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Verschiedene: Die Gartenlaube (1869)

Er zog sie stürmisch, überselig an sein Herz.000

Minuten und Stunden waren verflossen, es war dunkel geworden in dem Wohnzimmer des alten Schöffen, und noch immer war dieser nicht zurückgekehrt.

Benedictens Unruhe darüber war immer höher gestiegen. Wilderich entschloß sich jetzt, den General aufzusuchen und ihn an sein Wort zu mahnen. Aber der General war nicht in seinen Zimmern. Er war ausgegangen, kurz nachdem er Marcelline verlassen und Wilderich und Benedicte mit dem Kinde gekommen. Wilderich fragte die Soldaten, die Diener, Niemand wußte, wohin er gewollt, er hatte seinen Adjutanten mitgenommen und war schweigend gegangen, ohne zu sagen, wann er wiederkehre.

Wilderich kam der Gedanke, daß er selbst zum Eschenheimer Thore gegangen sein könne, um die Freilassung des Schultheißen anzuordnen. Um sich davon zu vergewissern, verließ er jetzt das Haus und wanderte durch die Eschenheimer Gasse zum Thore. Als er an diesem angekommen, redete er die unter dem Thorweg auf- und abwandelnde Schildwache an, er fragte, ob der Commandant da gewesen? Der Mann gab, obwohl Wilderich ihn französisch angeredet, keine Antwort. Ein Sergeant, der innerhalb der in’s Wachtzimmer führenden offenen Thür lehnte, fragte ihn dagegen:

„Was wollen Sie beim Commandanten? Haben Sie ihm etwas zu melden?“

„Nicht das … ich habe Grund anzunehmen, daß er hier gewesen … wegen des gefangenen Schultheißen …“

„Wegen des Schultheißen? Und was sollte der Commandant sich mit dem alten Verräther zu schaffen machen, der in einer Stunde vor das Kriegsgericht gestellt wird …“

„Vor das Kriegsgericht … der Schultheiß?“ stammelte Wilderich entsetzt.

„Ich habe Ordre, ihn hinführen zu lassen!“ entgegnete der Sergeant.

„Unglaublich … das wäre …“

„Nun, was wäre es?“ fragte der Sergeant, Wilderich argwöhnisch fixirend.

„Ich kann es nicht glauben – es kann nicht wahr sein,“ versetzte dieser sich fassend.

Der Sergeant wandte sich ab.

„Gehen Sie um acht in den Römer,“ sagte er, „und Sie werden sehen, wie viel Federlesens man mit dem alten Schuft macht, der im Einverständniß mit dem Feind stand …“

Dabei kehrte der Franzose Wilderich den Rücken zu und trat in die Wachtstube hinein.

Der Letztere konnte nicht mehr zweifeln an der Wahrheit dessen, was er vernommen. In furchtbarer Erregung eilte er zurück. Er stürzte in das Haus des Schöffen, er verlangte stürmisch, Benedicte zu sprechen, als man es ihr gesagt, kam sie die Treppe herab und rief ihm in ängstlicher Spannung entgegen:

„Was ist geschehen … welche Nachricht bringen Sie?“

Er reichte ihr die Hand, war aber im ersten Augenblick seiner Worte nicht mächtig.

„Eine Schreckensnachricht … eine furchtbare … o, kommen Sie zu Ihrer Mutter, zu Ihrer Mutter … sie allein kann helfen! –“

Benedicte wandte sich, zitternd und leichenblaß geworden, zu Marcellinens Zimmer; sie öffnete die Thür vor ihm und Beide standen im nächsten Augenblick vor – Duvignot.

Er stand in der Mitte des Zimmers, die Hände auf den Rücken gelegt, mit düstern, wie von Ingrimm verzerrten Zügen … er schien eben heimgekehrt, eben erst Marcellinens Zimmer betreten zu haben; sie selbst war nicht da, aber sie kam gleich nachher, als sie die laute Stimme Wilderich’s vernahm, herein, in der offenen Thür zu ihrem Nebenzimmer stehen bleibend und erschrocken auf die Gruppe vor ihr blickend.

„General!“ rief Wilderich in seiner furchtbaren Erregung dicht vor Duvignot tretend aus, „hab’ ich Ihr Wort, das Wort eines Soldaten, das Ehrenwort eines Mannes, oder hab’ ich es nicht?“

„Was wollen Sie?“ fragte Duvignot auffahrend.

„Was ich will? Ihre Antwort auf meine Frage!“

„Sie sind sehr verwegen, junger Mann, es hat noch nie Jemand so mit dem General Duvignot gesprochen, und …“

„General Duvignot hat auch wohl noch nie Jemandem sein Wort gebrochen, und ihm ein Recht gegeben, so zu reden! Sagen Sie mir, daß man mich belogen hat, als man mir mittheilte, der Schultheiß werde heute noch, in der nächsten Stunde noch, vor ein Kriegsgericht gestellt!“

„Gerechter Himmel!“ rief Benedicte hier aus.

