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verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Blätter und Blüthen.

Eine Begegnung. Es regnete in Strömen. – Im Amthause zu R…, einem schwäbischen Städtlein, hatte sich eine fröhliche Gesellschaft eingefunden, um den fünfzigsten Geburtstag des Amtmanns zu feiern.

Selbst aus der entfernteren Umgegend waren die Freunde gekommen, an dem Feste theilzunehmen.

In der großen Erkerstube des Erdgeschosses hatten sich die Gäste in verschiedenen Gruppen behaglich niedergelassen, Politik und Kinderpflege, philosophische Probleme, Küchenrecepte und Moden wurden besprochen; die Blüthen der neuesten Poesie und die chronique scandaleuse des Städtchens kamen dazwischen abwechselnd an die Reihe. – Während es nun drinnen so laut und lustig herging, waren noch zwei Fremde in die Hausflur getreten. Der Eine, welchen Mantel und Mütze als höheren Officier kennzeichneten, war ein stattlicher, wohlbeleibter Fünfziger; der Andere ein Mann von kaum mittlerer Größe und höchst unscheinbarem Aeußeren. Der aufgestülpte Kragen eines altmodischen Oberrockes verdeckte zur Hälfte sein Gesicht.

„Hundewetter das, wahrhaftig, selbst für einen alten Soldaten zu schlecht!“ brummte der Oberst, indem er seinen Mantel abnahm und sich Bart und Haare trocknete.

„Seid Ihr vom Hause?“ fuhr er dann, gegen seinen Gefährten gewendet, fort, der noch immer neben ihm stand und ihm schweigend zusah.

„Nein.“

„So könnt Ihr mir nicht sagen, ob der Amtsrichter zu sprechen ist?“

„Nein.“

Der Oberst hatte sich inzwischen vergeblich bemüht, die wassertriefenden Ueberschuhe von seinen Füßen loszumachen. „He, guter Freund,“ rief er endlich seinen schweigsamen Zuschauer an, „wollt Ihr nicht so gut sein, mir die Schuhe da auszuziehen?“

Der Angeredete stutzte einen Augenblick.

Ein drittes „Nein“ schien auf seinen Lippen zu schweben; dann aber bückte er sich, zog dem Obersten die Schuhe von den Füßen und wendete sich um, ohne von dem kurzen „Danke“ desselben Notiz zu nehmen.

„Sauertöpfischer Mensch,“ sprach der Oberst vor sich hin und schritt auf gut Glück der nächsten Thür zu.

Mit voller Herzlichkeit begrüßte der Amtmann den alten Freund und Kriegscameraden. Sie hatten einst, am 18. October, neben einander vor Leipzig gestanden und waren seitdem, wenn auch getrennt durch Zeit und Raum, warme Freunde geblieben. Ein abermaliges Klopfen zog alsbald die Blicke der Gesellschaft nach der Thür. Mit Befremden erkannte der Oberst in dem Eintretenden den „Sauertöpfigen“ von vorhin. Seine Ueberraschung stieg aber bis zum Schrecken, als plötzlich bei dessen Anblick Alt und Jung sich erhob und mit dem Rufe: „Uhland, Uhland!“ sich an ihn herandrängte.

„Uhland?“ wiederholte fast tonlos der Oberst, gegen den Amtmann gewendet.

„Gewiß, Oberst, mein alter Freund Uhland. – Aber weshalb erschreckt Dich das? Du siehst ja aus, Alterchen, als hättest Du eine Schlacht verloren!“

Der Oberst kratzte sich in den Haaren.

