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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Blätter und Blüthen.


Ein Autograph Franz Schubert’s. Ich habe die Reichen nie ihrer Geldschätze wegen beneidet; ich habe mich dem Spruche des Paters in Wallensteins Lager. „contenti estote, begnügt Euch mit Eurem Commißbrode," unschwer mit ruhiger Resignation gefügt. Nur in einem Falle läßt mich meine Philosophie ganz und gar im Stiche; da verwandelt sich die Milch meiner frommen Denkart in gährend Drachengift, – wenn ich einer Auction von Autographen beiwohne, die Schätze sehe, die da ausgeboten werden, und die triumphirend glücklichen Mienen derjenigen bemerken muß, denen die volle Börse das höchste Gebot erlaubt, um das Kleinod davonzutragen. Welch’ ein wunderbares Interesse haben doch für mich, wie für so viele Tausende, die Handschriften berühmter Personen! Worin liegt es denn nur? Ach! in gar vielen Dingen, – zunächst in einer Menge Fragen. Wie hat er geschrieben? Deutlich – undeutlich in großen oder kleinen Zügen? groben oder feinen? unordentlichen oder geregelten, schief- oder geradlinigen? Hat er geändert, zugesetzt, weggestrichen, hat er Fahnen gemacht? Wie bewegte sich seine Hand beim Schreiben – fuhr sie eilig, hastig, flüchtig über das Papier umher, stockend oder ruhig, besonnen, sicher etc. etc.? Ist das Autograph die erste unmittelbare Niederschrift, oder wurde es nach einem Concept copirt?

Alle diese Fragen sind schon interessant an sich, denn was wäre uninteressant an einem großen Manne?

Aber damit ist die Anziehungskraft für die Autographenliebhaber noch nicht erschöpft. Für Alle besonders nicht, die in demselben bezüglichen Fache schaffen. Da treten die Folgerungen hinzu, die Vermuthungen, die man aus jenen Aeußerlichkeiten, den Schriftzügen, auf das innere Walten des Geistes beim Schaffen zu ziehen angeregt wird.

Eine eilige, flüchtige Hand zum Beispiel wird, denken wir, natürlich den gediegenen Inhalt eines talentreichen oder genial-schöpferischen Geistes vorausgesetzt, auf eine schnelle und leichte Productionskraft schließen lassen. Sichere, feste, gleichmäßig regelmäßige Schriftzüge scheinen ein ruhigeres, langsameres, besonnener überlegendes Schaffen anzuzeigen. Aenderungen ausgestrichener Stellen, Einschiebsel zwischen den Zeilen, oder gar vielfache Fahnen am Rande mögen als Kennzeichen gelten, daß sich dem Verfasser die Gedanken zuerst meist noch in unsicherem, zweifelhaftem Wesen, unzutreffendem Ausdruck und ungeglätteter Form vorstellen Alle diese und mehrere dergleichen Verschiedenheiten zeigen die vermiedenen Handschriften bedeutender Geister, und wenn die daraus geschöpften Vermuthungen auf die Geistesweise und Arbeitsmethode derselben auch keine unwiderleglichen sind, so werden gänzliche Täuschungen dabei doch nur höchst selten vorkommen. Eine solche wäre zum Beispiel allerdings, wenn man aus den Mozart’schen reinlichen, fast ohne alle Aenderungen bestehenden ersten und einzigen Niederschriften seiner Werke auf die ebenso leichte und sichere Hervorbringung derselben schließen wollte; denn es ist hinlänglich bekannt und beglaubigt, daß er sie erst lange Zeit mit sich herumtrug, und erst, wenn sie sich im Kopf vollständig ausgestaltet hatten, nieder-, eigentlich nur abschrieb, wie unter Anderen die einzige Niederschrift der Partitur der Zauberflöte beweist, in welch’ umfangreichem Werke äußerst wenige Aenderungen zu bemerken sind. Beethoven dagegen arbeitete in ganz entgegengesetzter Weise, machte viele Skizzen vorher, arbeitete sie aber hauptsächlich erst während des Niederschreibens aus, und veränderte dann die ursprünglichen Intentionen in so vielfacher Weise, daß es oft recht schwer, ja unmöglich wird, aus dem Gewirre der verschiedensten über-, unter-, neben-, und zwischengeschriebenen, radirten und wiederum corrigirten Lesarten, und dazu noch an sich in kaum zu entziffernden Krakelfüßen, die eigentliche definitiv von ihm festgestellte Lesart herauszufinden.