Marcelline faßte an die Einfassung der Thür, auf deren Schwelle sie stand, um sich aufrecht zu erhalten.

„Man hat Sie nicht belogen,“ erwiderte Duvignot. „Das Verfahren war einmal eingeleitet, es mußte seinen Weg gehen – was kann ich ändern daran?“

„Elender Heuchler!“ rief hier Marcelline, „Du bist allmächtig in der Stadt und willst glauben machen …“

„Glaubt, was Ihr wollt!“ sagte Duvignot achselzuckend.

„Sie gaben Ihr Wort, General, wenn ich das Kind bringe…“

„Ich gab nichts, gar nichts,“ fiel ihm Duvignot barsch in’s Wort, „ich versprach nichts ausdrücklich, nichts, was ich nicht versprechen konnte!“

„Bei Gott, General, Sie gaben es, und ein Schuft nur bricht sein Wort!“ fuhr Wilderich seiner nicht mehr mächtig vor furchtbarer innerer Empörung auf.

Duvignot blickte ihn an, blaß vor Wuth.

„Das wagen Sie mir zu sagen,“ antwortete er leise und wie von seiner Wuth halb erstickt … „Sie, der Sie ein Spion sind, den ich geschont habe, den ich aus Nachsicht und Edelmuth vergessen zu haben affectirte … zum Teufel, Herr, ich kann Sie gerade so gut wie jeden Andern vor das Kriegsgericht und vor ein Peloton mit sechs Flintenläufen schicken, die Sie stumm machen werden.“

„Also das ist Ihre Antwort, Ihre letzte,“ sagte jetzt ruhig und stolz ihn anblickend Wilderich, und wandte sich dann rasch zu Benedicten, um sie zu umfassen, da sie schluchzend zusammenbrach, während Marcelline starr auf den General schaute, als stände eine Gestalt des Schreckens, etwas ganz Furchtbares und in seiner Entsetzlichkeit nie Gesehenes vor ihr.

„Benedicte, verzweifle nicht, halte Dich aufrecht, es ist nicht Alles verloren!“ rief Wilderich dabei aus, „glaub’ mir! Ich werde thun, was ich kann, und …“

„Was wirst Du thun, Wilderich?“

„Gehn, Deinem Vater beizustehen … wird er vor das Kriegsgericht gestellt, so werde ich mich demselben auch stellen. Ich werde ihn vertheidigen … ich allein kann es, ich allein kenne seine Unschuld, ich allein wäre der Schuldige, wenn hier eine Schuld wäre, ich allein kann enthüllen, weshalb den Schultheißen dieses Schicksal trifft – weshalb General Duvignot ihn in den Tod senden will … der Himmel wird mir die rechten Worte auf die Zunge legen, diese Menschen zu rühren!“

„O mein Gott, hoffen Sie doch das nicht!“ rief hier Marcelline, „Sie rennen in Ihren Untergang!“

„Mag sein … aber es soll mich nicht abhalten … ich werde Alles, Alles sagen, was ich weiß, General …“

„Thun Sie das,“ antwortete dieser, ihn mit seinen flammenden Wuthblicken durchbohrend, „stellen Sie sich dem Kriegsgericht nicht bloß als Spion, sondern auch noch als Verleumder des General-Commandanten vor – man wird desto mehr Schonung für Sie haben, davon seien Sie sicher!“

„Du hörst es – o Du hörst es, Wilderich,“ beschwor ihn Benedicte, „Du gehst nur ebenfalls in den Tod!“

„Gut denn, für meine Pflicht … für Deinen Vater …“

„Glauben Sie,“ rief Duvignot dazwischen, „Sie wären nicht, was Sie auch sagen könnten, verloren? … verloren, weil man Sie als einen der Rädelsführer der Bauern erkennen wird? Meinen Sie, wir wüßten nicht, wer uns in den Spessartpässen hinterrücks überfallen und abgeschlachtet hat, meinen Sie, wir hätten uns nicht für ein späteres Strafgericht die Anführer gemerkt?“

Wilderich antwortete ihm nicht.

„Lebe wohl, Benedicte!“ sagte er leise und weich, während ihm Thränen in die Wimpern traten, zu dem jungen Mädchen, es an seine Brust schließend, „ich habe geglaubt, die Zukunft läge wie ein Himmel vor mir … und jetzt … jetzt reißt das Schicksal uns so auseinander … aber ich war ja glücklich … eine Stunde lang … vielleicht ist’s genug für ein Menschenleben … und denk’ an mich … Benedicte, denk’ an mich, wenn … doch nein, nein, wozu das Alles, wozu das Herz sich schwer machen; hoffe, hoffe, vielleicht kehre ich zurück – Du hast so viel gelitten,

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