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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

besetzt war, ein anderes Corps zur Vertreibung der Franzosen aus der alten Kaiserstadt anrücken würde. Um so eiliger suchte Wilderich vorwärts zu kommen, in der Angst, daß der französische Commandant, dem klar werden mußte, wie kurz seines Bleibens in der von ihm tyrannisirten Stadt nur noch sein könne, desto grausamer und rücksichtsloser über das Schicksal des armen gefangenen Schultheißen entschieden und das Aergste vollführt habe.

An dem Allerheiligenthor – Frankfurt hatte damals noch von seinen alten Befestigungen einen bastionirten Wall mit zerfallener Brustwehr und einem breiten Wassergraben und seine sämmtlichen Thore – am Allerheiligenthor wurde er von der französischen Wache angehalten. Er mußte Auskunft über sich geben – als man Schwierigkeiten machte, ihn durchzulassen, verlangte er lebhaft zum Capitain Lesaillier geführt zu werden … „zum General Duvignot, zum Commandanten …“ rief er endlich aus, als er sah, daß die Mannschaft auf der Wache den Capitain Lesaillier nicht kannte.

„Das kann geschehen,“ versetzte der wachhabende Officier, rief einen Unterofficier vor und befahl diesem, ihn vor den Commandanten zu führen.

Der Unterofficier winkte ihm und schritt neben seinem Pferde her, der Zeil zu.

Wilderich sagte, als sie die erste Straße hinter sich hatten: „Mein Freund, Sie begreifen, daß ich nicht mit dem Pferde und mit diesem vor Ermüdung halb todten Kinde vor dem Commandanten erscheinen kann.“

„Das ist wahr,“ antwortete der Mann; „wir müssen Beide unterbringen.“

„Ist es Ihnen Eins, in welchem Wirthshause?“

„Wenn es nicht vom Wege abliegt – sicherlich.“

„So kommen Sie!“

Wilderich lenkte sein Pferd dem nahen „Grauen Falken“ zu. Als er auf den Hof ritt, fand er die Pulverwagen abgefahren und seinen Sachsenhäuser an die Stallthüre gelehnt, mit Behagen aus einer kurzen Pfeife rauchend und den Genuß nachholend, den er sich während der Anwesenheit der bedrohlichen Fracht auf dem Hof hatte versagen müssen.

„Wie, seid Ihr das?“ sagte der Mann, als er den Reiter erkannt hatte. „Zum Teufel, Ihr steckt ja täglich in einer neuen Uniform … diese da steht Euch besser!“

Wilderich ließ den Knaben, der ermattet und schlaftrunken in seinen Armen hing, dem Sachsenhäuser in die Hände gleiten und sprang dann selbst zur Erde.

„Da nehmt – nehmt mir auch das Pferd ab,“ rief er aus … „und sagt mir – ist Nichts geschehen in der Stadt, ist Niemand gerichtet, erschossen …?“

„Erschossen … nun freilich!“ rief der Sachsenhäuser. „Ohne Blut thun’s ja … Gott, steh’ mir bei! Euer Franzose da wird doch kein Deutsch verstehn?“

„Sprecht, sprecht, wer ist erschossen – der Schultheiß …?“

„Der Vollrath? … bewahre … der sitzt auf dem Eschenheimer Thurm, aber erschossen ist er nicht …“

„Gott sei gedankt!“ rief Wilderich aus tiefster Brust.

„Nur die Bauern sind heut’ erschossen, die armen Teufel … drei Bauern, die sie sich eingefangen haben … das war heut’ Morgen … gestern ist’s zwei Klingenberger Bauern, zwei ganz unschuldigen Burschen, nicht besser gegangen …“

„Nun, sorgt für das Kind und das Pferd,“ fiel Wilderich ihm in die Rede. „Bringt das Kind auf Euer Bett in Eurer Kammer – laßt es keinen Augenblick aus den Augen – hört Ihr – Ihr sollt reich belohnt werden – reicher als Ihr denkt, wollt Ihr?“

„Weshalb nicht? – Es soll schon für das Jüngelchen gesorgt werden – wenn Ihr nicht zurückkommt, ihn mir vom Halse zu schaffen, nehm’ ich als Trinkgeld Euren Gaul.“

„Das mögt Ihr!“ erwiderte Wilderich, indem er hastig den Knaben an sich drückte und ihn zu beschwichtigen suchte, da er plötzlich in lautes Weinen ausgebrochen war, als er sah, daß Wilderich ihn allein bei dem fremden Mann lassen wollte.

„Sei ruhig, sei ruhig, mein Kind,“ sagte er, „ich komme zurück, sogleich, sogleich – Du sollst schlafen, und wenn Du wieder erwachst, steh’ ich an Deinem Bettchen …“

„Margareth, Mutter Margareth – ich will zu Mutter Margareth!“ schrie der Kleine wie in Verzweiflung auf, als ob er, empört darüber, daß Wilderich ihn verlassen wolle, nur noch auf die alte Margareth in der Welt zähle.

