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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

daß Sie diese Briefe gesehen, gelesen, besessen? Wird Duvignot nicht … aber,“ unterbrach sie sich auffahrend, „hören Sie – mein Gott, man kommt – man wird Sie fortschleppen – in den Kerker, in den Tod … und meinen armen, armen Vater mit Ihnen …“

„Benedicte, fassen Sie sich – wir stehen in Gottes Hand – Gott wird uns nicht verlassen …“

„Hat er nicht mich längst verlassen – mich, wie ich nun zu allem Entsetzlichen auch das noch zu tragen habe, daß ich schuld an diesem unsäglichen Unglück geworden?“

„Da nehmen Sie die Briefe, bei Ihnen sind sie sicherer, bewahren Sie sie mir, bis ich sie Ihnen abfordern lasse.“ …

Er reichte ihr das Packet, das sie ängstlich unter das Kopfkissen ihres Bettes verbarg.

„Glauben Sie mir,“ fuhr er fort, „diese Briefe werden uns nützen – und wenn nicht, so werden wir ja auch ohne sie unsre Unschuld – beweisen können.“

„Gerade weil Sie unschuldig sind, wird man Sie nicht hören wollen.“

„Gerade deshalb? Aber das wäre ja teuflisch!“

„Die Menschen sind oft Teufel! Duvignot wird es durchschauen, daß mein Vater und Sie unschuldig an dem sind, wessen er Sie beschuldigt. Wenn er dies dennoch thut, so ist es ein Beweis, daß er Sie verderben will.“

„Er kann doch kein Interesse daran haben, mich zu verderben …“

„Wenn er meinen Vater vernichten will, so müssen Sie mit fallen …“

„Hören Sie Benedicte, ich verzweifle dennoch nicht; ich kann nicht mit Ihnen glauben, daß dieser Mann so schlecht sei! Wir werden doch vor Richter gestellt werden. Vor diesen werde ich reden. Ich werde ihnen schildern, wie nur meine Leidenschaft für Sie mich verführt hat, hierher zu eilen … wie ich vom Erzherzog nichts anderes gewollt, als eine Verwendung für Sie, wie die Angst um Sie allein mich hierher getrieben – ich werde das mit aller Beredsamkeit, deren ich fähig bin, aussprechen – und wenn Sie, Sie, Benedicte, dann, falls man Sie fragt, meine Worte nicht Lügen strafen, wenn Sie großmüthig genug wären, zu bestätigen, daß es so sei, daß Sie mich früher Freund genannt, daß Sie mir das Recht gegeben, für Sie zu handeln … Benedicte, zürnen Sie mir nicht, daß ich so spreche, daß ich so viel von Ihnen verlange … aber Sie würden es ja nicht für mich blos, auch für Ihren Vater thun, und das …“

Benedicte legte sanft ihre Hand in die seine:

„Weshalb sollte ich es nicht?“ sagte sie kaum hörbar. „Habe ich Ihnen auch das Recht, für mich zu handeln, bis jetzt nicht gegeben, so würde ich es ja gern thun!“ …

„O, Sie würden es gern?“

„Ja, mein Freund, der einzige, den ich gefunden habe! … Das ist es eben, was mich weniger Ihnen vorwerfen läßt, daß Sie so zum unsäglichen Unheil in dies Haus gedrungen – es ist mir ja, als trüge ich selber daran die Schuld, als hätten meine Gedenken, mein Verlangen Sie hierher gezogen, als hätten diese sehnsüchtigen Gedanken eine unwiderstehliche Gewalt über Sie üben müssen – denn meine Gedanken sind bei Ihnen gewesen, seit ich Sie zum ersten Male sah.“ …

Wilderich warf sich tieferschüttert ihr zu Füßen, er nahm ihre beiden Hände und preßte sie schluchzend an seine Zippen.

„O Dank – o Dank für dies Wort! – ein solches unermeßliches Glück geben Sie mir – und dennoch sollte Alles, Alles mit uns aus, sollte unser Leben dem Tode verfallen, sollten unsere Minuten gezählt sein? O es ist, es ist nicht möglich – jede Fiber, jeder Blutstropfen in mir sträubt sich dawider, kocht dawider auf – o Benedicte, lassen Sie uns hoffen, lassen Sie eine kurze Spanne Zeit hindurch uns glücklich sein!“

Er barg sein Haupt an ihren Knieen und schluchzte wie ein Kind. Sie legte ihre beiden Hände auf sein dunkles Haupthaar und lispelte etwas, das er nicht verstand. War es ein Wort der Liebe – ein Bekenntniß des Herzens? Jedenfalls war es ein Gebet.

