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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Alexander von Humboldt schon früher als Zweifler auftrat. Gerade im Begriff nach England durchzubrennen, in dem bereits gepackten Koffer noch die vom Professor Lepsius in Berlin für Ueberlassung des Palimpsest erschwindelte Summe, wurde der geniale und hochgelehrte Verbrecher in Leipzig von dem bekannten Polizeichef Dr. Stieber verhaftet und nach Berlin transportirt.

Man fand bei ihm eine Unzahl gefälschter alter Handschriften und Correspondenzen mit Männern der Wissenschaft nach allen Welttheilen, nach Griechenland, Aegypten, England etc. Ich weiß mich nicht mehr genau auf das Resultat dieses merkwürdigen Criminalprocesses zu erinnern, glaube aber nicht darin zu irren, daß ihm die Gerichte, trotz ähnlicher von ihm früher verübter Betrugsfälle nichts anhaben konnten, da ihm nicht nachgewiesen werden konnte, daß seine energische Behauptung, er habe das Palimpsest des Uranios im guten Glauben an die Echtheit des Manuscriptes verkauft, auf Unwahrheit basire, trotzdem, daß bei ihm der vollständige Fälschungsapparat, die aus verrosteten Nägeln verfertigte Tinte, die Rohrfedern, deren er sich bedient, das präparirte Material zu den Manuscripten etc. vorgefunden wurde, ebenso sein lithographirtes Portrait mit „Stern und Ordensband“, zu welch letzterem er ebenso wenig berechtigt war, wie zu dem angemaßten Doctortitel. Sein Abenteuer in Berlin aber hatte zu viel Lärm in der Welt gemacht, er zog es vor zu verschwinden von dem bisherigen Schauplatz seiner Thaten, und ließ nur das Bedauern hinter sich, daß so eminente Fachgelehrsamkeit nicht zu besseren Zwecken verwendet worden sei. Unlängst, nach einer langen Reihe von Jahren, taucht der Name „Simonides“ wieder in den Zeitungen auf, welche melden, daß der Abenteurer einer schlimmen Hautkrankheit im fernen Welttheil erlegen sei. –

Mit ungleich geringerem Aufwand von Geist und Wissen, aber mit weit größerer Frechheit spielte, fast um dieselbe Zeit, der sogenannte Prinz von Armenien seine kurze Rolle in Berlin. Am 11. October 1855 sandte dieser angebliche Prinz von Armenien dem damaligen Staatsanwalt Nörner – auch diesen deckt bereits der Rasen – eine Denunciation gegen seine Hauswirthin zu, eine Frau Mahlmann, oder Mehlmeyer, nach welcher dieselbe einen an ihn gerichteten Brief, „eine wichtige Depesche seines Flügeladjutanten Amur Khan“ aus London, heimlich eröffnet und gelesen habe. Diese Verletzung des Briefgeheimnisses brachte der hohe Würdenträger zur Kenntniß der Behörden und trug auf gesetzliche Bestrafung der Verbrecherin an.

Nörner begab sich in die Wohnung der Beschuldigten und fand an dieser eine sehr einfache, verstandesbeschränkte arme Frau, welche durchaus nicht fassen konnte, daß sie sich eines Vergehens schuldig gemacht, als sie den für sie in unverständlicher Sprache adressirten, unlesbaren Brief eröffnet habe. Der Brief könne auch keine Wichtigkeit haben, meinte sie, denn der Prinz habe ihn in ihrer Stube hingeworfen und liegen lassen. Mit dieser Entschuldigung, deren Richtigkeit auf der Hand lag, übergab sie dem Staatsanwalt einen auf ordinärem Papier geschriebenen Wisch „die Depesche des Flügeladjutanten Amur Khan“, welcher sich aber als grober Mahnbrief einer Parfümerie-Handlung „Hovender“ in London entpuppte, in welchem der Prinz in derber Weise aufgefordert wird, zwei Töpfe Haarpomade zu bezahlen, welche er auf Borg entnommen. Die Böswilligkeit der Denunciation lag auf der Hand, aber der Grund derselben blieb selbst dem scharfen Verstande Nörner’s verschlossen. Nur Stieber, der damalige Cristrinal-Director, dem die Sache gemeldet wurde und für welchen der ganze Apparat der Verbrecherwelt ein offenes Buch ist, fand sogleich das Wahre heraus, indem er mit apodiktischer Gewißheit erklärte:

„Der Mann ist ein Schwindler und hat die Absicht einer königlichen Behörde ein officielles Schreiben herauszulocken, welches die Adresse: ,An Se. Hoheit den Prinz von Armenien’ an der Stirne trägt, um dies Actenstück später als Legitimation zu gebrauchen.“

Zur Bestätigung dieser Ansicht lief eine zweite Denunciation gegen die Mahlmann ein, worin in pikirter Weise eine Beschwerde ausgesprochen wurde, daß man die Anzeige eines hochgestellten Mannes von Seiten der königlichen Staatsanwaltschaft nicht einmal einer Antwort werth gehalten habe.

