag. In Nebenräumen finden wir Kinderschulen; in einer derselben hatte der Lehrer, wie es schien, auch seine Frau bei sich, die vollständig mit dem Kopfe in Weiß gehüllt war, so daß nicht einmal die Augen sichtbar wurden. Sie lag vor der offenen Thür der Schulstube und gab ihrem Kinde die Brust – den einzigen nicht verdeckten Theil ihres Körpers. Ein schwarzes Kätzchen saß auf ihren Beinen.

In alten geschnitzten Kisten werden die zum Studium nöthigen Bücher aufbewahrt, welche, wie die in der Universität gehaltenen Vorlesungen, alle Weisheit und Wissenschaft des Orients umfassen. Die Grundlage aber alles Studirens bildet der Koran, nach dessen Satzungen gleichmäßig das religiöse wie bürgerliche Leben geordnet ist. –

Zur Erinnerung an den Todestag Mehemed-Ali’s war in der von ihm auf der Citadelle ganz aus Alabaster erbauten prächtigen Moschee eine nächtliche Feier veranstaltet. Die schöne Kuppel der Moschee und ihre schlanken Minarets waren erleuchtet und strahlten weithin durch die dunkle Nacht. Die labyrinthisch sich zur Citadelle hinaufwindenden Straßen waren belebt und beleuchtet von zahlreichen Fackelträgern, welche die zum Fest fahrenden Equipagen der Paschas geleiteten. Die schönen inneren Räume der Moschee strahlten in einer blendenden Illumination und gewährten einen zauberischen Anblick, der zugleich in hohem Maße die Wirkung des Feierlichen machte. Schaaren von Gläubigen lagerten in bunten Gruppen auf den prächtigen Teppichen, mit denen der Fußboden überdeckt war; die Teppiche zeigten die mannigfaltigsten Zeichnungen und die interessantesten Farbenzusammenstellungen. Kaffee- und Wasserverkäufer bewegten sich geschäftig durch die Massen, den erspähten Winken zu folgen. Vor einer großen capellenartigen Nische hatte sich ein dichter Halbkreis gebildet, in dem besonders fremdartige Costüme auffielen. Denn die bevorstehende Mekkapilgerfahrt hatte vom Süden und Westen, vom fernen Osten und Norden die Anhänger des Propheten in Kairo versammelt, unter denen als besonders eigenthümliche Erscheinungen die stolzen Gestalten der Kurden mit ihren hohen phrygischen Mützen hervortraten. Eine religiöse Uebung von Derwischen fesselte die Blicke der Andächtigen.

Die Derwische sind die Mönche des Muhamedanismus. Die meisten derselben unterscheiden sich jedoch von ihren christlichen Collegen dadurch, daß sie für die bürgerliche Gesellschaft nicht ganz verloren sind, da sie neben ihren religiösen Uebungen auch noch irgend ein Handwerk betreiben. Ein Kreistanz wurde hier von etwa zwanzig jungen, zum Theil mädchenhaft aussehenden Derwischen, welche hohe, weiße, zuckerhutartige Mützen trugen, unter Leitung ihrer Schechs aufgeführt. Köpfe und Körper bewegten sich dabei in regelmäßigen Verbeugungen und endloses Allahrufen accompagnirte die schnelle Bewegung des Reigens. In der Mitte führten einzelne Derwische auf beiden Füßen mit horizontal ausgestreckten Armen einen Drehtanz mit einer Dauer aus, daß man glauben mußte, sie würden vor Schwindel auf den Boden stürzen. Die langen Kleider erhielten durch die Schnelligkeit der Bewegung eine trichterartige Gestalt, die mit der Unbeweglichkeit des Kopfes und den ausgestreckten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_511.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)