„Ist mir auch fast so zu Muthe,“ sagte er kleinlaut, und erzählte nun sein erstes Zusammentreffen mit dem Dichter. „Jetzt aber,“ fügte er hinzu, „da man doch einmal Geschehenes nicht ungeschehen machen kann, bleibt mir nichts übrig, als mich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.“

Entschlossen ging er auf den Dichter zu, ergriff seine beiden Hände, und indem er sie herzlich schüttelte, bat er:

„Hier stehe ich, Herr Professor, ein reuiger Sünder, dictiren Sie die Strafe.“

„Gut,“ erwiderte Uhland in seiner gewohnten trocknen Weise, aber lächelnd. „Ich pardonnire Sie! Sie können wenigstens nicht mehr behaupten, daß ich nicht werth wäre, Ihnen die Schuhriemen aufzulösen.“




Die Carolina 1848. Der Strafgesetzentwurf des Norddeutschen Bundes hat leider mit bewundernswerther Hartnäckigkeit auf der Beibehaltung der Todesstrafe bestanden, und zwar, „weil das Rechtsbewußtsein des Volkes die Abschaffung der Todesstrafe gegenwärtig noch nicht zulasse.“ Ohne mich indeß über dies in der Gartenlaube vom humanen Gesichtspunkt schon öfter und eingehender behandelte Thema weiter zu verbreiten, will ich nur eine wohlverbürgte Anekdote mittheilen, welche dazu beitragen kann, die Vorstellungen, welche sich Juristen bisweilen von dem Rechtsbewußtsein im Volke machen, als nicht selten irrthümliche darzulegen und zu zeigen, daß der im Volke lebende gesunde Menschenverstand den verknöcherten Rechtsanschauungen einer grausamen Justiz widerstrebt.

Im Oldenburgischen liegt eine bis vor Kurzem reichsunmittelbare Enclave, berühmt geworden durch den viele Jahre um sie geführten Erbschaftsstreit. Als Strafgesetzbuch galt dort noch in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts die Carolina, die peinliche Halsgerichtsordnung Kaiser Karl’s des Fünften. Diese setzt nun auf den Bruch der Urfehde als Strafe den Verlust der rechten Hand, mittelst welcher der Eid geleistet war. Ein harmloser Handwerksbursch, respective Bummler, betrat bettelnd die reichsunmittelbare Herrschaft nicht lange vor dem Jahre 1848. Er wurde dabei abgefaßt, zu einigen Tagen Gefängniß verurtheilt und ihm die Urfehdeerklärung abgefordert, sich innerhalb einer so und so langen Frist auf dem verpönten Gebiet nicht wieder betreffen zu lassen. Bruder Liederlich kam aber dessenungeachtet bald wieder, wurde abermals handfest gemacht und ihm wegen des Urfehdebruches die rechte Hand abgesprochen, welche ihm durch den Nachrichter, wie das Gesetz besagte, abgehauen werden sollte.

Der Instanzenzug jenes Diminutivländchens war folgender: die drei Richter hatten verschiedene Sitzungszimmer und tagten in jedem als eine besondere Instanz, ein Unding, welches man nicht für möglich halten sollte, wenn nicht gegenwärtig noch Augen- und Ohrenzeugen dieser classischen Rechtseinrichtung lebten. Unser armer Reisender also, dem die Wohlthat eines officiellen Rechtsbeistandes, wie üblich, zu Theil geworden, wurde in sämmtlichen Instanzen zu der erwähnten grausamen Verstümmelung durch Henkershand verurtheilt. Wie es nun jetzt auch in einzelnen Ländern, wir sagen Gottlob! geht, so war es damals in der reichsunmittelbaren Herrschaft: es war kein Henker da, und man war dort noch nicht auf den vor der Moral schwer zu rechtfertigenden Gedanken gekommen, sich, wie solches in Braunschweig z. B. behufs Vollstreckung der Todesstrafe vorgekommen ist, für Geld einen solchen von Auswärts kommen zu lassen. Der hohe Gerichtshof war demnach in Verlegenheit, wie das einmal gesprochene Urtheil zu vollstrecken sei. Nach längerer geheimer Berathung kam einer der alten Herren auf den Gedanken, dem langgedienten Gerichtspedellen und Gefängnißwärter die Sache officiell zu übertragen.

