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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

so könnte ich es sein, jetzt kann ich es nicht mehr. Die Folgen einer solchen verbrecherischen That stehen nun einmal vor meinen Augen – und ich kann, ich kann nicht!“

„Freilich … Du handeltest sehr thöricht … die reiche Patrizierfrau, die sorglos, im Wohlleben, in allem Luxus, der sie umgiebt, von Huldigungen umringt, hier ihre glückliche Existenz weiter führen kann, wird nicht so wahnsinnig sein, ihr Loos an das wechselreiche unstäte Leben eines armen Glückssoldaten zu fesseln!“

„Das sind Worte, die der Zorn aus Dir spricht, Etienne, und ich brauche deshalb nicht darauf zu antworten – ich bin zu stolz dazu.“

„Zu stolz – da liegt’s! Du bist zu stolz, Marcelline, um wahrhaft lieben zu können. Die Liebe ist demüthig! Was ficht sie der Menschen Urtheil an, und ob es sie hoch oder niedrig stellt? Sie hört nur auf die eine Stimme, die des Herzens – Marcelline, ich bitte, ich flehe Dich an, horche auf sie, ich will es, ich verlange es von Dir, ich kann es fordern, denn Du bist mein Weib, mein durch die heiligsten Bande an mich gekettetes Weib! Was hat die inhaltlose Form zu bedeuten, dieser Priestersegen, der Dich mit einem alten ungeliebten Manne verbunden hat – uns hat das Herz, hat die Natur mit heiligeren Banden verbunden, und das lebende Zeugniß dieses Bundes, wenn es nun vor Dich träte und zu Dir spräche: verlaß, verlaß meinen Vater nicht – dann …“

„Ich bitte, o ich bitte Dich, Etienne, rede nicht weiter!“ sprach das gepeinigte Weib, ihre Hände vor das Gesicht schlagend.

„Weshalb soll ich nicht weiter reden,“ eiferte Duvignot, „weshalb, da Du mich feige verlassen willst, nicht Alles Dir in’s Gedächtniß rufen, was uns für ewig zusammenkettet?“

„Will ich denn das Band zerreißen?“ rief Marcelline aus geängstetem Herzen aus. „Wie soll ich Dir folgen? Wie ist es möglich? Wohin? Zu wem? Wen hast Du auf Erden, zu dem Du mich bringen könntest? Hast Du einen Kreis, in dem ich, stolz darauf, die Deine zu sein, geschützt, geachtet und geehrt meine Tage zubringen könnte, wenn Du nicht bei mir, wenn Du auf Monate, Jahre hinaus im Felde bist? … und wenn Du fällst, Du mit Deinem rücksichtslosen Drang, der Gefahr zu trotzen, Deiner Verwegenheit, Deinem Ehrgeiz, Deinem Ruhmdurst, allem dem Feuer, das einen Soldaten nicht zu Jahren kommen läßt – wohin dann mit mir verlassenem, entehrtem, schmachbedecktem Geschöpfe?“

„Du bist sehr klug und besonnen, Marcelline,“ antwortete Duvignot, eine verächtlich abwehrende Bewegung mit der Hand machend, „Ihr Frauen könnt das, mit Besonnenheit lieben! Wenn die Besonnenheit nur nicht so feige wäre; eine muthigere Klugheit würde Dir die Dinge in anderem Lichte zeigen; Dein Mann wird einmal sterben, und dann wirst Du mein Weib werden – das ist einfach die Zukunft, die meine Klugheit mir zeigt! Höre, Marcelline, ich flehe Dich noch einmal an, folge mir, such’ Dich nicht von mir loszureißen …“

„O mein Gott, wer spricht davon?“

„Du, Du thust es; was kann uns ein armseliger Briefverkehr sein, wenn Hunderte von Meilen vielleicht zwischen uns liegen, wenn die Hoffnung, uns wiederzusehen, verschwindet, wenn andre Menschen, andre Schicksale, wenn die Jahre treten zwischen Dich und mich …“

„Menschen, Schicksale, Jahre – sie werden mich nicht verändern, sie werden mich nicht von Dir trennen!“

„So fühlst Du jetzt! Doch wer übernimmt die Gewähr dafür? Und deshalb will ich, daß Du mir folgst. Du wirst es. Aber sieh, das ist die Forderung der Leidenschaft in mir: ich will Dich freiwillig, ungezwungen, aus eigenem Antriebe, nur der Liebe gehorchend mir folgen sehn. Ich sträube mich auf’s Aeußerste, Dich zu zwingen.“

„Und wie könntest Du mich zwingen?“

„Ich kann es!“

„Weil Du die Gewalt in der Stadt hast? Willst Du mich als ein Beutestück betrachten? Willst Du mich mit Gewalt entführen?“

„Nein, nicht das!“

„Dann wüßte ich nicht, wie Du’s könntest!“ sagte Marcelline stolz.

