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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

No. 38.   1869.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich bis 2 Bogen.0 Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Verlassen und Verloren.

Historische Erzählung aus dem Spessart.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Eine kühle Nachtluft wehte draußen vom Main her unsern einsamen nächtlichen Reiter an. Er knöpfte seine Uniform dicht zu und trieb sein Pferd zu raschem Schritte an – der Weg war zu schlecht, die Dunkelheit zu groß, als daß es anders als im Schritt hätte vorankommen können – es ließen sich kaum die Gegenstände zur Rechten und Linken des Weges unterscheiden, da der Himmel mit Wolken bedeckt war und nur im Süden ein breiter, kalter Streifen am Horizont dämmerte. Wilderich konnte kaum so viel von dem Wege vor ihm sehen, um sein Pferd um die schlimmsten ausgefahrenen Wegstellen herumführen zu können.

Doch hatte er ein paar Mal den Eindruck, als ob er den Weg nicht allein mache. Sich umblickend hatte er etwas wie einen gleitenden Schatten bemerkt, der sich im Dunkel einer Reihe Weiden, die auf einem Anger zur Seite des Weges standen, fortbewegte – er hielt an, um zu sehen, ob das dunkle Etwas aus dem Schatten der Weiden, da wo diese aufhörten auf die freie Fläche herauskommen würde, aber er mußte sich getäuscht haben, es erschien nichts. Zehn Minuten weiter, den Bergen sich nähernd, lief der Weg durch ein Tannicht; in den schlanken Wipfeln und Aesten der noch jungen Bäume pfiff wie mit leisen Klagetönen und langgezogenem Aechzen der Nachtwind … ein unheimliches Lied, als ob die Nacht den Gefallenen den Todtensang halte … aber es war Wilderich auch, als ob unter den Bäumen Schritte von Zeit zu Zeit dürres Reisig zerträten … es knisterte, als ob ein Wild scheu durch den Tann bräche.

Ein Wild – das konnte es ja auch sein – obwohl es seltsam gewesen wäre, wenn ein Wild nach all’ dem Lärm und Schießen der Menschenjagd sich schon jetzt wieder in diese Wegschluchten des beginnenden Waldgebirgs gewagt hätte!

Er zog eines der Pistolen aus seiner Satteltasche hervor und lockerte den Säbel, der von Zeit zu Zeit klirrend an seine Sporen schlug, in der Scheide.

Das Geräusch aber erstarb; Wilderich begann an andere Dinge zu denken, an die Erlebnisse, die so mächtig seine Gedanken gefangen hielten; er berechnete die Zeit, die er zu seiner Reise bedurfte, er dachte über die Möglichkeit nach, sich ein anderes Pferd zu verschaffen, wenn das seine den Dienst in völliger Erschöpfung versagte – so war er an eine Stelle des Weges gekommen, wo er sich zwischen zwei Ufern befand, die, oben mit Bäumen bestanden, über seinen Pfad unten tiefe Schatten völliger Finsterniß legten. Er warf seinem Thiere den Zügel auf den Nacken und ließ es seinen Weg sich selber suchen, was es, von Zeit zu Zeit gebückten Halses den Boden mit seinen Nüstern anschnaubend, that.

Plötzlich stand es still, stierte vorgestreckten Halses in die Dunkelheit hinein und wieherte wie in Angst und Schrecken laut auf – gegen Wilderich’s Schenkeldruck in seinen keuchenden Flanken sträubte es sich mit einem heftigen Rückwärtsprallen.

Wilderich schimmerte etwas Helles, ein Gegenstand etwa von Menschenlänge entgegen, das quer auf seinem Wege lag … aber er sah es nur mit einem halben, einem Viertelsblick – im nächsten Augenblick fuhr von dem hohen Ufer her ein anderer Gegenstand, eine wie rasend sich auf ihn werfende Gestalt im Sprunge herab, saß auf der Kruppe seines Pferdes, umklammerte seine linke Schulter und vor den Augen des überraschten Reiters blitzte etwas wie eine Klinge. …

Die Klinge war zum Stoß gezückte aber sie konnte den Stoß nicht ausführen in demselben Augenblick, in welchem das Pferd die neue Last auf sich niederkommen gefühlt, hatte es sich steilrecht gebäumt, und statt eines Stoßes in die Seite fühlte Wilderich nur die schwere Faust sich krampfhafter in seine Schulter krallen, um sich festzuhalten.

Er selbst hatte durch die Bewegung des Pferdes sich irren lassen in seinem blitzschnellen Griff nach dem Pistol – er faßte es am Lauf und führte mit dem Kolben einen rasenden Schlag um sich – der Schlag traf mit einem lauten Krach; die Faust an seiner Schulter ließ los – rechts von Wilderich fiel das Messer hin und hinterwärts glitt die Gestalt von der Kruppe des Pferdes nieder – mit einem Aufschreie einem Stöhnen fiel sie zu Boden … plump und schwer … Wilderich athmete ein paar Mal aus tiefster Brust auf; er hatte Mühe sich zu fassen und seine Gedanken so weit zu sammeln, um sich Rechenschaft darüber zu geben, was in dem kurzen Augenblick Alles geschehen – dann glitt er aus dem Sattel zur Erde nieder, beugte sich über den hinter dem schnaubenden Pferde liegenden dunklen Körper, der mit den Armen und Beinen Zuckungen machte, röchelte, dann unbeweglich dalag … neben ihm, einen Schritt weiter, lag ein dreieckiger Hut … so dunkel es war, Wilderich glaubte diese starke untersetzte Gestalt zu erkennen … trotz der schwarzen Fluth, die über das breite Gesicht strömte … der schwarzen Fluth, über deren Toben in seinen Schläfen der Mann vor so kurzer Zeit noch geklagt … es war der pockennarbige Mann aus dem Wirthshause zu Aschaffenburg, der „Gaishof-Stoffel“ – der „Franzosenjäger“,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 593. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_593.jpg&oldid=- (Version vom 19.3.2020)