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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Auf grünen Birkenbüschen, denselben Büschen, mit denen der Bergmann die „schlechten Wetter“ aus den Gruben zu wedeln pflegt, waren, Einer an den Andern, die entstellten Körper von dreizehn der Verunglückten gebettet: zum Theil verbrannt, mit blutigen Wunden an Kopf und Gliedern, hie und da schon verkohlt, braun oder vielmehr rauchgrau, in einer Farbe, welche vom Neger, vom Mulatten, vom Malaien, von allen diesen Menschenracen etwas an sich hatte und doch wieder von jeder natürlichen Färbung der Menschenhaut so ganz verschieden war, – so lagen die sterblichen Ueberreste der armen Bergleute da – ein Bild, dessen Graus sich nicht beschreiben, aber auch nie wieder vergessen läßt, das in aller seiner Furchtbarkeit vor mir steht, sowie ich nur die Augen schließe! Eine der Leichen, eine merkwürdig angeschwellte Gestalt, mit dickgedunsenem Gesichte und aufgerissenem Munde, schien man soeben erst hereingeschafft zu haben, sie lag außer der Reihe der Uebrigen und – noch überrieselt mich’s kalt, wenn ich daran denke! – ich stolperte über die weitausgebreiteten Füße des Unglücklichen. Und neben diesem schauderhaft entstellten Leichnam, der kaum noch den Anblick eines Menschen darbot, kniete ein junges Weib und badete die verstümmelten, blutig zerrissenen Finger des Todten mit heißen Thränen.

„Mein Wilhelm, mein guter Wilhelm!“ schluchzte die Arme. „Ja, es ist mein Wilhelm. Ach, ich möchte mich gleich lebendig zu ihm in den Sarg legen … es ist ja zu entsetzlich! Und es war am Montag nach acht Wochen seine erste Schicht wieder; er hatte zwei Monate krank gelegen und fuhr zum ersten Mal wieder an … und da muß ihn das Wetter erschlagen!“

Aehnliche Scenen, wenn auch vielleicht minder laut und lebhaft, spielten sich in allen Ecken des Todtenschuppens ab; überall Weinen und Wimmern, überall ein Schmerz, der sich nicht in Worte fassen läßt! Die Leidtragenden waren meist junge Frauen oder alte Mütterchen, denn sämmtliche der hier auf Grün gebetteten Todten waren junge Männer von zwanzig bis dreißig Jahren gewesen, sogenannte Förderleute, denen es obliegt, die von den Häuern an den „Orten“, das heißt an den Stellen, wo eben abgebaut wird, losgehauenen Kohlen in die „Hunde“, eisenbeschlagene Holzwagen auf kleinen Rädern, zu füllen und auf den „Strecken“ bis dahin zu bringen, wo sie mittels Dampfkraft in die Höhe gezogen werden. Und da jammerte nun manche Mutter, welcher der verhängnißvolle zweite August alle ihre Söhne geraubt; da stand aufgelöst in Schmerz manches junge Weib mit dem Erstgeborenen auf dem Arme, der seinen Vater verloren hatte, noch ehe er den Namen desselben lallen konnte; da wischte sich manche hochbetagte Greisin die stillen Thränen aus den blöden Augen, über den kalten schwarzen Mann gebeugt, welcher die einzige Stütze ihres Alters gewesen war! Ach! so rufe ich wieder und wiederum aus, wo ist die Feder gewaltig genug, um solchen Ueberschwang von Leib und Weh zu schildern?

Die Stelle, von wo die Katastrophe ihren Ausgang nahm, glaubt man zu kennen, man weiß, daß der Segen-Gottesschacht Räume umschließt, in denen sich Schlagwetter bilden; warum nun aber diese letzteren plötzlich so ungeheuere Dimensionen annahmen, darüber läßt sich, wie schon erwähnt, bis jetzt Positives noch nicht behaupten. Möglich, daß die Explosion aus längst abgebauten und durch Mauerwerk von den noch im Gange befindlichen Orten sorgsam abgesperrten Stellen kam und nach Zersprengung der schirmenden Scheidewände sich nach dem Arbeitsschachte verbreitete. Gewiß scheint die als vortrefflich bekannte Leitung der Burgk’schen Kohlenwerke kein Vorwurf zu treffen, wenn sich auch, wie mir erzählt wurde, in den letzteren Jahren eine Praxis eingeschlichen haben mag, die vielleicht nicht durchaus zu billigen ist. Früher fuhren nämlich an jedem Morgen nach einem Feiertage, also auch jeden Montag, Obersteiger und Steiger mit ihren Davy’schen Sicherheitslampen zuerst in den Schacht ein und ließen keinen Arbeiter eher zu, als bis sie sich überzeugt hatten, daß keine schlagenden Wetter vorhanden waren, die sich leicht anzusammeln pflegen, wenn längere Zeit keine Bewegung im Schachte stattgefunden hat. Neuerdings aber pflegen die Förderleute den vor der Frühschicht abgehaltenen Verlesungs- und Andachtsversammlungen im Huthause nicht mehr anzuwohnen, sondern sich immer sofort in den Schacht zu begeben, um soviel „Hunde“ wie nur möglich mit Kohlen füllen zu können, da sie nach der Anzahl der beladenen Wagen bezahlt werden. Kohlen sind von den vorhergehenden Schichten immer noch genugsamer Vorrath losgebrochen übrig, so daß das Werk der Hundefüllung ohne Verzug beginnen kann. Auch am zweiten August sind die Förderleute zuerst in die Schachte gedrungen; ob sie nun mit ihren Blendlichtern die Gase entzündet haben, wer mag das entscheiden, nachdem Keiner, der über den Ursprung des Unglücks vielleicht einigen Aufschluß ertheilen könnte, mehr unter den Lebenden ist?