Der betreffende im Vorzimmer pflichtmäßig befindliche Kerkermeister, Muster eines Solchen an Originalität etwa nach Shakespeare’s Art, wurde vorcitirt und ihm der weise Beschluß seiner hohen Vorgesetzten mitgetheilt. Das Factotum der Executivgewalt stand ein Weilchen sinnend, blinzelte mit den grauen Augen über der feurigen Nase weg, kratzte sich hinter dem Ohr und brach endlich in die halb zweifelnd, halb warnend gesprochenen Worte aus: „Ja, mine Herren, schöll’n wi denn dat wol duhn dörben? Mi döcht, wi laaten dat sien.“ (Ja, meine Herren, sollten wir das wohl thun dürfen? Mir däucht, wir lassen das sein.) Ob dieser, wie wir dankbar anerkennen müssen, weisen Rede zog sich der Gerichtshof zu einer abermaligen Berathung zurück, deren Resultat war, der Cerberus des Gefängnisses – solle die Kerkerthür nicht so fest schließen, daß der Delinquent nothwendig darin bleiben müsse. Dieser verstand alsbald den ihm gegebenen Wink und hielt es für Schuldigkeit, den Herren Richtern keine weitern Verlegenheiten zu bereiten, indem er sich schleunigst über die nicht schwer zu erreichende Grenze entfernte.

Der Reichstag, von welchem wir wohl anzunehmen berechtigt sind, daß er das Rechtsbewußtsein des Volkes vertritt, wird hoffentlich im Sinne des humanen, reichsunmittelbaren Kerkermeisters den Rechtsanschauungen des neuen Strafgesetzentwurfes entgegen die Todesstrafe zu den übrigen längst verschwundenen grausamen Strafarten der Carolina gesellen. Oldenburg, jetzt Inhaber des Schauplatzes unserer Anekdote, ist darin mit rühmlichem Beispiel vorangegangen. L. S.     



