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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 35.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.

Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)

„Nein, ich werd’ Euch nicht verrathen,“ antwortete der Sachsenhäuser. „Wenn Ihr aber ein Spion von den Oesterreichern seid und das die Ursache ist, weshalb Ihr in Frankfurt zu thun habt, so möcht’ ich lieber, Ihr zögt ab aus meiner Kammer, es könnte auch mir an den Kragen gehn, falls sie Euch packten …“

„Beruhigt Euch,“ erwiderte Wilderich, „ich bin kein Spion …“

„Der Duvignot, nach dem Ihr fragt, versteht keinen Spaß; das ist ein grausamer Hund, ein Bluthund von einem Kerl, und just deshalb hierher gesandt, um noch ein wenig in der Stadt zu wüthen und Schrecken einzujagen, damit sie sich ein paar Tage länger halten können; denn fort müssen sie doch einmal, sobald nur die Oesterreicher kommen! Wir haben schon unsre Nachrichten und wissen, wie’s steht … es braucht ja Einer auch nur die Augen aufzuthun und zu sehn, wie sie ausschaun. Aber just weil sie auf der Retirade sind, desto tückischer sind sie …“

„Und was ist denn dieser Duvignot?“

„Was sollt’ er sein, als Einer von ihren Generalen, diesen Morgen hier angekommen, vom Jourdan hergeschickt, um sofort das Commando in Frankfurt zu übernehmen und den Belagerungszustand aufrecht zu erhalten, der richtige Holofernes dazu!“

„Duvignot ist der Commandant von Frankfurt?“ rief Wilderich aus. „Nun, mag er’s sein, oder vielmehr, desto besser! Gebt mir doch einmal das Kistchen dort her!“

Der Hausknecht rückte die Schatulle, die Wilderich mitgebracht, neben diesen. Der letztere, während er aß und trank, öffnete sie zugleich und begann jetzt noch einmal den Inhalt zu durchmustern. Der Hausknecht ließ ihn dabei allein.

Wilderich knüpfte zunächst das Band, welches das gelbe Convolut zusammenhielt, auf; er fand eine Menge von Briefen darin, welche von einer Frauenhand in französischer Sprache geschrieben waren; es bedurfte keiner langen Lectüre, um zu sehen, daß sie an den General Duvignot gerichtet waren, daß sie die Ausbrüche einer leidenschaftlichen Neigung enthielten und daß sie, aus einer Reihe von Jahren herrührend, ein sehr inniges und – schuldiges Verhältniß verriethen; die Schreiberin der Briefe sprach darin wiederholt von ihrem Gatten.

Unterzeichnet waren sie: Marcelline, oder auch bloß M. Eine Ortsangabe enthielten sie nicht.

Wilderich durchflog die ersten, dann die letzten.

In einem dieser letzten machte eine Stelle ihn betroffen. Sie lautete: ‚B. ist und bleibt spurlos verschwunden. Wenn ihre Flucht überhaupt noch den geringsten Zweifel an ihrer Schuld übrig lassen könnte, so würde dieses Verschollenbleiben ihn nehmen. Mein Mann ist jetzt ebenso überzeugt, wie ich es bin; er hat alle Nachforschungen nach ihr verboten, was mich jedoch nicht abhält, diese im Geheimen anstellen zu lassen.‘

B. – der Anfangsbuchstabe des Namens Benedicte – und diese B. war verschwunden – sollte eine Schuld auf sich geladen haben … das war seltsam … hätte Wilderich gewußt, daß die Dame, welche Benedicte aus Goschenwald entführt, Marcelline hieß, er würde wie elektrisirt aufgefahren sein. So blätterte er nur in Hast weiter, ohne mehr Andeutungen über die Sache finden zu können. Doch war eine andere Stelle da, welche, wenn die erste eine Beziehung auf ein Wesen hatte, das Wilderich in kurzer Zeit so theuer geworden, vortrefflich dazu paßte. Es hieß: ‚Du wirst das Commando in Würzburg erhalten, und ich, ich werde Dir dahin folgen. Es ist mir nicht möglich, hier unthätig und ruhig daheim zu sitzen, während Du den Gefahren des Krieges entgegenziehst. Wenn Du auch nicht lange Zeit in Würzburg bleibst, wenn Du auch bald mit Deinen siegreich vorrückenden Cameraden weiterziehst – was thut es, ich werde Dir immer um so viel näher bleiben, und wenn Du verwundet würdest – Gott wende es ab – so könnte ich Dir nacheilen von dort, könnte Dich pflegen, mit mir zurück nach Würzburg nehmen. Ich habe eine Cousine, welche in dieser Stadt wohnt. Das giebt mir den Vorwand eines Besuches bei ihr. V. wird mir die Reise gestatten, er muß sie mir gestatten. Meine Cousine heißt Frau von Goller. Unterlaß nicht, im Hause derselben, sobald Du dort angekommen bist, einen Besuch zu machen; es ist besser, wenn ich Dich im Hause schon bekannt finde, als wenn ich dich erst einführen muß!“

V…? hieß das Vollrath? Was sollt’ es anders heißen … die Frau Vollrath’s war ja in Goschenwald gewesen, von Würzburg herkommend … und „B.“ mußte also Benedicte bedeuten – es konnte kaum ein Zweifel sein – die Verfolgerin, die Feindin Benedictens war die Geliebte Duvignot’s!

Jedenfalls, sah Wilderich, mußten diese Briefe einer verheiratheten Frau an ihn dem General von großer Wichtigkeit sein; er mußte das größte Gewicht darauf legen, daß sie nicht in fremde Hände kamen; Wilderich hatte damit ein höchst bedeutungsvolles Pfand in Händen, wenn ihn der Zufall in eine üble Lage brachte, in der er des Schutzes des Generals bedürfen konnte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_545.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2020)