Auf dem Schienenwege, der beide Schachte verbindet, wanderte ich nun dem „Segen Gottes“ zu. Waren die Eindrücke, welche ich auf der „Neuen Hoffnung“ empfangen, ergreifender, erschütternder, herzbrechender Natur gewesen – sie traten weit zurück vor der Gewalt der mich hier auf „Segen Gottes“ empfangenden. Hier war die eigentliche Schauderstätte, der wahre Ort des Entsetzens, gegen dessen Bilder weit im Hintergrunde blieb Alles, was ich auf dem Neuen-Hoffnungsschacht beobachtet. Schmerz und Erschütterung wichen hier gewissermaßen dem nackten Grausen!

Der Segen-Gottesschacht erscheint stattlicher als der von „Neue Hoffnung“, sein Dampfschlot erhebt sich stolzer in die Lüfte und der Complex seiner Bauten ist umfänglicher und ansehnlicher. Höher gelegen als „Neue Hoffnung“, gewährt er, unweit der viel besuchten „Goldenen Höhe“, zugleich eine prachtvolle Aussicht auf die Elbhöhen und die Berge des Plauenschen Grundes. Der Menschenzusammenfluß war womöglich noch zahlreicher als auf dem andern Werke, aber unerbittlich wehrten die hier auch zahlreicher aufgestellte Soldatenwachen, Gensd’armen und Werkbeamten Alles ab, was nicht durch specielle Ermächtigung oder von Berufswegen zum Zulaß berechtigt war; selbst die Hinterbliebenen der Verunglückten suchte man, in anzuerkennender Menschlichkeit, thunlichst von der Schreckensstätte abzuhalten Der Anblick, der ihnen bevorstand, wäre ja mehr gewesen, als die Meisten zu ertragen vermocht hätten!

In einem hohen Kuppelbau des Werkes hängen zuvörderst an riesigen eisernen Ketten, dann an halbarmdicken Tauen die Gestelle, auf welche die „Hunde“ gesetzt werden, um die losgehauenen Kohlen aus einer Tiefe von achthundert Ellen heraufzufördern, und zwar derart, daß immer ein Gestell hinunter, das andere heraufläuft. Eine mächtige Dampfmaschine setzt das Hebewerk in Bewegung und einer der Arbeiter unten giebt durch den Druck einer Feder, welche mittels einer Leitung mit einer in der Kuppel des Gebäudes angebrachten Glocke in Verbindung steht, das Zeichen, wenn unten der Kohlenwagen zum Heraufziehen bereit ist, damit die Dampfmaschine zum Förderungswerke angelassen werden kann. In der Bergmannssprache heißt die Vorrichtung und das Gebäude selbst, welches sie umschließt, die Kaue. Gleich neben dem Hebeapparat führt eine Mündung in den Schacht hinab, durch welche auf Leitern in denselben hinabgestiegen werden kann.

In dieser Kaue nun faßte ich Posto, sie war der Schauplatz des Grausens, eines Grausens, wie es die Phantasie keines Höllenbreughel’s, die Nachtstückromantik keines Hoffmann schauerlicher und unheimlicher ersinnen könnte. Neben mir stand und saß auf den um die Wände laufenden Bänken eine ziemliche Anzahl von Personen, größtentheils Mitglieder von Behörden und höhere Bergbeamte aus Freiberg; am Thore drängte sich Kopf an Kopf das Publicum, durch die Bajonnete der Soldaten vom Einströmen zurückgehalten. Aber ringsum herrschte Grabesschweigen, höchstens, daß ab und zu Einer oder der Andere mit seinem Nachbar leise flüsterte, Alles blickte auf das Hebewerk, welches jetzt keine „Hunde“ förderte, sondern für ihre schmerzliche Bestimmung eigens dazu construirte kleine hölzerne Wagen, und lauschte auf das Signal von unten herauf, sobald ein eigenthümlich grausiger, hohlgurgelnder Ton verkündet hatte, daß das Gefährt in die Thiefe hinab gelangt war. Kling! ging’s jetzt, das Zeichen, daß das Personal oben „Achtung“ zu geben hatte, weil ein Transport erfolgen sollte. Eins, zwei, drei – Alles hielt den Athem an und zählte weiter – vier, fünf, sechs Glockenschläge! Sie bedeuteten, daß eine Leiche heraufzuheben war, während blos drei Glockenschläge verkündeten, daß nur „Berge“, das heißt Kohlenabraum und Bruchschutt, ausgefördert werden sollten.

Alles trat nun näher an die Gitterschranke, welche den Hebeapparat von dem übrigen Raum absperrt, und blickte hinab, obgleich in dem nächtigen Dunkel des Schachtes sich nichts erkennen ließ; langsamer und immer langsamer rollte das Seil, endlich kamen die schweren Ketten zum Vorschein, die Männer, denen die gräßliche Arbeit obliegt, die heraufgewundenen Menschenüberreste

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_543.jpg&oldid=- (Version vom 7.9.2022)