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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Wilderich ging zum Wagen, stieg behende hinein und ließ sich aus der Mühle, da es zu dunkel geworden, um noch genau sehen und lesen zu können, eine Laterne bringen, die er im Innern des Wagens auf den Boden desselben stellte.

„Schulmeister,“ rief er dann von seiner Höhe herunter, „ich nehme an, Ihr könnt lesen …“

„Nicht allzu gut!“ antwortete lachend der Krepsacher statt des Schulmeisters, „mit dem Lesen stockt’s ein wenig bei ihm und mit dem Schreiben hapert’s, nur das Kopfrechnen, wie viel Würst’ es ausmacht, wenn zu Martini von fünfzig Kindern jed’s zwei bringt, das versteht er, gelt, Schulmeister?“

„Du hast ein Schandmaul, Krepsacher,“ fiel der Schulmeister ein, „ich lese gedruckte Bücher so gut wie der Herr Cooperator und auch Geschriebenes, zeigt nur her, Revierförster.“

Der Schulmeister schwang sich in den Fourgon und begann in den Schriftbündeln und Mappen zu stöbern, die neben Koffern und anderen Effecten eines Officiers in dem Wagen lagen.

„Das ist ja Alles französisch!“ sagte er nach einer Weile. „Hol’s der Henker – für das Häuflein Würst und alle zwei Jahr zu Sanct-Michelstag einen neuen Rock von der Gemeinde, werd’ ich am End’ auch noch Spanisch reden sollen, das mag die Gemeinde sich anderswo bestellen!“

Der Schulmeister warf die Papiere bei Seite und machte sich mit einer verschlossenen Schatulle zu thun.

Au citoyen Duvignot, Général de Brigade,“ las Wilderich unterdeß und fand den Namen wiederholt auf einem großen Theile der Blätter, die ihm unter die Hände kamen … der Wagen mußte der Gepäckwagen eines Brigadegenerals Duvignot sein. Wilderich rief dem Krippauer zu, er solle einem der österreichischen Officiere melden, daß man allerlei Rapporte und andere Dienstpapiere eines Generals erbeutet und es den Oesterreichern überlasse, ob sie sich darum kümmern wollten oder nicht, als ein heftiger Krach ihn sich wenden und auf den Schulmeister blicken ließ.

Dieser stand hinter ihm, die geöffnete Schatulle im Arm, er hatte mit seinem starken Taschenmesser den Deckel aufgesprengt. Obenauf in der Cassette lag ein Bündel Papiere in gelbem Umschlage und mit einem grünseidenen Bande umwunden; darunter lagen einige Geldrollen, ein Medaillon mit dem Miniaturportrait einer Frau, Ringe, ein paar goldene Taschenuhren, eine Tabatière, ein paar alte Notizbücher und einige Briefe; es schien die kleine Schatzkammer des Generals Duvignot zu sein.

„Halt, Schulmeister,“ rief Wilderich nach einer flüchtigen Durchmusterung. „Das ist etwas, was ich brauchen kann!“

„Glaub’s, daß Ihr’s brauchen könnt’, Revierförster … aber wir andern können’s auch brauchen … ich denk’, wir theilen ehrlich.“

„Wir sind keine Räuberbande, Schulmeister,“ sagte Wilderich, die Cassette unter den Arm nehmend … „ich brauch’s, um es diesem General Duvignot wieder zustellen zu können.“

„Dem General? Kennt Ihr ihn denn?“

„Nein – nicht mehr als jeden andern.“

„Nun also!“

„Hör’, ich muß in Frankfurt hinein – weiß der Himmel, wie ich’s anfange, durchzukommen. Da soll mir dies Ding da dienen – ich werde sagen, ich woll’s dem General wieder zustellen – es wird mir als Paß dienen. Darum nehm’ ich’s – behüt Dich Gott, und die Uebrigen – ich muß fort!“

Er sprang behende vom Wagen herunter, schritt mit dem Kistchen davon in die Dunkelheit hinein, und war bald den Augen des ihm betroffen nachblickenden Schulmeisters verschwunden.

So lange die Vorräthe in dem Generalfourgon vorhielten, blieb es laut und lebendig im einsamen Bauern-Bivouac. Als sie aber erschöpft waren, machte sich auch die Erschöpfung bei den Männern geltend. Sie begannen an ihre Nachtruhe zu denken; die, welche aus der Mühle gekommen, um ihr Recht auf einen Beute-Antheil wahrzunehmen, zogen sich allgemach dahin zurück, andere suchten Dach und Fach unter dem Holzschuppen und der Rest lagerte sich um’s Feuer.

