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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

wenigstens nicht allzuweit hinter den Leistungen zurückgeblieben sind, welche sie im Interesse ihrer Arbeiter, jener Tag um Tag, dem Tod beherzt und ergeben in’s Auge schauenden Bergleute, zu erfüllen haben, und möge das Unglück dazu beitragen, diesem so achtungswerthen Theile unseres Arbeiterstandes genügendere Bürgschaften für ihre Sicherheit schaffen, als ihnen bisher geboten worden sind, damit sich der „schwarze Diamant“ nicht verwandle in den „schwarzem Fluch“!

H. S.




Blätter und Blüthen.


Aus Abraham Lincoln’s Leben. Während des letzten amerikanischen Krieges lag der Oberst eines New-Hampshire-Regiments in einem kleinen virginischen Städtchen am sogenannten Lazarethfieber schwer krank darnieder. Kaum hatte seine Frau Nachricht davon erhalten, so machte sie sich auf den Weg, den geliebten Mann zu pflegen, und gelangte nach unsäglichen Schwierigkeiten auch glücklich bis zu ihm. Ihre Gegenwart und sorgsame Pflege brachten den Kranken in kurzer Zeit so weit, daß er nach Washington transportirt werden konnte.

Auf dem Potomacstrome stieß jedoch das Dampfschiff, auf welchem der kranke Officier, Oberst Scott und seine Frau Passage genommen hatten, mit einem größern Fahrzeuge zusammen und sank. Die Mannschaft und fast alle Soldaten am Bord wurden gerettet, im Getümmel der Katastrophe kamen aber Scott und seine Gattin auseinander und die Letztere fand ihren Tod in den Wellen. Der unglückliche Mann ließ alle möglichen Anstrengungen machen, die Leiche des theueren Weibes zu finden, allein vergeblich. Der graue, tosende Strom weigerte sich, die Todte herauszugeben, und der vor Schmerz fast wahnsinnige junge Officier sah sich genöthigt, ohne die geliebte Todte seine Reise nach Washington fortzusetzen. Erst acht Tage später empfing er die Kunde, daß der Leichnam seiner Frau an das Ufer gespült worden sei und von den Umwohnern für ihn bewahrt werde.

Es war damals gerade ein sehr kritischer Moment des großen Kampfes und das Kriegsministerium hatte den nordstaatlichen Truppen jedweden Verkehr mit den Südstaaten auf das Strengste untersagt. Umsonst bat also der Oberst den Kriegsminister um Urlaub nach Virginien.

„Unmöglich, ganz unmöglich!“ entgegnete ihm Stanton; „Niemand darf in Privatangelegenheiten jetzt den Strom hinab. Unsere gegenwärtige Lage gebietet die allerstrengsten Maßnahmen, und lediglich persönliche Interessen dürfen der großen Nationalsache in keiner weise hindernd in den Weg treten, das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Ihr Unglück geht mir zu Herzen, allein es ist einmal eine schwere, gefährliche, kritische Zeit. Lassen Sie mithin die Todten ihre Todten begraben!“

Alle weiteren Vorstellungen des Obersten blieben fruchtlos; der Kriegsminister schnitt sie mit seinem unerbittlichen „Unmöglich“ ab.

Da entschloß sich Scott, seine Sache direct dem Präsidenten vorzutragen; zwar hatte er auch für diesen Schritt nur schwache Hoffnung, er wollte aber doch nichts unversucht lassen, was ihm möglicher Weise zu einer Erlaubniß seiner traurigen Reise verhelfen könnte. Unverzüglich fuhr er denn nach dem weisen Hause. Es war spät am Samstagabend, und Lincoln bereits nach seinem kleinem Landsitze Soldier’s Rest (Kriegers Ruhe) abgereist, wo er meist den Sonntag zuzubringen pflegte.

Ohne sich zu besinnen, brach Scott nach der nur wenige Stunden von der Stadt liegenden Villa auf. Der Präsident war damals mit Arbeit und Sorge überbürdet, und es geschah wohl, daß er unter einer solchen Last und von allen erdenklichen Anliegen von Tausenden von Menschen gequält, seine natürliche gute Laune verlor und sich, ganz wider sein eigentliches Temperament, vom Aerger zu momentaner Grämlichkeit und Härte hinreisen ließ.

