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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)


gestoßen – der Mann konnte es mit einem Griffe darnach fest gefaßt haben. Wilderich zog es heraus und betrachtete es; dann legte er es ruhig vor seinen Gesellschafter auf den Tisch.

„Ihr führt da eine stramme Klinge!“ sagte er, ihn fest ansehend.

„Mein Gott, ja – ohne die wag’ ich mich schon gar nicht mehr hinaus,“ sagte der Mann, „man wird so schreckhaft in solchen Zeiten … man denkt immer, es könnt’ Einem was zustoßen … und wenn man dann so gar nichts hat, sich zu verdefendiren … gegen Marodeurs und böse Menschen, die sich einen Spaß daraus machen, Einem das Lebenslicht auszublasen … dann …“

„Ihr haltet mich auch wohl für einen Marodeur?“ fragte Wilderich.

Der Mann schüttelte den Kopf.

„Gott behüte!“ sagte er. „Die Eurigen, auch die Marodeurs, sind längst alle zum Spessart hinaus … die Oesterreicher sind da nun schon nachgerückt; Ihr seht mir eher aus wie Einer, der mit einer Botschaft, einem Brief oder dergleichen abgeschickt ist – vielleicht von denen, die rechts ab in die Wetterau marschiren, an die in Hanau oder Frankfurt drüben? Ihr dient bei den leichten Reitern … das muß solche Botendienste thun.“

Wilderich hatte die Erfrischungen, die ihm der verschlafene Bursche gebracht, zu sich genommen und stand jetzt auf. Der gutmüthige Mann mit dem dreieckigen Hut auf dem Hinterkopf und den lächelnden Schweinsaugen machte ihm einen Eindruck, der ihn von der Fortsetzung des Gesprächs abhielt. Er fand sich nicht veranlaßt, den Irrthum desselben, der ihn wegen seiner Uniform für einen Franzosen hielt, aufzuklären, und wandelte schweigend in der Gaststube auf und ab.

Der „Gaishofstoffel“ folgte ihm dabei mit den Augen ohne einen Versuch zu machen, das Gespräch wieder aufzunehmen. Er trank in raschen kleinen Schlucken ein Glas Bier nach dem andern. Sein großes Messer hatte er still wieder eingesteckt.

Endlich ertrug Wilderich die erzwungene Rast nicht mehr. Er hatte es von den Thürmen der Stadt schlagen hören – eine Viertelstunde nach der andern … anderthalb Stunden waren vergangen … er vermochte es nicht über sich, seinem Pferde eine längere Ruhe zu gönnen, und ging, um im Stalle nach dem Thiere zu sehen. Es hatte zum guten Glück, nachdem es von der ersten Ermüdung verschnauft, sich gierig über sein Futter hergemacht; Wilderich ließ ihm nachschütten, wartete im Stalle noch eine Viertelstunde, bis es seinen Hafer verzehrt hatte und getränkt worden, und ließ es dann herausziehen.

Es war zwei Uhr Morgens, als er aus dem Wirthshause fortritt. An den erleuchteten Fenstern der Gaststube vorüberreitend sah er, daß diese jetzt auch vom „Gaishofstoffel“ verlassen war … der Bursche löschte drinnen eben die Lichter aus.

Wilderich ritt dem Sandthore zu durch die schweigenden Gassen, die vor Kurzem noch Zeugen so wüsten Tumults gewesen, denn am Tage vorher war bereits eine österreichische Truppe mit einem starken Haufen Spessartbauern hinter den fliehenden Franzosen in fortwährendem Fechten, Schießen und Verfolgen in die Stadt eingebrochen – die Franzosen waren weiter geflohen, die Oesterreicher und die Bauern ihnen nach, rechtsab nach Gelnhausen zu.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Fürstengrab in Volkes Hut.
Mit Abbildung.

„Hans, es wär’ g’scheidter, Du wärst Kaiser, mit Deinem Bruder ist’s nichts.“ – So hat freilich nur ein einzelner Mann gesprochen, und man weiß nicht einmal, in welchem der österreichischen Alpenländer diese Rede gethan worden ist, sie hat aber den besondern Werth, daß Jeder sie für die seine anerkannte, ob er auf gut Steirisch seinen „Herzog Hannes“ leben ließ, oder „unsern Hansel“ im treuen Tirol.

