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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Freude, wie die tausend himmelblauen Krönchen geöffnet sind. Aber alle diese Herrlichkeit ist hin zur Mittagszeit und die nun geschlossenen Blümchen welken ohne Wiederkehr. Dasselbe gilt von allen den prächtigen Leinkräutern, die mit großen blauen, violetten, rothen Blumen als Zierpflanzen in unsern Gärten prangen. Ein gleiches kurzlebiges Schönheitsloos haben die Lichtrosen, ja es giebt solche Tagblumen die nur wenige Stunden, aber mitten am Tage, die Augen aufschlagen. Aber sie wiederholen dieses kurze Wachen mehrere Tage hindurch. So die als Siebenschläfer bekannte doldenblüthige Vogelmilch, die in Wäldern und auf Wiesen im Frühling blüht; früh um elf Uhr etwa blühen die perlenweißen Blumensterne auf, um etwa schon um drei Uhr sich wieder zu schließen. Viele Eiskräuter öffnen sich nur in den sonnigsten Mittagsstunden, andere schließen sich, wie die prächtige Tigerlilie, vor dem intensiven Licht der höher steigenden Sonne schon am Vormittage wieder.

Ein allzu gesteigertes Maß von Wärme bewirkt übrigens das Einschlafen bei einer jeden Blume. So hatte ich eine halbgeöffnete Eiskrautblume in einem dunkeln dreißig Grad warmen Raume zum vollen Aufblühen gebracht; bei sechsunddreißig Grad begann die Blume sich alsbald wieder einzuziehen. Das erklärt, weshalb manche sehr reizbare Blumen schon unter der Mittagsstunde sich wieder schließen. Ihr ganzes Sensorium ist eben zu zart für die Macht der senkrechten Strahlen.

Daß Blumen am Tage blühen, nimmt uns nun allerdings nicht Wunder. Es ist uns ja so selbstverständlich, daß mit dem Sonnenlichte die Blumenherrlichkeit zusammengehe. Und wenn wir alle Erscheinungen des Erdenlebens aus einem Gesetze begreifen, so finden wir es nur ganz natürlich, daß die Blumen sensitiv zur Nacht sich schließen. Entgegen den Tagblumen giebt es nun aber doch auch Nachtblumen, Aequinoctialblumen, welche den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tage machen. So das „nachtblühende Eiskraut“, dessen Blüthe fast eine Woche währt, aber immer erst Abends etwa um sieben Uhr sich öffnet und die ambrosische Nacht hindurch, bis die Morgensonne sie wieder schließt, ihre großen Blumen entfaltet hält.

Die meisten Nachtblumen aber sind nur von kurzer Dauer, eintägig oder richtiger einnächtig. Nach dem berauschten Blühen eine Sommernacht hindurch welken sie für immer hin. Das gilt zum Theil von der „Wunderblume“, der bekannten weißen, gelben, rothen oder geflammtem Jalappa mirabilis und manchen andern, die in der Nacht aufblühen und, von den Strahlen der Morgensonne getroffen, bald hinwelken. Es gilt aber im höchsten Maße von der hehren „Königin der Nacht“, deren große, schneeweiße Blumenkrone Abends sich öffnet und ihren Vanilleduft ausströmt. Nun prangt sie in stiller Majestät, eine Schönheit ohne Gleichen, umfangen von allem köstlichsten Geheimniß der Natur. In einem aus neunzig gelben Schuppen bestehenden Kelche legen sich dreißig Blumenblätter auseinander; in zwei innere Kreise geordnet hängen vierhundert Staubgefäße heraus. Und das Alles bricht leise auf aus einem dickem blätterlosen Stamme. der wie eine mathematische Säule emporsteigt.

Nur gezählt sind die Stunden der überirdischen nächtlichen Königin: die Mitternacht ist eben heraufgekommen und schon beginnt sie zu welken und der Morgen sieht von ihr nur einem eingefallenen Blumenblätterklumpen.

Diese feierlichste Schönheit der Pflanzenwelt stammt aus Jamaica, und wenn sie auch häufig in unseren Gewächshäusern gezogen wird, so kommt sie bei uns doch nur sehr selten zur Blüthe. Um so unvergeßlicher aber ist Jedem, der ihr Blühen einmal erlebte, der feierliche Eindruck, den er empfand in schwüler Sommernacht bei ihrem Aufblühen, dem leisen und immer reicheren Ausströmen köstlichen Duftes, mit dem sich bald das Zimmer erfüllt, und dem nach kurzer Weile eintretenden Hinschwinden all’ der kaum aufgegangenen Pracht und Herrlichkeit.

Die Nachtblumen erblühen aber nicht blos unter dem Hauche der Nacht. Aehnlich der Nachtigall, die von dem Dämmer, der in die laue Nacht übergeht, berauscht wird und dann am ergreifendsten singt, so strömen jene da ihre reichsten betäubendsten Düfte aus. Sie sind die Nachtigallen der Blumenwelt. „Düfte aber sind,“ wie H. Heine bemerkt, „die Gefühle der Blumen, und wie das Menschenherz in der Nacht, wo es sich einsam und unbelauscht glaubt, stärker fühlt, so scheinen auch die Blumen sinnig verschämt erst die einhüllende Dunkelheit zu erwarten, um sich gänzlich ihren Gefühlen hinzugeben und sie auszuhauchen in süßen Düften.“ Bekannterweise übt aber das Dunkel etwas von der Gewalt auch über die Tagblumen aus. Ganz anders wehen Abends die blühenden Fliedergebüsche ihren süßen Geruch uns zu, und ganz anders muthet Abends die Jasminlaube uns an, wo ihr narkotischer Geruch uns viel stärker berührt. Selbst gebrochen und in’s Zimmer gestellt nehmen die Blumen durch ihre zur Nachtzeit ausströmenden Arome und Narkosen noch Rache an der Jungfrau, welche sie brach, wenn dieselbe schlafergossen und machtlos ruht und den Geistern nicht entfliehen kann.