In einer solchen Stimmung fand ihn unglücklicher Weise unser Oberst. Lincoln sah den Eintretenden mit finsteren, forschenden Augen an und unterbrach den Redenden barsch, als dieser kaum seine Bitte vorzutragen begonnen hatte.

„Geht mich nichts an,“ sagte er heftig. „Fragen Sie den Kriegsminister.“

„Ich bin schon bei ihm gewesen, Herr Präsident,“ erwiderte Scott kleinlaut; „er will nichts für mich thun.“

„Sie sind bei ihm gewesen, haben Ihren Bescheid erhalten und wagen dennoch bis zu mir zu dringen! Soll ich denn keinen Augenblick Ruhe haben? Will man mich auch hier, in meiner kleinen Privatwohnung, Zoll für Zoll zu Tode quälen? Stanton hat ganz recht daran gethan, wenn er Ihnen eine abschlägige Antwort gab. Ihr Verlangen ist unvernünftig, Oberst!“

„Aber, Mr. Lincoln, ich dachte, Sie würden mit mir fühlen.“

„Mit Ihnen fühlen. Gott im Himmel! Ich habe mit fünfmalhunderttausend Menschen zu fühlen, die zehnmal unglücklicher sind als Sie. Es ist eben Krieg, wissen Sie das nicht? Noth und Kummer ist jetzt unser Aller Loos; tragen Sie Ihren Antheil davon, wie es einem Mann und Soldaten geziemt. Mit einem Worte – lassen Sie Ihre Frau, wo sie ist. Wollte der Himmel, ich wäre auch schon in Ruhe wie sie!“

Damit lehnte sich der Präsident, müde und abgehetzt, in seinen Stuhl zurück, schloß die Augen und winkte mit der Hand, daß sich Scott entfernen sollte.

Der Oberst verbrachte eine schlaflose Nacht und dachte wieder und immer wieder, der Präsident sei ebenso hart, wie er häßlich war. Erst gegen Morgen schlummerte er ein, und als er erwachte, war es schon ziemlich spät. Noch hatte er sich nicht völlig angekleidet, da klopfte es laut an seine Thür. Er öffnete, und wer malt sein Erstaunen, als er den Präsidenten vor sich stehen sieht!

Mit Thränen im Auge, blaß und aufgeregt, kam der gute Mann zu Ihm und ergriff seine Hand. „Ich habe Sie gestern Abend grausam behandelt, Oberst,“ hob Lincoln an, „ich komme, Sie um Verzeihung zu bitten. Ich war aber ganz und gar außer mir, zu Tode gehetzt von allen den Ansprüchen, die jetzt an mich gestellt werden. Geht mir gewöhnlich so Sonnabend Abends, da werde ich wild wie eine böse Katze. Ich muß Ihnen wirklich als der Gorilla erschienen sein, den die Rebellen aus mir machen. Wie Sie fort waren, da hat mir die Sache leid genug gethan! Ich habe die ganze Nacht kein Auge geschlossen, und so bin ich jetzt gleich selbst in die Stadt gefahren und will sehen, ob ich mein Unrecht wieder gut machen kann. Zum Glück habe ich Ihr Hôtel bald aufgefunden.“

„Wie gut Sie sind, Herr Präsident!“ sprach der Oberst in tiefer Bewegung.

„Nein, ich bin’s nicht; ich war vielmehr gestern Abend sehr schlecht. Und nie im Leben hätte ich’s mir selbst verzeihen können, wenn ich Ihnen das nicht gesagt. Ach, es war edel von Ihrer Frau, Oberst, daß sie hinabgekommen ist und Sie gepflegt hat! und Sie müssen ein guter Mann sein, daß ein solches Weib so viel für Sie riskiren konnte! Die Weiber sind die wahren Schutzengel der Nation – ’s ist wahrhaft heroisch, was sie in diesem Kriege vollbracht haben! Aber jetzt kommen Sie. Mein Wagen wartet unten; wir wollen nach dem Kriegsministerium fahren und mit Stanton sprechen.“

Mit den wärmsten Worten machte der Präsident den Anwalt für den Obersten und erwirkte nicht blos dessen Urlaub, sondern erlangte, daß ein expresses Dampfschiff den Potomac hinabgesandt wurde, um die Leiche des treuen Weibes in Empfang zu nehmen und feierlich nach Washington zu führen.