Das Geräusch von schweren Männerschritten und Waffenrasseln, das Beide vorher vernommen hatten, war wieder erstorben. Jetzt wurde es auf’s Neue hörbar – erst dumpf, dann heller – die Schritte nahten durch den kleinen Corridor, durch den der Schultheiß Wilderich zu Benedicte geführt.

„O fliehen Sie, fliehen Sie!“ rief Benedicte aufspringend aus. …

„Fliehen?“ sagte Wilderich, „nein … ich kann es nicht … zwar, ich möchte leben jetzt … leben! … aber ich darf nicht, ich kann nicht … ich muß das Schicksal Ihres Vaters theilen … ich bin sein einziger Vertheidiger, seine einzige Rettung, wenn es eine für ihn giebt! Ich darf ihm nicht fehlen in der Stunde, die über sein Loos entscheidet! – Aber,“ fuhr er, sich plötzlich, vor die Stirn schlagend, fort, „wie ist’s möglich, daß ich das vergaß! Sagen Sie mir, wer in den Briefen Ihrer Stiefmutter kann G. de B. sein?“

„G. de B.? Wohl Grand de Bateillère, der Mann, den man mir aufdringen wollte.“

„Ah!“ rief Wilderich aus, „dann …“

Zum Weitersprechen war es zu spät, wie es zu spät gewesen wäre zur Flucht – der Capitain Lesaillier trat über die Schwelle. Hinter ihm standen ein Paar Ordonnanzen des Generals.

„Im Namen der Republik – Sie sind mein Arrestant,“ sagte der Capitain zu Wilderich, „folgen Sie mir!“

Benedicte flog an Wilderich’s Brust – sie umklammerte ihn mit krampfhafter Gewalt, und dann riß sie sich stürmisch mit dem Aufschrei: „Und o mein Vater – wo ist mein Vater?!“ von ihm los und wollte hinausstürzen.

Lesaillier hielt sie zurück.

„Ersparen Sie sich das, Mademoiselle,“ sagte er theilnahmevoll und bewegt, „Ihr Vater ist fort, er ist vorhin bereits abgeführt!“

„Und ich, ich trage die Schuld, daß man ihn in den Tod schleppt, o ewiger Gott, ich allein!“ rief sie mit einem Ausbruch furchtbarer Verzweiflung aus – und dann sank sie bewußtlos auf den Boden.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Dilettanten-Verein und sein Dirigent.

Von Prof. J. C. Lobe.

Wohl fünfundzwanzig Jahre mögen verflossen sein, daß der geistreiche französische Componist und Schriftsteller Hector Berlioz seine große musikalische Rundreise durch Deutschland unternahm, über welche er nachher so pikante Briefe veröffentlichte. Manches fand er zu tadeln, Manches zu loben. In hohem Grad erfreut aber sprach er sich aus über die große Anzahl blühender Chorgesangvereine, welche er in Deutschland vorfand. In der That, es dürfte nicht schwer fallen, jetzt nur an gemischten Gesangchören einige Hundert in unserm Vaterlande nachzuweisen, einige Hundert aus freier Vereinigung singender Dilettanten hervorgegangene Institute, welche ihre Liebe zur Musik durch eine künstlerische Selbstthätigkeit bekunden, die zugleich dem Gedeihen der Kunst frommt.

Unter diesem reichen Kranze ragt durch seine mehr als locale Bedeutung der jetzt in ganz Deutschland bekannte Riedel’sche Verein zu Leipzig unbedingt als der weitaus gediegenste und ausgebildetste vor allen übrigen im großen Vaterlande mächtig hervor. Er bietet in seinem Entstehen, in seiner stufenweisen Herauf- und Ausbildung, in seinen eigenthümlichen Einrichtungen, in seinen gediegenen Leistungen, seinen ausführenden Mitgliedern und endlich und vorzüglich in seinem Dirigenten so viel des Merkwürdigen und Ausgezeichneten, daß eine Schilderung desselben auch für die Leser der „Gartenlaube“ von Interesse und Nutzen sein dürfte. – Seine Tendenz kennzeichnete vor Kurzem ein Leipziger Localblatt treffend, wie folgt: „Der Riedel’sche Verein ist von jeher bestrebt gewesen, die Werke der alten Tonmeister, d. h. das Ewigbleibende aus der Vergangenheit, der Gegenwart wieder theilhaftig zu machen. Er hat den unvergänglichen Tongebilden alter Zeit Leben für die Jetztzeit neu gegeben, hat das, was für wenige Forscher blos zugänglich war, uns Allen neu erschlossen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_564.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)