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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Erinnerungen aus meinem Leben.

Von Friedrich Hecker.[1]
1. Wie die geheimen Wiener Conferenzbeschlüsse an das Tageslicht gezogen wurden.

Die Masse des Volkes, und insbesondere die jüngere Generation hat schwerlich einen Begriff von dem Ringen und den Kämpfen einer verhältnißmäßig kleinen Zahl von Männern gegen die systematische Unterdrückung aller bürgerlichen Freiheit in der düsteren Zeit von 1832 bis 1848. Man sehe sich nur die mit jesuitischer Casuistik stylisirten despotischen Bundesbeschlüsse von 1832 bis 1846 an, welche das sogenannte „öffentliche Recht“ bildeten, und vergleiche damit die Cäsarengesetzgebung von Rom und Byzanz.

Die Volksvertretung, wo sie überhaupt bestand, bereits zu einem elenden Gaukelspiel herabdecretirt, überwacht, bespionirt und vergewaltigt, sollte noch weiter bis zur Fratze erniedrigt werden, jede freie Aeußerung in Wort und Schrift mit endlosen Untersuchungen, Haft und Kerkerstrafen verfolgt; unschuldige Bänder, Hüte und Mützen Grund zu ruinosen Verfolgungen; Preßfreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht, Volksfeste verpönt; die Universitäten und andere Unterrichts-Einrichtungen zu Dressur-Anstalten „zerbrechlicher Werkzeuge“ (Blittersdorf’scher Ausdruck für Staatsdiener) entwürdigt, gefälschte Geschichtschreibung decorirt und empfohlen, ein Spionirsystem der raffinirtesten Art bundestaglich officiell organisirt und mit „schwarzen Büchern“ und Listen versehen, welche die Namen aller dem herrschenden Systeme Verdächtigen nicht blos des In-, sondern auch des Auslandes enthielten. Das Reisen war mit endlosen Formalitäten, Plackereien und polizeilichen Flegeleien verwürzt; Erholungsreisen und Besuche bei Freunden Gegenstand einer auf Schritt und Tritt nachschleichenden Ueberlauerung. Die Post war zur Dienerin der infamsten Inquisition geworden, das Briefgeheimniß existirte nicht, wohl aber eigene Cabinete mit einem Apparat von nachgemachten Siegeln, feinen Messern, Scheeren und ähnlichen Instrumenten zur Eröffnung der Briefe, Apparate zur Lösung und Wiederaufsetzung von Siegeln, Lösung von Oblaten und Leim. Diese niederträchtige Kunst war zu solcher Perfection gediehen und von höchst salonfähigen Personen prakticirt, daß das schärfste Auge nicht im Stande war, zu entdecken, daß der Brief eröffnet worden war, und doch lieferten uns die, ähnlich dem schwarzen Streusand, verkleinerten schwarzen Katzenhaare, vom Schreiber verabredetermaßen benützt, den Beweis. Sie waren beim Eröffnen der Briefe herausgefallen oder herausgeweht, entflogen. Gegenstand ganz besonderer Ueberwachung waren nicht blos die im Auslande lebenden politischen Flüchtlinge, sondern überhaupt alle freisinnigen oder nur im Verdachte der Freisinnigkeit stehende Männer und vor Allen die Abgeordneten ständischer Körperschaften. Ja es ging, wie wir uns mit eigenen Augen überzeugten, so weit, daß sogar die Consuln entfernter kleiner Staaten, zum Beispiel von Chili, Spionenberichte über Reden, Gesinnungen und Treiben der dort sich aufhaltenden Deutschen liefern mußten und richtig regelmäßig lieferten. Auf den Reissepässen waren geheime Zeichen angebracht, so daß jede deutsche Polizeibehörde wissen konnte, mit wem sie es zu thun habe. Das ging so weit, daß selbst auf Pässen in’s Ausland, insbesondere Frankreich, solche Zeichen angebracht waren, damit auch sofort Louis Philippe’s Polizei über das Individuum informirt sei. Ich selbst habe, als ich 1847 eine Reise durch Frankreich und nach Afrika unternahm, Erfahrung gemacht. Es fiel mir auf und ich war erstaunt über die Art und Weise, wie die französischen Polizeibehörden, deren Visas ich bedurfte, sofort, nachdem sie kaum den Paß überblickt, mir recht deutlich merken ließen, ich sei eine verdächtige Person. Ich untersuchte auf das Sorgfältigste meinen Paß und fand endlich in einem Winkelchen, kaum sichtbar, mit Bleistift die Buchstaben F. O. Ein Franzose, kein Verehrer Philippe’s und seines Systems, erklärte mir das Zeichen fait opposition d. h. der ist schwarz, auf den paßt auf!

Das Empörendste bei dem ganzen reactionären Treiben war dies, daß die Bundesbeschlüsse, Gesetze und Ordonnanzen in solcher Sprache und solchem Style abgfaßt waren, daß sie für die Philisterruhe sorgend aussahen und so glatt und vieldeutig ein fast harmloses Aussehen annahmen und nur gegen die „schlechten Kerle“ gerichtet schienen, während sie, analysirt und mit Beispielen, in welchen sie zur Anwendung kamen, zusammengehalten, sich als ein mit jesuitischer Schlauheit abgefaßtes Gewebe von Maschen, Schlingen, Fußeisen und Fallthüren darstellten, um mißliebige Personen in willkürliche Verhaftungen, Untersuchungen und Strafen zu bringen, besonders aber die Aengstlichen und Vorsichtigen zu schrecken. Das System der Hierarchie mit Inquisition und Ketzergerichten war auf den weltlichen Staat übertragen und für ihn zurecht geschnitten.