Ein Unicum nun wohl in Hinsicht auf Schaffensweise und Niederschrift ist unter allen Tondichtern Franz Schubert, der genialsten Componisten einer in allen Gattungen der Tonkunst, und „der begnadigtste Liedersänger aller Zeiten", wie ihn Otto Gumprecht in seinen trefflichen musikalischen Charakterbildern nennt. Franz Schubert brütete nicht vorher, wie Mozart, im Kopfe, er entwarf auch nicht Skizzen und änderte vielmals, wie Beethoven, sondern er sah an jeder tondichterischen Aufgabe im Augenblick das Wahre, Rechte, seine unbeschreiblich rege Empfindung und allezeit willig ergiebige Phantasie stellten ihm die schönste ausgeprägteste Gestalt unmittelbar vor, und er brachte dieselbe schnell, aber in sicherer, reinlicher und regelmäßiger Handschrift auf das Papier.

So schrieb der Achtzehnjährige in einer kurzen Nachmittagsstunde gleich beim Entstehen im Geiste, also frisch geschaffen feinen „Erlkönig“, diese „Verklärung der Goethe’schen Ballade in Tönen“ nieder, seinen am volkstümlichsten gewordenen, wenn nicht gar seinen gelungensten Gesang. Nur ein wiederholtes Durchlesen der Goethe’schen Worte, in immer sich steigernder Aufregung, erzählt Joseph Spann, der Freund, der bei der Entstehung desselben zugegen gewesen, hatte genügt, um das Gebilde derselben in Tönen vollendet vor seine Seele zu stellen, und in rastlosem Vollzuge folgte die nur noch mechanische Arbeit des Niederschreibens. Am Abend desselben Tages schon sang er die neue Composition seinen Freunden vor.

Wenn nun schon, wie jede Autographen-Auction zeigt, Briefe berühmter Männer, selbst die kürzesten wenige Zeilen enthaltenden, und keineswegs immer an Inhalt bedeutend, theuer bezahlt werden, so kann man sich denken, was ein Tonkünstler für das vollständige Manuscript des „Erlkönigs“ bieten würde, der die Mittel dazu besäße. Gut und gern seine hundert Thaler. Aber auch dafür war es nicht, es war überhaupt nicht zu haben. Und jetzt – wird uns die genannte Handschrift durch den Verlagsbuchhändler Wilhelm Müller in Berlin für den Preis von – zwanzig Neugroschen geboten! Allerdings ist es nicht die Urschrift Schubert’s selbst, aber mit Hülfe einer jungen Kunst, der Photo-Lithographie, ein so treues Abbild derselben, daß man kaum an den Unterschied zwischen Urschrift und Copie denken kann.

Ein noch besonders erhöhtes Interesse gewinnt aber gerade dieses Autograph durch den Umstand, daß von dem „Erlkönig“ zwei Niederschriften existiren. Schubert componirte ihn Ende 1815 oder spätestens 1816, während derselbe erst im Jahre 1821 im Stich erschien. Aus dieser Zwischenzeit, wenn nicht vielleicht unmittelbar vor dem Druck, wird wohl die zweite Originalhandschrift stammen (im Besitz der Fr. Dr. Clara Schumann, der Glücklichen!), welche den „Erlkönig“ in der altbekannten Gestalt zeigt. Was diese gegen die erstere Verschiedenes bietet, hat der Vorredner zu der Photo-Lithographie, Franz Espagne, angegeben, worauf wir verweisen müssen. Interessanter ist (für uns wenigstens) die hier gebotene erste Niederschrift, als ursprünglichste Intention, und der Vergleich derselben mit der zweiten Bearbeitung Schubert’s. Wahrlich, der Herr Verleger ist der Wohltäter des größten Theils der musikalischen Menschheit geworden, denn seine Idee wird natürlich ergriffen und nachgeahmt werden, und so mögen, ach, wie Viele von nun an des Wonnegefühls theilhaftig werden können, das bis jetzt nur äußerst wenigen Wohlhabenden vergönnt ward, Autographen berühmter Tondichter selbsteigen zu besitzen und sich an ihrem Anblick fort und fort erfreuen zu können.

L.




Der erste Staatsstreich Napoleon's des Ersten. In seiner ausgezeichneten Geschichte Napoleon’s des Ersten erzählt Lanfrey aus der Jugendzeit des Kaisers einen wenig bekannten Vorgang, der, an und für sich unbedeutend, das Interesse in besonderem Grade in Anspruch nimmt, einmal wegen der Folgen, die er für die militärische Laufbahn Napoleon’s hatte, dann, weil er mit seltener Schärfe im Jüngling die charakteristischen Züge des Mannes erscheinen läßt. Der Einsatz bei diesem Staatsstreich ist nicht wie am 18. Brumaire das Schicksal Frankreichs, sondern nur die Majors-Epaulette und noch dazu die Epaulette eines Majors in der Bürgerwehr.

