Seite:Die Gartenlaube (1869) 594.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

dem ein schicksalschwerer Irrthum hier den Hieb einer deutschen Faust zugezogen, einen Hieb, der ihm an der Schläfe den Schädel gespaltet!

So viel war gewiß, der Mann athmete nicht mehr, er rührte sich nicht mehr, er war todt.

Wilderich blickte eine Weile starr auf ihn nieder – dann ermannte er sich – er machte ein paar Schritte vorwärts, beugte sich dann noch einmal über den helleren Gegenstand, der vor seinem Pferde quer über den Weg lag … es war eine geplünderte Leiche, gewiß die eines Franzosen … der Gaishof-Stoffel mußte, als das Pferd davor scheute und stehen blieb, in der tiefen Wegschlucht, grade den Augenblick gekommen geglaubt haben, um sich auf den vermeintlichen Feind zu stürzen, dem er aus dem Wirthshause bis hierher gefolgt war, um an dem einsamen Reiter einen Act seiner Wiedervergeltungswuth mehr zu üben! –

Wilderich konnte nichts thun, als das Grausen von sich abschütteln, das ihn zwischen den zwei Leichen, bei denen er in dunkler Nacht so allein dastand, und deren eine von seiner Hand gefällt war, gefaßt hatte. Wären auch noch Zeichen des Lebens in dem von ihm Erschlagenen gewesen – er war außer Stande ihm beizuspringen … er beschränkte sich deshalb darauf, den Körper bei Seite zu ziehen, ihn mit der Brust aufrecht gegen das hohe Wegufer zu lehnen … dann nahm er sein Pferd am Zügel, führte es an der andern Leiche vorüber und sprang jenseits derselben wieder in den Sattel, um dem Schauplatz der grauenhaften Begegnung so schnell wie möglich zu entkommen.

Je weiter Wilderich kam, desto häufiger wurden die Spuren der in diesen Thälern, durch die ihn sein Weg führte, stattgefundenen Kämpfe. Vor den Leichen scheute sein Pferd bald nicht mehr zurück, es bog nur schnuppernd und schnaufend zur Seite aus; zuweilen stieß es mit den Hufen klirrend an weggeworfene Waffen, oder bog vor abgespannten, stehen gebliebenen Fuhrwerken aus. Auf Truppen stieß er nicht mehr; der Paß, den ihm Sztarrai gegeben, war überflüssig, die Hauptstärke der Oesterreicher und mit ihnen der bewaffneten Bauern verfolgte die Franzosen auf den Straßen über Hamelburg und Brückenau nach der Lahn hin; der Erzherzog Karl, der auf Frankfurt marschirt war. um es zu occupiren und die Besatzung von Mainz, das seine Siege von der französischen Umschließung befreien mußten, an sich zu ziehen, bivouakirte mit seinen Truppen auf den Straßen, die rechts von Wilderich’s Wege am Mainufer entlang liefen, und in der Umgegend von Aschaffenburg, durch das Wilderich, wie wir sahen, ohne Aufenthalt gekommen war. – –

Es war am Nachmittage, als Wilderich an seinem Ziele, seinem einsamen Forsthause, ankam. Schon als er bei einer Wendung der Mühlenschlucht das Haus erblickte, sah er sich über eine Sorge, welche er in sich getragen, beruhigt. Er fürchtete, daß die Gräuelscenen des Kampfes und der Verfolgung, welche an den vorigen Tagen hier stattgefunden haben müßten, die alte Margarethe mit dem Knaben auf und davon getrieben haben könnten, daß sie sich in einer noch einsamer liegenden Gegend des Waldes ein Asyl gesucht und darin verborgen habe – zum guten Glück sah er sie auf der Treppe vor dem Hause sitzen, den Knaben zwischen ihren Knieen – wie sie immer dasaß, wenn Wilderich Abends heimkam – heute nur nicht beschäftigt wie immer, denn ihr Spinnrad stand nicht neben ihr, sie hatte die Hände gefaltet auf der Schulter des Knaben liegen und sah nachdenklich zu Boden.

Leopold schrie auf, als er den Reiter erblickte und Wilderich erkannte – er stürzte ihm entgegen mit dem lauten Freudenausruf:

„Bruder Wilderich! Da bist Du!“

„Da bin ich, mein Junge … Gott sei gedankt, daß Du zur Stelle bist!“ antwortete Wilderich aus dem Sattel gleitend.

„Heb’ mich auf Dein Pferd, Bruder Wilderich,“ sagte der Kleine, den Steigbügel erfassend.

„Nicht gleich – Du wirst schon hinaufkommen, mein Kind, und länger als Dir lieb sein wird!“ erwiderte Wilderich und gab der alten Margarethe, die dem Knaben nachgeeilt kam die Hand.