Die Beobachtung, daß verschiedene Blumen zu verschiedenen Tagstunden sich öffnen und schließen, brachte schon Linné auf die Idee einer Blumenuhr. Den ganzen Tag über blühen Blumen auf und schließen sich zu. Ein blühender Stundenzeiger wandelt so auf einem Beete, wo die bestimmten Arten zusammengestellt sind, an uns vorüber und noch bis tief in die Nacht hinein. Nur für die ersten Mittagsstunden fehlen solche Blumen. Praktisch ist die sinnige Entdeckung freilich nicht, und ganz genau geht diese Uhr auch nicht. Aber liebenswürdig ist sie mindestens. Der Naturforscher fragt nun allerdings nicht sowohl nach der Liebenswürdigkeit. Ihn interessirt ganz anders die Frage, wie es denn zugehe, daß die Blumen sich öffnen und schließen und wieder öffnen; wie es wiederum zugehe, daß das bei verschiedenen Arten zu so ganz verschiedener Zeit geschehe. Viel Mühe und Zeit ist von der Forschung auf eine klare Beantwortung dieser Frage verwandt; aber so ziemlich ist die Sache nun auch in’s Klare gebracht.

Eine naturnothwendige Erscheinung, ganz wie der Schlaf von Mensch und Thier, ist der Blumenschlaf, nur daß er auf anderen physikalischen Ursachen beruht. Und es ist auch gut, daß die Blumen sich zum nächtlichen Schlummer schließen. Die Zeit der Blüthe ist ja auch die Zeit der Befruchtung, und gegen alle Nässe und so auch gegen allen Thau der Nacht hat sich da die Blume zu wahren, damit der zarte Vorgang im Blütheninnern nicht beeinträchtigt werde. Glockenförmig hängen daher manche Blumen, andere sind durch Helm- oder Flügel- oder Schnauzen- oder Baldachinform ihrer Bildung gegen den Regen von oben und gegen den fallenden Thau geschützt.

Die unmittelbare Ursache, daß manche Blumen in Schlaf verfallen, liegt an ihnen selber, liegt in der allen Körpern mehr oder minder theilhaftigen Eigenschaft der Elasticität. Es ist die Pflanzenfaser elastisch, besonders die an den Gelenktheilen der zarten Blumenblätter. Die elastische Faser verkürzt sich bei kalter Temperatur und verlängert sich und streckt sich, wenn sie erwärmt wird. In der Wärme ist eben der Stoffwechsel reger, die Thätigkeit der vegetabilischen Zellen steigert sich, es strömt die Flüssigkeit rascher zu, weil sie rascher verdunstet, und so sind die Gelenktheile dann immer strotzend von Safte erfüllt. In diesem lebenskräftigen Zustande sind daher die Zellen elastisch gespannt, und es strecken sich die Laub- und Blumenblätter mutig auseinander – die Blumen erwachen. Bei minderer Lebensthätigkeit vermindert sich die Elasticität der Gelenkfasern, die Blättchen ziehen sich ein, falten sich zusammen – die Blumen sind eingeschlafen.

Aber die anregende Ursache kommt von außen. Man hat dabei an die Feuchtigkeit gedacht, welche der hereinbrechende Abend mit sich bringt. Doch in den Gewächshäusern, wo die Luft eine unveränderte Feuchtigkeit hat, falten und öffnen die Schlafblumen sich in gleicher Weise. Landpflanzen, die man unter Wasser gesetzt hatte, blieben durch das nasse Element unbeirrt: sie folgten genau nur dem Tageslichte. Und wenn immerhin viele Blumen, die sogenannten „meteorologischen“ (besonders die Ringel- oder Todtenblume) vor oder bei Regenwetter sich schließen, so daß man dieselben sogar als Wetterpropheten betrachten kann, so ist das auch eine ganz besondere Eigenthümlichkeit bestimmter Pflanzen. Mit dem periodischen Blumenschlaf hat das nichts zu thun.

So scheint denn einzig der Einfluß des Lichtes das Phänomen des Pflanzenschlafes erklären zu dürfen. Folgen doch die Blätter und Blumen der Sonne wunderbar, und manche Blattspitze beschreibt den Tag über einen Bogen von hundert Grad. Schon Decandolle hatte die gelungensten Versuche selbst mit künstlichem Licht gemacht und gezeigt, daß eine Anzahl Argand’scher Lampen zur Nachtzeit die Sinnpflanzen zu erwecken vermag. Und dasselbe ist vielfach auch an anderen Pflanzen constatirt. Ebenso läßt sich in kühlen Räumen das Einschlafen auch am Tage durch künstliche

Verdunkelung der Zimmer, in denen die Pflanzen stehen, hervorrufen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869). Leipzig: Ernst Keil, 1869, Seite 607. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1869)_607.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2022)