Für die Hinterbliebenen der verunglückten Bergleute des Plauenschen Grundes

gingen ferner ein: aus Crimmitschau 2 Thlr.; N. N. zu N. 2 Thlr.; N. B. Pyritz 1 Thlr.; aus der Sparcasse eines Schülers H. A. 15 Ngr.; L. S. u. C. G. 5 Thlr. 14 Ngr. 5 Pf. (10 fl. ö. W.); von elf zukünftigen einjährigen Freiwilligen auf dem Bahnhofe zu Erfurt gesammelt 2 Thlr. 15 Ngr.; W. H. u. Th. C. in Teichwolframsdorf 6 Thlr.; Dr. Fischer in Schwelm 5 Thlr.: aus Goldap 1 Thlr.; Carl Weber, Lehrer am Conservatorium in Moskau 5 Thlr.; Reinertrag eines Concerts des Gesangvereins in Königsee in Th. 17 Thlr.; aus Schönbaum 4 Thlr.; mehrere siebenbürger Sachsen aus Mediasch 8 Thlr. 23 Ngr. 2. Pf. (16 fl. ö. W.); Sammlung in der Dorfschule zu Blankensee (Pommern) 2 Thlr.: Pf–n in Blankenburg in Th. 1 Thlr; St. H. in Mewe 1 Thlr.; A. A. v. M. in Düsseldorf 1 Thlr.; ein alter Abonnent in Ottersoos 17 Ngr (1 fl rh.); C. Fr. in Frankenberg 1 Thlr.; Friedel 2 Thlr. 25 Ngr. (5 fl. rh.); F. Hübner, Privatier in Prag 2 Thlr. 22 Ngr. 2 Pf. (5 fl. ö. W); Ertrag einer Production des Liederkranzes und milde Gaben mehrerer Menschenfreunde in Bamberg 134 Thlr.; die einjährigen Freiwilligen des k. bair. 14. Infant.-Reg. „Hartmann“ in Nürnberg 41 Thlr. 20 Ngr.; C. Hildebrand in Wernigerode, bei einer Hochzeit gesammelt 4 Thlr 18 Ngr.; Cantor Sommer in Schlichtingsheim (Posen) 2 Thlr. 20 Ngr.; gesammelt von A. L. in R. bei Z. 6 Thlr. 25 Ngr. 7 Pf.; gesammelt bei einer musik.-declamat. Abendunterhaltung in Herborn, durch Buchhändler Schellenberg 3 Thlr. lO Ngr.; Bruno Müller in Manchester 5 Thlr.; Kaufmann Theodor Schmidt in London 5 Thlr.; Louis Auler in Bensheim 11 Thlr. 12 Ngr. 2 Pf.; F. H. in N. 1 Thlr.; Reinertrag eines Concerts des Stolper Gesangvereins „Liederkranz“ in Rügenwaldemünde 30 Thlr.; S. Greiner in L. 2 Thlr.; Marie in Bamberg 17 Ngr. (1 fl. rh.); dritte Sammlung der Deutschen in Hâvre 91 Thlr. 7½ Ngr. (337 Fr. 50 C.); E. W. Reis. aus L. 1 Thlr.: M. M. P. Tschau 3 Thlr.; C. S. Heinrichswalde 1 Thlr. 5 Ngr.; aus Krummenweg 5 Thlr.; Fzka u. Fr. Sch. in Bamberg 7 Thlr.; vom Kegelclub des Casino in Lohr a. M. 12 Thlr.; Sammlung der Pfarrei Konkern (Pfalz) 2 Thlr. 15 Ngr.; von einem Bergmannssohn in Garding 1 Thlr.; C. P. in München 3 Thlr.; von einer kleinen Gesellschaft in der Post zu Schotten 2 Thlr. 25 Ngr. (5 fl. rh.); Beitrag der Arbeiter und Angestellten der Baumwollweberei Zöschlingsweiler 44 Thlr.; M. F. in Pöseldorf 1 Thlr.; eine Abonnentin in Dalwigksthal 10 Thlr.; aus Kunsdorf in Schlesien 1 Thlr.; ein Leser in Würzburg 1 Thlr.; J. W. 1 Thlr.; Frau Louise Horack in Wiener-Neustadt 1 Thlr. 2 Ngr. 9 Pf. (2 fl. ö. W.); aus Rendsburg 1 Thlr.; gesammelt in der höhern Bürger- und Töchterschule zu Neidenburg in Ostpreußen 11 Thlr. 10 Ngr.; eine Mutter von zehn Kindern 1 Thlr.; Ertrag einer Sammlung beim neunten südthüringischen Gauturnfest zu Sonneberg 13 Thlr.; Ertrag eines Concerts des Sängervereins Ueberlingen 59 Thlr.; H. Bender in Kirchheimbolanden 1 Thlr.; A. W. Schwerin 1 Thlr.; Adv. Fr. in Schleswig 2 Thlr.; G. M. in Königsberg i. d. Neum. 2 Thlr.; Bertha 1 Thlr.; Ertrag eines Concerts des Männer-Turnvereins in Höxter 35 Thlr.; A. Lange, erster k. Ingenieur in Belgrad 6 Thlr. 13 Ngr (2 Duk.): C. Fk. in Greifenhagen 1 Thlr.; Verein der Taubstummen für gegenseitige Unterstützung zu Leipzig 4 Thlr. 9 Ngr.; aus Coeslin 5 Thlr.; aus K...hausen

bei Erfurt 2 Thlr.; aus Schwarzenbach a. S. 6 Thlr.; J. C. Rademacher in Curslach 3 Thlr. (Summa sämmtlicher Eingänge: 2267 Thlr. 2 Ng. 5 Pf.)

Die Redaction.     

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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