„Na, so komm’, Du Zappelfisch, wir wollen sehen, ob die Margareth oben in meiner Kammer ist,“ sagte der Sachsenhäuser, während Wilderich sich hastig wendete und mit seinem Franzosen davon ging.

Es war stiller auf den Straßen Frankfurts als das erste Mal, da Wilderich in die Stadt eingeritten – die Verwundeten, die Marodeurs, die in Auflösung gerathenen Truppen waren fort und dem Heere in nördlicher Richtung nachgesandt – man sah nur Mannschaften von in Ordnung gehaltenen Corps – wenn auch eine starke Patrouille, welche Wilderich begegnete, in der Haltung und in ihrem ganzen Aufzuge verrieth, daß sie im Felde gewesen und von starken Strapazen heruntergebracht war. Als Wilderich im Hause des Schultheißen angekommen, fand er den Flur nicht mehr von Menschen erfüllt wie das erste Mal – nur einige Ordonnanzen waren da, die jetzt Raum genug gefunden, einen Tisch aufzustellen und mit jenen republikanischen Karten zu spielen, auf denen der König durch „La France“ und der „Valet“ durch die Freiheitsgöttin ersetzt war.

Ein Adjutant trat eben aus dem Nebenzimmer, in welchem Wilderich die Unterredung mit Lesaillier gehabt, und der Unterofficier rapportirte; der Adjutant sandte den letzteren fort, zu seiner Wache zurück, und winkte Wilderich, ihn zum Commandanten zu begleiten. Wilderich folgte ihm die Treppe hinauf und trat hinter dem Adjutanten in das Zimmer Duvignot’s; er sah diesen an seinem Tisch sitzend, den Rücken der Thür zukehrend, den Kopf auf den linken Arm gestützt, während die rechte Hand auf einem vor ihm liegenden Papier Figuren kritzelte.

„Citoyen General!“ meldete der Adjutant. „Die Wache am Allerheiligenthor schickt einen Mann, der sich nicht ausweisen kann, und darauf bestanden hat, vor den Commandanten …“

Duvignot hatte unterdeß langsam den Kopf gehoben und gewendet – im Augenblick, wo er Wilderich’s ansichtig wurde, verzog sich seine Stirn in Falten, er schloß halb die Augen, wie um schärfer zu sehen und ihn zu erkennen – dann sprang er plötzlich auf, mit dem Ausruf:

„Was – Sie sind’s? Diesmal in einer anderen Maske! Zum Teufel, was bringt Sie zurück – in die Höhle des Löwen, Unglücksmensch!“ setzte er mit aufflammendem Zorn hinzu, indem er Wilderich einen Schritt entgegentrat.

„Ich gab mein Ehrenwort, daß ich zurückkommen würde … und hier bin ich!“

„Unglaublich! Sind Sie so dumm, daß Sie mir in die Hände rennen, sich von mir in die Hölle schicken zu lassen?“

„Ich bin klug genug zu wissen, daß Sie mir kein Haar krümmen werden, General!“ antwortete Wilderich ruhig.

„Wir werden sehen!“

„Es war,“ fuhr Wilderich fort, „freilich nicht mein Wille, just zu Ihnen zu kommen – man hat mich vor Sie geführt – nun bitte ich Sie, mich zu der Frau dieses Hauses zu führen!“

„Ich … Sie?“

„Ich bitte darum … ich habe mein Lesaillier gegebenes Ehrenwort auf eine Weise gehalten, die Ihnen beweisen muß, daß man auf mein Wort bauen kann!“

„Das ist wahr!“

„Nun wohl, ich gebe es Ihnen noch einmal, daß ich die Frau dieses Hauses sprechen muß, um ihr das Wichtigste mitzutheilen, was ihr ein Mensch auf Erden mittheilen kann …“

„Und was ist das?“

„Ich werde es ihr sagen!“

„Heraus mit der Sprache… ich will wissen, was …“

„Ich habe gesprochen, was ich Ihnen zu sagen hatte … führen Sie mich zu ihr!“

Wilderich’s ruhige Entschlossenheit imponirte Duvignot. Er warf einen zornig forschenden Blick auf ihn, dann wandte er sich zu gehen.

„Kommen Sie!“ sagte er dabei.

Er führte Wilderich über den Corridor in das Wohngemach Marcellinens; sie war nicht darin, aber sie trat, als sie die Schritte der Männer hörte, aus der halbgeöffneten Thür des Nebenzimmers.

„Der Mensch hier hat Ihnen eine Mittheilung zu machen, Madame, wie er vorgiebt,“ sagte der General.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 595. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_595.jpg&oldid=- (Version vom 2.4.2020)