„Die Menschlichkeit,“ sagte Lincoln, während sein Gesicht von herzliche, Mitgefühl strahlte, „die Menschlichkeit muß höher stehen, als die Rücksichten der Politik und selbst als das Kriegsgesetz – wenn es sich um Fälle handelt, wie dieser da.“

Und Zum Erstaunen des Obersten ließ er es damit noch nicht bewenden; er bestand vielmehr darauf, selbst mit nach den Docks Zu fahren, um zu sehen, ob seine Befehle auch pünktlich vollzogen würden. Eine nervöse Angst schien ihn zu erfüllen, man könne dem Werke der Pietät vielleicht doch noch Hindernisse in den Weg stellen. Und nicht eher ging er von dannen, als bis das Schiff zum Auslaufen bereit war und bis er sich mit eigenen Augen überzeugt hatte, daß dessen Officiere seinem „Freunde, dem Obersten Scott“ alle Aufmerksamkeit und Rücksicht angedeihen ließen. Dann schüttelte er dem Abreisenden herzlich die Hand.

„Gott sei mit Ihnen, mein lieber junger Mann,“ sprach er abschiednehmend, – „ich hoffe, Sie werden nun weiter keine Schwierigkeit haben in dieser traurigen Angelegenheit … und, Oberst, vergessen Sie den gestrigen Abend nicht!“ –

Weit fern von Washington auf einem stillen Dorfkirchhofe in New-Hampshire wird ein gewisses Grab sorgfältig gehütet und gepflegt von treuer Liebe. In jedem April aber erzählen die Veilchen, welche den grünen Hügel umduften, nicht allein von den Tugenden der Schläferin, die unter dem Rasen ruht – sondern mahnen auch an den großen, unvergeßlichen Präsidenten, dessen edlem Leben die Kugel eines Meuchelmörders ein so jähes Ende bereiten sollte.




Der Doppelgänger. Vom Aberglauben wähnen wir uns Alle frei. Geisterbeschwörer und Wunderdoctoren sind uns widerwärtig, ihr Hokuspokus lächerlich. Keiner von uns riskirt es in einer „gebildeten“ Gesellschaft unserer Tage, den Ahnungen, Vorbedeutungen, Geistererscheinungen etc. das Wort zu reden, es müßte denn aus Lust am Widerspruch geschehen, oder aus Neigung, durch Vertheidigung paradoxer Ansichten die Gewandtheit seiner Zunge zu zeigen, oder auch in der Absicht, die Gesellschaft zu foppen und ihre Tactfestigkeit auf die Probe zu stellen. Von Allem also, was nach Aber- und Wunderglauben schmeckt, wollen wir absolut Nichts mehr wissen. Darüber vergessen wir freilich nicht selten, daß den meisten Spuk- und Wundergeschichten irgend eine wirkliche Thatsache zu Grunde liegt, die allerdings ungenau beobachtet und durch eine zuchtlose Phantasie in’s Ungeheuerliche verzerrt und vergrößert worden ist.

Ich erlaube mir, einen an sich zwar unbedeutenden, weil in den Zeitraum weniger Secunden zusammengedrängten, aber wohl verbürgten und durch die Auffindung seiner Ursache belehrenden Vorgang dieser Art mitzutheilen. – Es handelt sich um das weltberühmte „zweite Gesicht“ oder das „Doppeltsehen“, auch wohl „Doppelgängerei“ genannt.

Als Einsender dieser Zeilen im Winter des Jahres 1857 in Jena studirte, lernte er einen fleißigen jungen Theologen C. H. aus A. in Thüringen kennen, der, mit bedeutendem Sprachtalent begabt, unter der Leitung der berühmten Forscher Baum und Schleicher mit seltener Ausdauer und großem Erfolge linguistischen Studien oblag.[1] – An einem kalten und sehr nebligen Decemberabend von einem Besuch bei guten Freunden zurückgekehrt, trat H. um acht Uhr in sein angenehm durchwärmtes

  1. Der Redaction habe ich Namen und Geburtsort desselben zu beliebigem Gebrauche mitgetheilt. Wenn C. H.. wie ich hoffe, noch lebt und nicht Dolmetscher einer europäischen Gesandtschaft im Orient geworden ist, so wird er wohl als würdiger Pfarrer in irgend einem thüringischen Dorfe hausen. Ich grüße ihn freundlich!
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_575.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)