„Vielleicht kann ich’s doch!“ versetzte Duvignot, den Blick abwendend. „Aber ich sage Dir ja, meine ganze Seele sträubt sich dawider – und deshalb flehe ich Dich an: entschließe Dich – wag’ es – vertraue mir – traue meiner Kraft, Dir die Zukunft so glücklich zu gestalten, daß Du es nie bereuen wirst! - Ich habe das Vorgefühl, ich möchte sagen, in meiner Brust die Bürgschaft eines großen und glänzenden Schicksals; die Geschichte ist im Rollen begriffen, wir gehen Alle einer Zukunft voll großer Ereignisse und Katastrophen entgegen, voll welterschütternder Wandlungen und gewaltiger Krisen im Leben der Völker; das ist die Zeit für starke Arme und muthige Seelen – darum Muth, Muth, Marcelline – und nur Muth; der Muth allein ist der Schlüssel zu allem Glück!“

„Glück – Glück, als ob es aus einem Verbrechen erblühen könnte, mit dem man den Himmel beleidigt und der ganzen Welt Trotz bietet – ist das möglich?“

„Wenn Du im Leben mit mir, in der Verbindung mit mir, in einer Zukunft an meiner Seite kein Glück mehr siehst, dann freilich …“ fuhr Duvignot zornig auf.

„Du wirst ungerecht,“ versetzte sie lauter; „ich habe Alles gethan, Alles, Alles was ich thun konnte für Dein Glück! Dies kann ich nicht. Ich kann meine Pflicht vergessen, aber nicht so meine Ehre, nicht so meines armen alten Mannes Ehre mit Füßen treten.“

Seine Ehre!“ sagte Duvignot verächtlich. „Lebe wohl denn – wirf sie in eine Wagschale und mein Glück in die andere; sieh, welche Dir schwerer wiegt. Ich werde Dich morgen darnach fragen, denn meine Zeit ist hin, ich muß gehen, Du weißt, wie man mich drängt …“

„Du wirst nie eine andere Antwort von mir erhalten, als diese,“ erwiderte Marcelline.

„Vielleicht doch … wir werden sehen!“

„Was sollen diese Anspielungen, diese Drohungen, als ob Du mich zwingen könntest, bedeuten? Sprich offen heraus, ich fordere es.“

„Du wirst es erfahren – wenn Du unerbittlich bleibst.“

„Etienne – Etienne – was hast Du vor, woran denkst Du? – Du gestehst selbst, daß Du nicht vorhast, Gewalt zu gebrauchen!“

„Nein, nicht das. Ich werde Dich dadurch zwingen, daß ich Dir in der Ferne, in meiner Heimath etwas zeige, welches Dich unwiderstehlich dahin und mir nach ziehen wird.“

„Und dies Etwas?“

„Kein Wort mehr darüber!“

„O ich bitte Dich …“

„Nicht heute …“ entgegnete Duvignot, sich abwendend, „meine Stunde ist abgelaufen – der Dienst verlangt mich! Adieu, Marcelline! Fasse Dich, fasse Muth, sei mein großes und starkes Weib, fühle, daß Du mein bist, und … reich mir die Hand!“

Sie reichte ihm langsam und wie gebrochen die Hand, ohne die Augen zu ihm zu erheben. Dann ließ sie den Kopf mit einem tiefschmerzlichen Seufzer an die Lehne des Armstuhls zurücksinken.

Duvignot war mit raschen, heftigen Schritten davon gegangen.

In dem Augenblick, als er auf den Vorplatz draußen trat, betrat Wilderich Buchrodt, dem Bedienten folgend, die letzte Stufe der Treppe.

Duvignot blieb stehen und erwartete ihn.

„Was wollt Ihr, von wem kommt Ihr?“ fragte er barsch den Ankommenden. „Wer zum Teufel hat Euch wider meinen Befehl heraufgelassen?“

Wilderich mußte seine ganze Kraft, sich zu beherrschen, zusammennehmen, um nicht das Erschrecken zu verrathen, das bei diesem Zusammentreffen und bei der zornigen Anrede des heftig erregten Mannes so natürlich war. Er konnte nicht daran zweifeln, daß es der gefürchtete Commandant sei, dem er in den Wurf gekommen. Er legte die Hand an den Schirm des Czakos und antwortete in meldendem Tone:

„Exempt von der dritten Halbbrigade der Chasseurs zu Pferd, zweite Schwadron …“

„Der Mann will nicht zu Ihnen, Herr General,“ fiel der Bediente sich entschuldigend ein, „sondern zum Herrn Schultheiß, deshalb habe ich ihn heraufgeführt.“ … Duvignot sah von Einem auf den Anderen.

„So führt ihn zum Schultheißen!“ antwortete er und wandte sich einer Flügelthür zu, die in sein Zimmer führte … Wilderich

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