Erzherzog Johann von Oesterreich behauptete in der vormärzlichen Zeit den Ruf wahrster Volksthümlichkeit, und zwar nicht blos in den Alpen, nicht blos im Kaiserstaate, sondern in ganz Deutschland. Die Stimmen, welche ihm einen Theil der Schuld aufgewälzt hatten, daß im Jahre Neun das durch ihn zum Aufstand aufgestachelte Tirol beim Friedensschluß völlig aufgegeben und die Führer schutzlos verlassen wurden, – diese Stimmen waren allmählich verstummt, man war zu der Einsicht gekommen, daß Johann wie sein Bruder Karl immer nur in Zeiten höchster Staatsgefahr vom Hofe gerufen wurden, daß man sie aber bei Seite schob, sobald sie nur irgend entbehrlich schienen. Man setzte offenbar die Popularität Johann’s gern möglichster Abnutzung aus, indem man ihn nie in die Lage versetzte, Verheißungen, die er auf Betrieb der Regierung hatte ankündigen müssen, nachher auch in Erfüllung zu bringen.

Für das einfache Volksverständniß war es schwer zu fassen, daß Kaiser Franz seine jüngeren Brüder so unwürdig behandeln lassen könne; es mußten viele Jahre bitterer Erfahrung vorüber gehen, um hinter der scheinbaren, nur im Dialect der Umgangssprache bestehenden Gemüthlichkeit dieses Kaisers das Muster despotischer Selbstvergötterung zu erkennen, in dessen Kopf „populär“ und „revolutionär“ ein Begriff, und dem ein Metternich ein Mann ganz nach dem Herzen war. Wie recht hatte das Volksgefühl mit seinem Wunsch: „Hans, es wär’ g’scheidter, Du wärst Kaiser!“ –

Auch wer im Zorn des Jahres Neun es nicht glaubte, daß der Johann heiße Thränen vergossen „als die blutigen Jacken der armen Tiroler Buben und Mannen den Inn hinab in die Donau schwammen“ – wer dem Johann den Handschlag von 1805 mit dem Gruß: „Auf Wiedersehen in besserer Zeit!“ nicht vergaß, den er dem Sandwirth Hofer beim Abschied von Innsbruck gab, als dieses eine bairische Hauptstadt werden sollte, – weil der Erzherzog selbst mit gebundenen Händen die gebundenen Hände Hofer’s nicht befreite, als dieser über das Wintereis von 1810 nach Mantua zum Tode geführt wurde; – wer das Joppen- und Stutzerltragen des Prinzen für eine Komödianterei hielt, um mit dem Volke beliebig zu spielen: – der war curirt von all’ diesem Verdacht, als Franz und Metternich es angezeigt fanden, den Erzherzog ihre Macht und ihren Haß spüren zu lassen.

Eine öffentliche Strafe für seine Popularität erhielt Johann schon in dem großen deutschen Erhebungsjahr 1813. Als im ganzen deutschen Norden das Volk sich erhob, wollte Johann auch den Süden in gleicher Weise und namentlich in den Alpen erweckt wissen. „Volk!“ und „Deutsch!“ – die Frechheit, Beides im kaiserlichen Staate zu einer officiellen Bedeutung erheben zu wollen, büßte er schwer und noch schwerer die patriotischen Männer, welche gegen Napoleon den Volkskrieg in den Alpen leiten wollten. Sie Alle wurden des hochverrätherischen Plans angeklagt, für Johann auf Kosten des Kaiserstaats ein souveränes Königreich Rhätien errichten zu wollen. Da füllten sich viele Gefängnisse mit Unschuldigen und Erzherzog Johann durfte für längere Zeit Tirol nicht wieder betreten. So ward „die deutsche Erhebung“ von Franz und Metternich in Oesterreich gefeiert! Die Verfolgungen von dieser Seite waren in jener Zeit allein schon geeignet, den Erzherzog zu einem volksbeliebten Manne zu machen, denn wen Metternich haßte, der konnte kein Feind des Volkes sein.

In der traurigen Zeit zwischen den berüchtigten Congressen von Neunzehn und dem Sturmjahr von Achtundvierzig gab es im Gebiet des deutschen Bundes nur drei populäre Fürsten: Karl August in Weimar, König Max in Baiern und Johann von Oesterreich. Von diesen hatte Johann für seine Volksthümlichkeit den schwersten Stand unter Seinesgleichen und vor Allem am Kaiserhof, in dessen Schutzwall von Exclusivität er bekanntlich drei große Löcher stieß: das erste, als er gegen alle fürstliche Regel eine schöne Bürgerliche nicht zu seiner Maitresse, sondern zu seiner Frau machte; – das zweite, als er bei den Septemberfesten von 1842 mit dem Preußenkönig am Rhein in die alte Demagogie verfiel, den Spruch auszubringen: „Kein Oesterreich, kein Preußen, sondern ein einiges Deutschland!“ – das dritte, als er seine kaiserliche Abstammung soweit vergaß, bei einer Jahresversammlung der deutschen Land- und Forstwirthe den leibhaftigen Präsidenten abzugeben.

Johann’s Gemahlin hat die Wiener Kaiserburg unter Franz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_583.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)