All’ diesem gewaltigen Rüstzeuge der Macht und ihren tausenden von Hülfsmitteln und Hülfsbütteln gegenüber stand ein verhältnißmäßig kleines Häuflein von Männern, entschlossen das heilige Feuer zu hüten und zu bewahren und einen ständigen Guerillakrieg gegen die verbündete feindliche Macht zu führen. Es thut nach einem Menschenalter und schweren Erlebnissen wonnig wohl, auf den Aufwand von Ausdauer, Muth, Scharfsinn, Schlauheit und List hinzublicken, der in diesem Kampfe gegen die Uebermacht aufgeboten wurde. War das gesammte Postwesen zum Polizeispion geworden, so hatten wir eine mit Etappen, Boten zu Fuß, Pferd und Wagen versehene Volkspost. Ja mit fürstlicher Extrapost reisten Briefe und Documente, und drinnen im Wagen saß die hochmüthig prunkende Macht. Die Schnüffler fühlten den verbotenen Verkehr, er umschwebte sie wie Banquo’s Geist, aber fassen konnten sie ihn nicht, bei der Volkspost dienten keine Verräther. Hatten sie ihre Polizeibureaux, Gensd’armen und Posten, um Flüchtlinge aus Deutschland, Polen etc. zu hetzen, so hatte die Action ihr Personal und ihre sichern Etappen, und welche Wollust, wenn es gelang, die Polizei zur unwissentlichen Gehülfin zu narren! Wie die geheime Presse arbeitete, davon ein Beispiel an den 1834er Beschlüssen. Jede Kirmeß ober sonstige Lustbarkeit wurde zur geheimen Volksversammlung der Gesinnungsgenossen. Der Kitzel, der mit allen Mitteln versehenen Uebermacht ein Paroli zu biegen, war so groß, daß alle persönliche Gefahr vergessen wurde und das Häuflein täglich anwuchs. Vergebens keuchte, hetzte, zappelte der Polizeistaat sich ab und häufte hinterher nur Dummheiten zu Bosheiten und machte damit Proselyten für die gerechte Sache; er wurde der Masse nicht blos unerträglich und verhaßt, sondern auch verächtlich. Sie lernten 1848, daß es stets Danaidenarbeit sein muß, wenn man den Volksgeist einfangen will. Sie haben Alles probirt, Nichts ist ihnen gelungen. Werden sie wohl klug gemacht sein? Ich glaube nicht.

Den leitenden Männern der Action war es längst klar, daß außer den veröffentlichten Beschlüssen, so reich ausgestattet auch dieser despotische Apparat war, noch geheime existirten, welche man darum zu publiciren nicht wagte, weil sie, das ganze schändliche System und sein Treiben enthüllend, ein wahrer Faustschlag in das Antlitz einer gebildeten Nation gewesen wären, daher die Ränke im Dunkeln arbeiten mußten.

Der unvergeßliche Carl von Rotteck scheint frühe positive Kenntniß von jenen geheim gehaltenen Beschlüssen gehabt zu haben, als er, wenn ich nicht irre, 1837 seine denkwürdige Motion

„über die Gefahren des Vaterlandes“ begründete, über welche die

  1. Friedrich Hecker, der alte gefeierte Volkstribun vom Sturmjahr Achtundvierzig und einer der Helden der geretteten Union Nordamerika’s spricht im Vorstehenden wieder einmal direct zum deutschen Volke. Wir finden in ihm völlig noch den alten Kämpfer und freuen uns, daß seine Worte in voller Wucht und Schärfe gerade dem Gegenstand gegenüber, welchen sie treffen, mit dem echten Manneszorn urehrlich und urkräftig heraustreten. Warum diese schon so lange angekündigte Mittheilung aus so lieber Hand uns so spät zukommt, darüber giebt uns Hecker in einem Briefe Aufschluß, aus welchem wir die folgende Stelle seinen vielen Freunden und Verehrern nicht vorenthalten dürfen: „Sie haben keine Idee davon, daß und wie schwer es mir in dieser Zeit wird zu schreiben. Nicht weil ich nicht Lust habe oder der Thermometer auf 102 Grad Fahrenheit steht, sondern weil die Ernte eingebracht werden muß, Arbeitshände rar, theuer und unverschämt sind, und ich daher trotz meiner achtundfünfzig Jahre im Felde mitarbeiten muß wie ein tüchtiger Tagelöhner. Um zweier meiner Söhne willen kann ich mein Land nicht verkaufen und mich zur Ruhe setzen , will auch, was ich geschaffen, nicht in fremden Händen sehen, und wenn man, wie ich, stets das Haus voll Besucher hat, und Strolch und Gentleman offene Tafel beansprucht, so muß man die Ohren steif halten, um nicht, wie so viele Flüchtlinge, ein alter Lump zu werden.“
    Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_552.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)