Ein hervorstechender Zug im Charakter des jungen Napoleon war das tiefe Gefühl für das Land seiner Geburt, für Corsica, dessen letzte Kämpfe gegen die französische Herrschaft in seinem ersten Lebensjahre spielen. Trotz seiner späteren Erziehung in Frankreich aus französischen Militärbildungsanstalten, war Napoleon in seinem Inneren ein Corse geblieben: auf die hervorragenden Männer dieses Landes, namentlich auf den General Paoli, den letzten corsicanischen Staatsmann, blickte er mit Bewunderung, und um den Kampf Paoli’s und Corsicas zu rechtfertigen, ließ er sein erstes politisches Manifest (im Jahre 1791), den „Brief an Matteo Batta Juoco“, erscheinen. Zu wiederholten Malen kehrte Napoleon, zumal als die Revolution die Ordnung in der französischen Armee gelockert hatte, auf längere Zeit nach der heimatlichen Insel zurück, nicht ohne, namentlich in Ajaccio, mehrfach eine hervorragende Rolle zu spielen.

Dort befand er sich auch gerade, als das Gesetz über die Bildung von Bürgerwehren in Corsica eine überaus lebhafte Bewegung hervorgerufen hatte. Der höchste Posten in der Bürgerwehr von Ajaccio. der eines Bataillonsführers, war damals das Ziel der Bestrebungen Napoleon’s; gab diese Stellung doch sichere Bürgschaft für seine Popularität und damit ein Pfand für sein weiteres Avancement in einer Zeit, wo die Volksgunst die Quelle jeder Macht bildete. Allein diese Stellung wurde Napoleon von anderen reichen und einflußreichen Mitbewerbern streitig gemacht, die bessere Aussichten auf Erfolg zu besitzen schienen. Marius Peraldi und Pozzo di Borgo waren die Führer seiner Gegner, und auf ihrer Seite standen die angesehensten Männer der Stadt. Aber Napoleon verstand diesem Nachtheil durch seine Rührigkeit abzuhelfen. Er entwickelte, um sich neue Anhänger zu gewinnen und die schon gewonnenen festzuhalten, eine für seine Jahre außerordentliche Regsamkeit und Schärfe des Geistes; er kaufte die, die käuflich waren; die es nicht waren, suchte er in Furcht zu setzen; Geld, Versprechungen, Drohungen, Familieneinfluß, Alles bot er auf, um die Wähler zu gewinnen.

Bald war die Stadt in zwei sich kampfbereit gegenüberstehende Lager getheilt und die Anzahl der Anhänger Napoleon’s der seiner Gegner fast gleich. Die Bevölkerung allein gewonnen zu haben, genügte indessen nicht. Die Constituante in Paris hatte Commissare mit der Organisation der Nationalgarden beauftragt, und die in Ajaccio ausgebrochenen Spaltungen wiesen diesen Vertretern der Centralgewalt eine vermittelnde Stellung an und gaben ihnen den entscheidenden Einfluß auf den Ausgang der Wahlen; wer sie zu Gegnern hatte, war verloren. Ihre Ankunft wurde daher mit Ungeduld erwartet.

Endlich kommen sie an; aber der bedeutendste von ihnen, Murati, nimmt bei Marius Peraldi, Napoleon’s Hauptgegner, sein Absteigequartier. Das hieß soviel als sich offen für die Bewerbung dieses aussprechen, ohne jedoch einen sträflichen Druck auf die öffentliche Meinung auszuüben. Napoleon empfand diesen unvorhergesehenen Schlag tief. Er schien finster, niedergeschlagen, unentschlossen. Den Dingen freien Lauf lassen, hieß den Gegnern den gewissen Sieg einräumen; Widerstand leisten war nicht weniger gefährlich. Er verbrachte einen großen Theil des Tages im Zwiegespräch mit seinen intimsten Vertrauten; unruhig und aufgeregt, wagt er nicht einen Entschluß zu fassen und versucht sich mit halben Worten verständlich zu machen, in der Hoffnung, man werde ihm die Verantwortlichkeit eines gewagten Entschlusses abnehmen. Aber als Niemand ihm entgegen kommt, entschließt er sich, selbst zu handeln.

Als gegen Abend die Peraldi bei Tisch sitzen, wird plötzlich an die Thür des Hauses geklopft. Ein Diener öffnet, und sofort dringen Bewaffnete auf die erschreckten Tischgenossen ein. Murati hatte die Flucht ergriffen; er wird eingeholt und mit Gewalt in das Haus Bonaparte’s geführt, wo dieser voll Unruhe den Ausgang des kühnen Handstreichs abwartete. Er bemeistert seine Bewegung und empfängt mit ruhiger Miene und erkünstelter Freundlichkeit seinen Gefangenen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_526.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)