Inzwischen hatte man Erkundigung über die Person des angeblichen Prinzen eingezogen und erfahren, daß derselbe in sehr ärmlichen Umständen und ganz ohne Legitimation sich in Berlin aufhalte.

Nun hielt es Dr. Stieber an der Zeit, gegen den Unbekannten vorzugehen. Auf eine artige mündliche Einladung des Polizei-Commissars Rakenstein, sich im Directions-Bureau der Criminal-Polizei einzufinden, erschien am nächsten Tag ein behäbiger, wohlgenährter, aber nichts weniger als prinzlich aussehender Mann, trotz des Sternes, den er auf der Brust des schwarzen, ziemlich abgetragenen Fracks befestigt hatte.

„Ich bin der ‚Prinz von Armenien‘, melden Sie mich Ihrem Chef,“ herrschte er dem im Vorzimmer Stieber’s arbeitenden Beamten zu.

Wie einen zum Besuch erwarteten Bekannten empfing Stieber den Abenteurer, ließ sich von ihm noch einmal die Geschichte der erbrochenen Depesche seines Adjutanten „Amur Khan“ erzählen, die sichtlich in gewinnsüchtiger Absicht, von seiner Hauswirthin geöffnet worden sei. Ferner theilte er, einmal zutraulich geworden, dem Chef der Criminal-Polizei mit, er sei durch einen eigenhändigen Brief der Königin von Georgien an Se. Majestät den König von Preußen empfohlen worden und hoffe wieder in den Besitz seiner Länder und zu dem viele Millionen betragenden Staatsschatze zu gelangen, welche der Kaiser von Rußland ihm gestohlen habe.

Hier entfernte sich Dr. Stieber, indem er sich die Erlaubniß ausbat, einen Augenblick „nur zur Ertheilung eines geschäftlichen Auftrages“ sich in’s Vorzimmer begeben zu dürfen.

Im weiteren Verlauf des Gespräches wußte der schlaue Polizist das Gespräch auf den Ordensstern des Prinzen zu lenken, und um die Bedeutung desselben zu fragen, obgleich er längst in demselben das Commandeurkreuz des portugiesischen Christusorden erkannt hatte. Es wäre der „armenische Hausorden“, den jeder armenische Prinz schon in der Wiege erhält, lautete die unbefangene Antwort.

Nach einer Stunde des wechselreichsten Zwiegesprächs, gegen den Schluß desselben nur unterbrochen durch einen Beamten, der seinem Chef eine leise Meldung und ein Schriftstück brachte, wollte sich „der Prinz“ entfernen, als ihn, schon zwischen Thür und Angel, Director Stieber bat, einem Beamten, der die Ehre haben würde, ihn zu begleiten, seine Legitimationspapiere mitzugeben.

Zuerst in hochfahrender Weise, dann bei der eisernen Festigkeit des Criminalisten, ahnend, daß er durchschaut sei, etwas kleinlauter, erklärte er, er habe gemeint, seine Stellung schütze ihn vor derlei Polizeinergeleien, man möge sich bei Sr. Majestät dem König nach ihm erkundigen.

„Das ist bereits während unseres Gespräches telegraphisch geschehen,“ antwortete Stieber mit leisem ironischem Lächeln, „Und es thut mir leid, daß Se. Majestät nicht nur Nichts von dem Empfehlungsschreiben der Königin von Georgien weiß, sondern daß man im königlichen Cabinet so unwissend ist, die absolute Behauptung aufzustellen, eine solche existire gar nicht.“

Sein Paß, erwiderte er, und seine Legitimationspapiere seien ihm ebenfalls vom russischen Kaiser gestohlen worden.

„Auch dies muß ich bestreiten,“ entgegnete mit dem Behagen einer mit einer Maus spielenden Katze der hartgesottene Criminalist, „die russische Gesandtschaft stellt in einer hier eben eingetroffenen telegraphischen Antwort alle Ihre Behauptungen nicht nur entschieden in Abrede, sondern behauptet auch, daß Sie von derselben namhafte ‚Almosen’ empfangen hätten.“

Das Resultat dieses Besuches war die Verhaftung des angeblichen Prinzen von Armenien und ein monatelanger heftiger Kampf zwischen den gewaltigen Mitteln der Polizei und der frechen Schlauheit eines Abenteurers. Trotzdem, daß dem Letzteren Zug für Zug der Boden seiner erlogenen Existenz unter den Füßen weggezogen wurde, brachte jeder Tag eine ungeahnte Erfindung, eine neue unglaubliche Behauptung. Große Summen mußten zur Erforschung dieses Lügengewebes hinausgeworfen werden, trotzdem man von der Zwecklosigkeit dieser Vergeudung im Voraus überzeugt war. Einem kecken Schachspieler gleich versuchte der „Prinz von Armenien“ die Polizeigewalt „matt“ zu machen, und seiner bodenlosen Unverschämtheit gelang dies seltene Kunststück am Ende wirklich.

Wir haben oben schon erwähnt, welche Märchen er über sein Verhältniß zum Kaiser von Rußland, zum König von Preußen, zur fabelhaften „Königin von Georgien“, ferner über seinen armenischen Ordensstern der Polizei aufzutischen wagte; man fand

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