„Wie geht’s, Margareth – Ihr lebt also noch und seid nicht gestorben vor Schrecken?“

„Vor Schrecken nicht,“ antwortete die Alte, „aber beinahe aus Angst, daß es Euch an’s Leben gegangen, daß Ihr unter irgend einer Buche und Tanne im Weggraben lägt, und daß ich nun dasäße mit dem verlassenen Jungen da …“

„Für den Jungen ist gesorgt, Muhme Margareth,“ erwiderte Wilderich, „er wird Dir von nun an nicht die geringste Sorge mehr machen!“

„Das Kind … der Leopold?“ rief Margarethe erschrocken aus.

„Der Leopold … ich komme, ihn seinen Eltern zu bringen.“

„Ah … Ihr scherzt wohl … Ihr werdet das Kind nicht fortbringen wollen … das arme Kind …“

„Es ist nicht arm, Margareth – seine Eltern …“

„Seine Eltern haben es verlassen,“ fiel sie hitzig ein, „nun gehört das Kind uns, und Ihr sollt es nicht fortbringen … ich laß’ es nicht, was fingen wir an ohne das Kind in der todtenstillen Försterei!“

„Hast Du nicht oft genug geseufzt über die Sorge um das Kind, Margarethe?“ antwortete Wilderich, indem er bewegt den Knaben an sich zog. „Und glaubst Du, es würde mir leicht, mich von meinem kleinen Bruder zu trennen, dem lieben armen Burschen?“

Er hob das Kind in seine Arme empor und drückte es gerührt an sich.

„Aber so erzählt mir doch, was Ihr erlebt habt, wo Ihr gewesen, was Ihr vorhabt mit dem Leopold, wohin …“

„Das Alles wollen wir ruhig später durchsprechen, alte Margarethe, für jetzt ist nicht Zeit dazu. Ich gehe das Pferd in den Stall zu ziehen und mich umzukleiden. Dann geh’ ich zum Müller hinüber … er lebt doch noch, der Wölfle? … um zu sehen, ob er mir ein andres frisches Pferd verschaffen kann – unterdeß sorgst Du für ein Abendessen für den Leopold und mich und kleidest mir das Kind warm und vorsorglich für die Reise an.“ …

„Heilige Muttergottes, Ihr wollt doch nicht sogleich und durch die Nacht …“

„Sogleich und durch die Nacht, sobald ich ein andres Pferd habe.“ …

Wilderich entzog sich den weiteren Ausrufungen der alten Margarethe, indem er sein müdes Roß um das Haus herum zum Stalle führte. Dann ging er, seine Franzosen-Montur abzuwerfen und seine beste Förster-Uniform anzuziehen, den Hirschfänger anzuschnallen und die alte Büchse überzuwerfen, die ihm geblieben, nachdem er seine beste und sicherste Waffe damals, als er sich im Walde in einen französischen Chasseur verwandelt hatte, zurücklassen müssen, und endlich eilte er zum Müller drüben.

Der Müller war noch nicht heimgekehrt; die Mühlräder standen still, und ebenso still war es im Hause – nur die Frauen waren da, des Müllers Weib und die Schwiegermutter mit den Kindern – sie bestürmten Wilderich mit Fragen nach dem Mann, der noch mit den Andern auf der Franzosenjagd war, und nach allen den Andern aus der Nachbarschaft – Wilderich hatte Mühe, ihnen begreiflich zu machen, wie wenig er davon wisse und daß er nur gekommen des Müllers Rath zu verlangen, wie er zu einem Pferde komme. Darin konnten ihm die Frauen auch ohne den Müller helfen, sie wußten, daß drei gute Beutepferde, welche die Bauern sich, wenn sie zurückgekommen, theilen wollten, auf einem nicht fernen Hofe eingestallt seien – Wilderich hatte nur eine Viertelstunde zu gehen, um ihn zu erreichen. – Trotz seiner Ermüdung trat er sofort den Weg an, das Gehen war ihm nach dem langen Reiten eine Wohlthat – auf dem Hofe fand er ebenfalls nur Frauen und den alten halbblinden Sauhirten, auf dessen Protestationen er nicht achtete – er nahm das beste der drei Pferde und führte es am Zügel mit sich.

Als er heimkam, hatte die alte Margarethe für Alles gesorgt, ihre Vorräthe waren zwar arg von der Einquartierung mitgenommen, aber sie hatte ja die verschüchtert in den Wald gelaufenen Hühner wieder zusammengebracht und ihre Ziegen hatten ebenfalls die Katastrophe überlebt – Wilderich konnte erquickt und gestärkt beim Dunkelwerden sein frisches Roß besteigen, den in ein warmes Umschlagetuch Margarethens gehüllten Knaben vor sich auf den Sattel nehmen und dann, während die Alte ihre bitteren Thränen über den Abschied von ihrem oft gescholtenen „Prinzen“ weinte, davonreiten.




14.

Es war am anderen Abend, als er Frankfurt erreichte; in Hanau war er jetzt auf kaiserliche Truppen gestoßen; er hörte dort, daß sie am folgenden Tage den Marsch auf Frankfurt antreten sollten, während von der anderen Seite, von Höchst her, das bereits

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_594.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)