„Sorgt dafür, daß das Feuer hübsch im Flackern bleibt, die Nacht ist kalt!“ sagte der Krippauer; „Du Schulmeister und der Krepsacher, Ihr sollt’s schüren!“

„Danke!“ erwiderte der Schulmeister verdrießlich … „ich hab’ Schlaf nöthig so gut wie die Andern!“

„Na, dank’ doch dem Herrn Obercommandanten, daß er uns nicht anbefiehlt, der sämmtlichen Mannschaft für morgen die Schuh’ zu putzen!“ lachte der Krepsacher, „dafür sind wir ihnen just gut; Du, der Schulmeister, und der Krepsacher, dem der Hof vergantet ist, die sind die letzten in der Gemeinde!“

„Gott weiß es,“ versetzte der Schulmeister, „das kommt dabei heraus, daß man ein Studirter und Gelehrter ist, nachher kann man der Gemeind’ die Schuhe putzen!“

Der Krepsacher stützte sein Kinn auf den Arm und blickte lange sinnend in das Feuer. Nach einer Pause und während die Andern einschliefen, sagte er:

„Du, Schulmeister!“

„Was hast?“ fragte dieser, aus dem Einnicken auffahrend.

„Was meinst, wenn wir ihnen das Fener so groß schürten, daß der Wind die Funken auf des Müllers Schindeldach jüg? Der Wind bläst grad’ aus der richtigen Ecke!“

„Bist von Sinnen?“

„Ich denk’, der Krippauer hätte dann warm genug für die Nacht,“ antwortete der Krepsacher lachend. „Es sind mehr alte Hütten abgebrannt in diesen Tagen im Spessart! Eine mehr oder weniger, was schadet’s? Geh’, hol’ Scheite und Reisig!“

„Bist ein Boshafter, Du!“ sagte der Schulmeister, einen ängstlichen Blick von der Seite auf den Krepsacher werfend. – „Aber wer kommt denn dort?“

An der andern Seite der Schlucht, jenseits des Bachs rauschte es im Gestrüpp; Gerölle kollerte nieder; es mußte Jemand da durch die Sträuche brechen.

Die beiden allein noch wachenden Männer blickten gespannt in die Dunkelheit … nach einer Weile wurde eine wie hüpfend sich bewegende Gestalt sichtbar, die zum Bache niederkam, ihn leicht übersprang und über den Wiesenstreif diesseits zum Feuer herankam.

„Das ist Einer … der hinkt; man sollt’ sagen, der mit dem Klauenfuß wär’s,“ sagte der Krepsacher.

„Mag schon sein – denn los ist er im Spessart seit gestern und heute!“

Der mit dem Klauenfuß war aber der hinkende nächtliche Waldgänger doch nicht; es war ein starker untersetzter Mann mit einem dreieckigen Hut auf dem – man sah’s, als er in den Bereich des Lichtscheins der Flammen kam – sehr vollen und pockennarbigen Gesichte, aus dem ein Paar kleine Augen verschmitzt hervorblitzten.

„Wer bist … woher kommst?“ fragte ihn der Krepsacher, als er vor ihnen stand.

„Wie heißt, wohin willst, was ist die Parole?“ antwortete der Fremde kaustisch. „Ich seh’, Ihr haltet Mannszucht und laßt Niemand durch! Mir kann’s recht sein, wenn Ihr mich anhaltet, ich will auch nicht weiter durch, und bleib’ schon bei Euch!“

Er legte sich ohne Weiteres zwischen die Beiden und warf seinen Hut neben sich auf den Boden.

„Wie das schnarcht und schläft!“ sagte er auf die umherliegenden Gruppen blickend. „Ich kann’s nicht; mich läßt’s nicht ruhn! Ich hab’s im Geblüt. Das Geblüt läßt mich nicht schlafen. Leg’ ich den Kopf auf den Arm, so saust’s, als ob mir das Mühlrad da durch die Schläf’ ginge. Ist’s Euch auch so, Euch, daß Ihr wacht?“

Der Schulmeister und der Krepsacher sahen schweigend den seltsamen Passagier an, endlich sagte der Schulmeister:

„Hast nicht mitgethan? Du bist ja ohne Gewehr?“

„Gewehr? Wozu soll ich’s schleppen? Ich denk’, Ihr Spessarter verknallt Pulver genug, meines kann ich sparen. Beim Haufen vom Weißkopf, dem Waldmeister, herwärts Bischbrunn bin ich gewesen. Da ist Pulver genug verknallt. Und nachher, weil ich nicht schlafen konnt’, bin ich weiter gangen, abseits von der Straße, an den Bergseiten her und über die Leithen. Dacht’ mir’s schon, daß ich da ihrer etzliche finden könnt’, arme verwundete Teufel, halbtodte Marodeurs, die sich da in die Sträucher verkrochen; ich wollt’ ihnen helfen …“

„Du wolltest ihnen helfen?“ rief der Krepsacher aus … „helfen, den Franzosen? Bist kein guter Deutscher?“

„Ein Oberpfälzer bin ich … was schiert mich Deutschland? Meine Ochsen haben’s verbrannt, und die Stallmagd, das Urschel, ist auch hin. Ich geh’ wegen meiner Sach’, und nicht wegen Deutschland! Mir recht, wenn’s Euch so viel’ Schüss’ Pulver werth ist!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_531.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)